Harburg. Türkische Militäroffenisve ist Thema, aber der Club will sich von der Weltpolitik nicht beeinflussen lassen – Kritik an Cenk Sahin.

Es ist 14.07 Uhr im Besprechungsraum des Charly-Dörfel-Sportplatzes am Kapellenweg 111, als Dersimspors Trainer Sammy Selcuk das starke Abschneiden der AfD vorhersagt. „Du bist in dieser Saison oft rassistisch beleidigt worden und ruhig geblieben. Das machst du richtig“, wendet sich Selcuk an Dekory Jallow, den Deutsch-Gambier mit der Nummer 16. „Denk auf dem Platz daran: Es gibt genügend dumme Menschen auf der Welt. Zum Beispiel heute Abend in Thüringen.“

Knapp vier Stunden später wird der Balken der AfD bei der dortigen Landtagswahl in der ersten Hochrechnung auf 24 Prozent hochschnellen. Doch noch ist Sonntagnachmittag. Ein Mittelfeldduell in der Landesliga Hansa steht an. Der kurdische Club Dersimspor, daheim noch ohne Punkt, trifft auf den Oststeinbeker SV. Ein Muffin im Vereinsheim kostet 80 Cent, die Bratwurst 1,50 Euro, eine Frikadelle 2 Euro. An den Tischen werden die bisherigen Ergebnisse dieses Spieltages diskutiert. Sowie der Zustand des Platzes. Der Rasentraktor ist kaputt, die ungemähte Wiese in fürchterlichem Zustand. Eine Polizistin ist vor Ort. Sie schult den Ordnungsdienst. 48 Fans werden schließlich kommen. Amateurfußball pur!

Türkische Militäroffensive ist Thema

Seit drei Wochen stehen für Der­simspor allerdings nicht nur sportliche Herausforderungen auf dem Spielplan. „Klar werde ich im Club auf die türkische Militäroffensive in Nordsyrien angesprochen. Es ist ein Thema für einige unserer Mitglieder“, bestätigt Präsident Benny Thiel. Aber: „Ich sage dann immer, ich möchte darüber nicht reden. Wir sind schließlich ein Fußballclub.“ Ein multi-kultureller Verein mit 200 Mitgliedern, alleine in der ersten Mannschaft kicken Spieler aus zehn Nationen.

So versucht sich der kurdische Club Dersimspor auf seine Liebe zum Fußball zu konzentrieren. Auf die Integration und auf das Wirgefühl. Das Vereinsleben soll nicht durch die Weltpolitik beeinflusst werden. „Politik hat auf dem Platz nichts zu suchen.“ Diesen Satz betonen alle Dersimspor-Verantwortlichen und die Spieler ebenfalls.

Doch ohne Meinung sind sie bei Dersimspor natürlich nicht. Sie gehöre, so finden sie hier, eben nur nicht demonstrativ auf den Platz. „Meine persönliche Meinung ist: Ich bin gegen den Krieg. Was Erdogan will, ist eine Schutzzone. Die hätte man unter anderen Bedingungen bereits vorher humaner einrichten können“, findet Trainer Selcuk.

Politik hat hier nichts zu suchen

Und nicht nur gegen Krieg sprechen sich hier alle aus. Das Verhalten von Cenk Sahin, dessen Instagram-Post („Wir sind an der Seite unseres heldenhaften Militärs und der Armeen. Unsere Gebete sind bei euch“) zu seiner Freistellung durch den FC St. Pauli führte, können viele nicht verstehen. „Cenk Sahins Verhalten mit dem Instagram-Post war unnötig. Er ist Zweitligafußballer. Ich weiß nicht, warum er auf diese Weise seine Profikarriere in Deutschland aufs Spiel gesetzt hat“, sagt Spieler Dijar Kaval. „Profifußballer sollten sich in der Öffentlichkeit mit politischen Meinungen dezent zurückhalten“, findet Präsident Thiel. Vereinsgründer und Liga-Obmann Mahmut Capan drückt es so aus: „Menschlichkeit ist das Allerwichtigste! Sahin hätte für die Opfer des Krieges eines seiner Jahresgehälter spenden können. Dann hätte ich gesagt: Hut ab!“

Auf einige Kritik trifft ebenfalls der „Salut-Jubel“. „Den ,Salut-Jubel‘ halte ich für eine Provokation. Ich finde, so etwas gehört nicht auf den Sportplatz“, sagt stellvertretend Kapitän Fadi Hamze.

Fußball soll Fußball bleiben

Dass das Thema im Hamburger Amateurfußball noch heiß werden kann, bewies unter der Woche der Fall Furkan Aydin bei Altona 93. Altona suspendierte den Spieler laut eigenen Angaben aus sportlichen Gründen. Aydin wähnt sich als Opfer, weil er bei Instagram den „Salut-Jubel“ der türkischen Nationalmannschaft geliked hatte, laut seinen Worten jedoch ohne politischen Hintergrund. Interessant vor diesem Background: Auch gegen „positive politische Zeichen“ auf dem Fußballplatz sprechen sich die Verantwortlichen von Dersimspor aus. Der Fußball soll einfach Fußball bleiben.

Schlagzeilen machte der Verein schließlich schon häufiger neben dem Platz. Nicht immer holte der Club in der Vergangenheit charakterstarke Spieler, stritt sich in der vergangenen Saison monatelang öffentlich mit dem Bezirksamt Harburg und verlor die Genehmigung, auf dem Platz an der Baererstraße zu trainieren. So muss man in dieser Saison zu Viktoria Harburg ausweichen.

Nun kittet der Vorstand das zerbrochene Porzellan, gute Gespräche mit dem Bezirksamt laufen. „Wir wollen Dersimspors Image wieder verbessern. Wir wünschen uns, bald wieder richtige Trainingsmöglichkeiten zu haben. Und wir wollen wieder gut mit dem Bezirksamt Harburg zusammenarbeiten“, benennt Dersimspors Präsident Thiel die wichtigsten Themen.

Kampfstark und fair

Gegen Oststeinbek schafft das Team wieder einen Schritt in die richtige Richtung. Kampfstark, fair und sympathisch präsentiert sich die vor der Saison neu aufgestellte Mannschaft, siegt verdient 2:1 und verteidigt ihren fünften Platz in der Fairnesstabelle. „Ich bin glücklich“, sagt Trainer Selcuk danach. Dekory Jallow geht lächelnd an ihm vorbei. Er hat heute keine dummen Sprüche abbekommen. Außerdem ist der erste Heimsieg geschafft. Ein weiterer Schritt zurück in die sportliche Normalität.