Hamburg hat die große Chance auf den ersten Meistertitel wohl vertan. Vor der Rekordkulisse von 13.296 Zuschauern war Kiel zu routiniert.

Hamburg. Die Kieler Spieler tanzten im Kreis, die Hamburger ließen am Mittelkreis die Köpfe hängen und schwiegen sich minutenlang an. Der deutsche Rekordmeister THW Kiel hat das wahrscheinlich entscheidende Meisterschaftsspiel der Handball-Bundesliga mit 33:31 (15:14) beim HSV gewonnen und damit zwei Spieltage vor Saisonende mit einem Punkt Vorsprung die Tabellenführung übernommen. „Wir haben eine vielleicht einmalige Chance vergeben“, meinte HSV-Präsident Andreas Rudolph.

Die Stimmung vor dem Anwurf war fröhlich und ausgelassen. 13.296 Zuschauer in der ausverkauften O2 World sorgten für ein lautstarkes Spektakel. „Wir hätten locker mehr als das Doppelte an Eintrittskarten verkaufen können“, sagte HSV-Prokurist Christoph Wendt. Das Interesse ging weit über Norddeutschland hinaus. Das Spiel wurde in 36 Ländern im Fernsehen übertragen, in Europa, Nordafrika und in mehreren arabischen Staaten.

Die Begegnung begann mit kleinen Psychospielchen. Bei den ersten beiden Siebenmetern schickte Kiels Trainer Alfred Gislason Peter Gentzel für Thierry Omeyer ins Tor. Es nützte nichts. Hans Lindberg, der beste Torschütze der Bundesliga, verwandelt zweimal sicher. Es waren die Treffer zum 1:1- und 2:2-Ausgleich des HSV. Die Hamburger, das zeigten bereits die ersten Szenen, warfen den Kielern hinterher. Das schien der anfänglichen und später wiederkehrenden Nervosität geschuldet, die sich in kleinen Unachtsamkeiten und Ballverlusten immer wieder im Angriff ausdrückte. Dazu kam die mangelnde Durchschlagskraft aus dem Rückraum. Allein Lindberg, dem Rechtsaußen, gelang in der ersten Viertelstunde ein Treffer aus der zweiten Reihe gegen den französischen Weltmeister und Olympiasieger Omeyer.

+++ Die Stimmen zum Spiel +++

Wenigstens HSV-Nationaltorhüter Johannes Bitter zeigte von Beginn an Bestform. Er hielt, was zu halten war, und erneut ein bisschen mehr. Und weil die Kieler zudem noch Latte und Pfosten trafen, lag der HSV nach 22 Minuten nur 8:10 zurück. Es hätten nach dem Spielverlauf zu diesem Zeitpunkt auch vier oder fünf Treffer Rückstand sein können.

HSV-Trainer Martin Schwalb reagierte, brachte Domagoj Duvnjak für Spielmacher Guillaume Gille und im rechten Rückraum Krzysztof Lijewski für seinen Bruder Marcin. Das erhöhte die Durchschlagskraft, beide erzielten bei ihren ersten Aktion Tore, doch die selbstbewussten Kieler ließen sich nicht beirren, vor allem Filip Jicha nicht. Der Tscheche, bester THW-Torschütze in dieser Saison, zielte stets derart genau, dass selbst der reaktionsschnelle Bitter den Bällen nur hinterherschauen konnte. Dennoch: Dem HSV gelang mit einem Siebenmeter in der 27. Minute das 13:13, und als der Kieler Dominik Klein die erste Zweiminutenstrafe des Spiels absaß, hätte der wieder eingewechselte Guillaume Gille den HSV sogar in Führung schießen können, das erste Mal in diesem Match. Der Kapitän zog den Ball jedoch am Tor vorbei. Die Folge: Aron Palmarsson machte das 15:14 für Kiel. Das war der Halbzeitstand.

Auch im zweiten Durchgang bekamen die Hamburger das Spiel nicht in den Griff. Und als Jicha in der 38. Minute die Kieler Führung nach einem Tempogegenstoß auf 19:16 erhöhte, das erste Mal auf drei Tore, wurde es in der Halle zwischenzeitlich merklich leiser. Genau darauf hatte THW-Trainer Gislason gehofft. „Wir müssen das Publikum ruhig stellen“, hatte der Isländer vor dem Spiel gesagt.

