Zuschauer, die bei bestimmten Ereignissen verdächtig jubeln: In der Amateurszene der Hansestadt gibt es eindeutige Hinweise auf Spielmanipulationen. Die Verantwortlichen sind in Aufruhr.

Hamburg. Olaf Poschmann war empört. Nach dem 0:2 seines SC Vier- und Marschlande gegen Barmbek-Uhlenhorst (BU) am 5. Oktober schimpfte er auf einige Zuschauer. „Ich kann das nicht mehr sehen. Diese Leute sind der Tod des Fußballs“, ärgerte sich der Oberligatrainer. Poschmann war wie schon so oft das merkwürdige Verhalten einiger Besucher aufgefallen. Sie tauchen immer häufiger auf Amateurfußballplätzen auf, starren intensiv auf ihre Smartphones und jubeln frenetisch bei bestimmten Aktionen. Einem Verein kann sie niemand zuordnen. Das 2:0 für BU in der 89. Minute feierten sie, als seien die Barmbeker gerade deutscher Meister geworden. Poschmann vermutet: Bejubelt wurde ein Wettgewinn.

Söhren Grudzinski spricht aus, was viele auf Hamburgs Fußballplätzen hinter vorgehaltener Hand räuspern: „Ohne Beweise gilt die Unschuldsvermutung. Dennoch: Ich gehe davon aus, dass in der Oberliga Hamburg im großen Stil manipuliert wird. Das hat auf europäischer Ebene geklappt, im Amateurfußball ist das ein Selbstgänger“, sagt der ehemalige Manager des Bramfelder SV.

Schließlich sind Wetten selbst auf die fünftklassige Oberliga bei privaten Anbietern längst möglich. Die Verlockung, die davon ausgeht, betrifft nicht nur ein paar Zuschauer – sondern wohl auch die Spieler. Seitdem der Verdacht publik wurde, das Oberligaspiel Bramfeld gegen Schnelsen (4:3) am 11. Mai sei verschoben worden, ist die Szene in Aufruhr. Die Informationen eines Insiders über die Manipulation der Partie sorgten dafür, dass der Hamburger Fußball-Verband (HFV) vor einer Woche mit Ermittlungen begann, über deren Inhalt und Umfang er bisher allerdings nichts bekannt geben will.

Dass Manipulationen in den unteren Ligen offenbar vorkommen, zeigt auch ein aktuelles Beispiel aus dem Niedersächsischen Fußballverband (NFV). Dort zeigte sich an diesem Dienstag der Oberligist TB Uphusen selbst an. Beim 2:4 am Wochenende gegen Jeddeloh soll es Unregelmäßigkeiten gegeben haben. Zwei Uphusener Spieler sollen unter Verdacht stehen, das Spiel verschoben zu haben. Uphusen nahm die beiden Akteure vorsorglich aus dem Trainings- und Spielbetrieb. Der NFV-Spielausschuss hat beim Sportgericht ein Verfahren wegen Verdachts auf Spielmanipulation eingeleitet.

Viele Offizielle teilen nach Abendblatt-Informationen Grudzinskis Verdacht, auch in der Oberliga Hamburg würden Spiele im Sinne des Tippscheins beeinflusst. Sie wollen nicht genannt werden, berichten aber über konkrete Partien, die ihnen merkwürdig vorkamen und beschreiben, wie einfach die Manipulationen sind. Ein Torwart, der zwei dumme Fehler macht oder ein Verteidiger, der einen Elfmeter verursacht, reichen oft schon, um ein Spiel in die gewünschte Richtung zu lenken.

Großer Reiz am schnellen Geld

Der Reiz am schnellen Geld jedenfalls ist groß. Schließlich verdienten die Spieler nur wenige Hundert Euro im Monat. Zudem findet der Amateurfußball oft nur vor wenigen Fans statt. Spiele mit circa 200 Zuschauern sind die Regel. Fehler eines Fünftliga-Kickers wirken weniger kurios als der Fauxpas eines Profis. Sie sind durchaus erklärbar mit dem Amateurstatus der Spieler, den viele Fans als besonders glaubwürdig empfinden und der für eine besonders nahe Bindung an ihre Lieblinge sorgt. Was aber, wenn das vermeintlich unglückliche Slapstick-Gegentor ein gezieltes Versagen ist, um damit mehr Kasse zu machen als mit Fußball – und es wissen nur ein paar Eingeweihte?

Söhren Grudzinski wurde zum ersten Mal Ende November 2012 hellhörig. Bramfeld verlor gegen Norderstedt mit 0:2. Das zweite Gegentor war ein von Bramfeld verschuldeter Elfmeter, vor dem viele Möglichkeiten bestanden hatten, ein taktisches Foul zu begehen. Kurze Zeit danach erhielt Grudzinski den Anruf eines Zuschauers, der ihm den Verdacht einer Spielabsprache mitteilte. Gegenüber dem Abendblatt erinnerte sich dieser Anrufer an den Vorfall: „Ich sah mir mit einem verletzten BU-Spieler eine Partie von BU an. Er sagte beim Stand von 0:1, er habe auf einen Norderstedter Sieg mit mindestens zwei Toren Unterschied gewettet. Das gehe klar, da der Ausgang des Spiels bereits feststünde.“ Als Grudzinski davon erfuhr, verboten er und Trainer Hardy Brüning dem Team das Wetten auf eigene Spiele.

Dass das Spiel Bramfeld gegen Schnelsen manipuliert wurde, wird übrigens immer wahrscheinlicher. Schnelsens Ex-Trainer Florian Gossow geht bis heute davon aus, drei seiner Akteure hätten absichtlich eine Niederlage herbeigeführt. Der private Wettanbieter Tipico bestätigte, die Partie drei Stunden vor Anpfiff „aufgrund auffälliger Wettbewegungen aus dem Angebot genommen“ zu haben.

Wer vor der Absetzung richtig getippt hatte, erhielt seinen Gewinn trotzdem. Die Quote für einen Bramfelder Sieg lag bei 10,0. „Das damalige Limit von 1000 Euro Gesamteinsatz pro Filiale wurde in einem Shop mit wenigen Wetten ausgereizt“, sagte der Leiter Unternehmenskommunikation bei Tipico, Dominic Sauer. Ein merkwürdiger Vorgang, weil das Auszahlungslimit von 450 Euro pro Tippschein die Platzierung vieler kleiner Wetten nahelegt. Tipico, auf dem Weg zum Marktführer bei Amateurfußballwetten, ist ans Frühwarnsystem der Fifa für Wettbetrug angeschlossen, das solche Strategien erkennen soll. 2013 nahm Tipico die Oberliga Bremen wegen Verdachts auf Spielabsprachen aus dem Programm.

Nun reagiert Tipico auch wegen des aktuellen Vorfalls in Niedersachsen. Das Einsatzlimit für einen Schein sinkt bundesweit auf 50 Euro (von 250), pro Filiale dürfen alle Wetter nur noch 500 Euro auf ein Spiel setzen (vorher 1000) und dürfen dabei gemeinsam maximal 400 Euro Gewinn pro Filiale erzielen (vorher 800). „Wenn sich Auffälligkeiten in einer Liga häufen, wird Tipico Maßnahmen ergreifen“, sagt Sauer. Im Extremfall kann das bedeuten, die Oberliga Hamburg aus dem Angebot zu nehmen. Das würde nicht nur Olaf Poschmann freuen.