Warum die Springreiter aus Deutschlands Nordosten beim Derby so erfolgreich sind: Sie trainieren auf einem nachempfundenen Parcours.

Passin. Wer die irischen Wälle meistert, den Wassergraben überquert und sein Pferd Richtung Wall und Pulvermanns Grab dirigiert, steuert im Springderby auf die Entscheidung zu. In den vergangenen Jahren gelang Reitern aus Mecklenburg dieses Kunststück mit Bravour: Dreimal in Folge gingen Männer aus dem Nordosten Deutschlands auf die Klein Flottbeker Ehrenrunde.

Mehrere Gründe sprechen dafür, dass diese Serie auch beim 81. Deutschen Derby am Sonntag hält. Neben den sportlichen Qualitäten der Mecklenburger, ihrer Ausbildung, dem Wagemut und den erstklassigen Pferden basieren die Erfolge auf einem speziellen Training: In Passin, einem Dorf im Herzen Mecklenburgs, wurde vor einem Jahrzehnt ein Parcours gebaut, der dem des Derbys in Hamburg entspricht. Die typischen, einmalig schwierigen Hindernisse wurden professionell nachempfunden. Reiter und Tiere wissen, was beim Derby auf sie zukommt.

Bei aller Konkurrenz gilt: Zusammenhalt macht stark

Ein Ortstermin in dem beschaulichen Ort nördlich der Warnowniederung veranschaulicht die Basis Mecklenburger Triumphe im Wettstreit um das Blaue Band. Ein Parcours am Rande eines Reiterhofs, himmlische Ruhe, starker Zusammenhalt und auf den Punkt trainierte Pferde sind Rezepte, die das Mecklenburger Quintett zu Erfolgsreitern formte. Die sportliche Parole für das Springderby gab Sportchef Paul Schockemöhle bereits im vergangenen Jahr aus: "Mecklenburg gegen den Rest der Welt!"

Stimmt das tatsächlich? "Jeder von uns hat das Zeug, in Klein Flottbek ganz vorne zu landen", sagt Thomas Kleis, im Vorjahr mit Carassina siegreich, und lenkt die Stute gen Pulvermanns Grab - made in Mecklenburg. Ein paar Hürden weiter übt André Thieme für die renommierteste Springprüfung Deutschlands. Der 25-Jährige hatte 2007 und 2008 mit Nacorde die Nase vorn und zählt auch Sonntag zum engsten Favoritenkreis.

"Früher galten wir Ossis beim Derby doch als Exoten", sagt Holger Wulschner. Tatsächlich wurden die Springreiter aus dem neuen Bundesland nach der politischen Wende nicht ernst genommen. Was sich schlagartig änderte, als der 20 Kilometer von Passin in Groß Viegeln ansässige Wulschner 2000 das Blaue Band gewann. Dabei schaffte der gebürtige Brandenburger einen Rekord: Noch nie zuvor hatte ein Reiter die beiden Qualifikationen und dann auch noch das Derby gewonnen.

"Dieses Meisterstück gab uns allen einen Ruck", erinnert sich Vorjahressieger Thomas Kleis aus Gadebusch. Und spätestens beim Doppelerfolg seines "Landsmanns" André Thieme 2007 und 2008 auf Nacorde war den Zuschauern in Klein Flottbek klar: Mecklenburg ist ganz oben in Springreit-Deutschland.

Basis dieser sportlichen Wende ist ein Coup, für den Holger Wulschner und sein Vater verantwortlich zeichnen. Der Junior reiste mit einem Maßband nach Hamburg, um die Derbyhindernisse des Flottbeker Parcours präzise notieren zu können. Auf einem Acker wuchs ein Hindernis nach dem anderen. Vater Wulschner verrichtete die Holzarbeiten, der Sohn kümmerte sich um den Rasen. Der Wall, Pulvermanns Grab, die irischen Wälle, der Birkenoxer oder die Holsteiner Wegesprünge - neu entstand, was in Hamburg Jahr für Jahr die Reiterelite auf die Probe stellt. Der Wall ist einen guten Meter niedriger als das Original, aber es geht ums Prinzip.

Die Ruhe wird nur gestört, wenn ein Trecker seine Runden dreht

Als sich Holger Wulschner mit seinem Sportstall auf der Reitanlage in Groß Viegeln selbstständig machte, übernahm Kollege Matthias Granzow die Anlage in Passin. Der 33-Jährige entstammt einer Familie, die seit Generationen der Reiterei und der Zucht verbunden ist. Granzow, in den vergangenen Jahren mit Antik stets im Derby-Vorderfeld, absolvierte seine Ausbildung zum Pferdewirtschaftsmeister im Landesgestüt Redefin und lernte ein Jahr in der Sportkompanie der Bundeswehr in Warendorf.

Gemeinsam mit einem Kollegen und sechs Angestellten führt er den 275 Hektar großen Hof in Passin mit Erfolg. Die Anlage mit drei malerischen, mehr als 200 Jahre alten Fachwerkhäusern, einer großen Reithalle, sechs Ferienhäusern und einem kleinen Restaurant ist im Besitz der Familie Herzog aus Berlin. Alles ist tadellos in Schuss - und ein Bild für Götter. Auf den beiden Parcours trainieren Pferde, auf den Weiden nebenan stehen zehn Mutterkühe und ein Bulle. Heu, Stroh, Weizen und Hafer stammen von eigener Scholle. Auch Störche genießen die Ruhe. Sie wird nur gestört, wenn ein Trecker seine Runden dreht oder der Schulbus vorbeifährt. Sonst ist Lärm ein Fremdwort hier.

Sind die Arbeiten erledigt und die Pferde im Stall versorgt, wird der Grill angeworfen. Während die Kinder nebenan spielen, sitzen nicht selten zwei oder drei Reiter des Mecklenburger Quintetts bei einem Bierchen am Feuer und schmieden Pläne. "Wir haben noch viel vor!", sagt Matthias Granzow. Die anderen nicken zustimmend. Bis Sonntag, bei der Siegerehrung.