Kein Zweifel: Die Kieler präsentierten sich in hervorragender Verfassung, heiß im Herzen und kühl im Kopf, mit klaren Konzepten in Angriff und Abwehr, trotz Verletzungspech auf den Punkt vorbereitet. Den Hamburger Spielern dagegen merkte man bei fast jeder Angriffsaktion die Last an, die sie auf ihren Schultern fühlten. Sie alle wollten deutscher Meister werden, aber der Wille machte ihnen zu selten schnelle Beine. Allein Bitter, Duvnjak und Lindberg, der alle seine sieben Siebenmeter nervenstark verwandelte, schienen dem psychischen Druck gewachsen.

Es blieb dennoch spannend. Der HSV mobilisierte zumindest seine physischen Reserven, warf sich in der 49. Minute auf 24:25 heran. Marcin Lijewski hatte kurz danach den Ausgleich auf der Hand, der eingewechselte Gentzler im Kieler Tor verhinderte ihn. Und als sich Dunvjak in der 51. Minute seinen ersten Fehlwurf leistete, sank die Hoffnung auf den ersehnten Punktgewinn dramatisch. Momir Ilic traf mit einem Siebenmeter zum 27:25 (53.). Der am Kreuzband verletzte Serbe konnte zwar nicht laufen, von der Linie jedoch reichte seine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit zu drei Toren. Nach erfolgreicher Exekution nahm er stets wieder auf der Bank Platz.

Der HSV hatte weiter seine Chancen zum Ausgleich, genutzt wurde auch in den letzten zehn Minuten keine. Der Rückraum blieb bis zur Schlusssirene die Problemzone des HSV. Aus 32 Würfen resultierten nur 15 Tore. Das entschied das Meisterschaftsfinale. Allerdings: Selbst die Abwehrarbeit blieb weit unter dem in diesem Jahr gezeigten Niveau. Und dann kam auch nach Pech hinzu. Pascal Hens, mit gelbem Leibchen als zusätzlicher siebter Feldspieler aufgeboten, knallte den Ball an den Pfosten, der Kieler Christian Sprenger fing die Kugel ab und warf sie aus 30 Metern ins leere HSV-Tor zum 31:27. Die ersten zaghaften „THW, THW!“-Rufe waren jetzt zu hören. Sie sollten kurz danach lauter werden. Aber auch das Hamburger Publikum verneigte sich vor der Leistung des Titelverteidigers. Ihr Beifall galt dem alten und wohl neuen deutschen Meister, jedoch ebenso einer hervorragenden Saison der HSV-Handballer. „Wenn man Meister werden kann, ist ein zweiter Platz nur ein schwacher Trost“, meinte HSV-Sportchef Christian Fitzek.

Statistik:

HSV: Johannes Bitter, Per Sandström (Tor), Stefan Schröder, Domagoj Duvnjak, Torsten Jansen, Blaženko Lacković, Matthias Flohr, Igor Vori, Bertrand Gille, Guillaume Gille, Nicklas Grundsten, Hans Lindberg, Krzysztof Lijewski, Marcin Lijewski, Pascal Hens, Marcel Schliedermann.

THW Kiel: Peter Gentzel, Thierry Omeyer, (Tor), Filip Jicha, Daniel Wessig, Börge Lund, Daniel Narcisse, Aron Palmarsson, Christian Zeitz, Dominik Klein, Henrik Lundström, Christian Sprenger, Tobias Reichmann, Marcus Ahlm, Igor Anic, Hendrik Pekeler, Momir Ilic

Schiedsrichter: Reiner Methe, Bernd Methe (Vellmar)

Zuschauer: 13.296 (ausverkauft)

Tore:

Hamburg: Lindberg (10/7), Duvnjak (7), K. Lijewski (3), Hens (3), B. Gille (3), Jansen (2), M. Lijewski (1), Vori (1), Lackovic (1).

Kiel: Jicha (8), Narcisse (6), Zeitz (5), Ahlm (3), Palmarsson (3), Ilic (3/3), Sprenger (2), Klein (2), Lund (1).

Zeitstrafen 3; 4. Siebenmeter: 7 (7 verwandelt); 4 (3; Jicha verwirft).