Neapel. Heiligabend in Neapel ist kein besinnliches, sondern ein fröhliches Fest. Dafür sorgen die Meister der neapolitanische Krippenkunst.

Das Kind liegt in der Krippe auf Stroh, die Eltern betrachten es froh, die drei Weisen aus dem Morgenland nähern sich zu Pferd. Sie werden hungrig sein. Wie gut, dass ein wenig ­abseits des Stalls ein großer Pizzaofen steht. Gerade serviert der Pizzaiolo an Tischen im Freien eine appetitliche Margherita, auf der Tomaten und ­Mozzarella gut erkennbar sind und man bestes Olivenöl fast zu riechen meint.

Die Krippe ist eines von zahlreichen detailverliebten Kunstwerken, die die Associazione Presepistica Napoletana, die Gesellschaft für neapolitanische Krippenkunst, im Advent in Kirchen im historischen Zentrum Neapels ausstellt. Sie vermengen die klassischen Ele­mente der Geburtsszene in schönster Weise mit neapolitanischer Lebens­realität: In einer Krippe befindet sich vor dem Stall eine Bar, in einer anderen Metzgerei und Backstube.

Kaiser Nero trat dort 64 nach Christus auf

Nun neigten die Menschen immer und überall schon zu der Annahme, ­Jesus Christus müsse in ihrer unmittel­baren Nachbarschaft geboren sein; in einem alpenländischen Stall zum Beispiel oder wenigstens in einer sehr ­kalten Winternacht – oder eben in einem neapolitanischen Viertel zwischen Pizzeria und Fischgeschäft.

Auch im antiken griechisch-römischen Theater, das unter einem Wohnhaus der Altstadt verborgen liegt, sind Krippen ausgestellt. Dort trat im Jahr 64 nach Christi Geburt Kaiser Nero auf und sang seine Arie ohne Zaudern zu Ende, während die Erde erbebte. Am Schluss, so wird es überliefert, habe der Kaiser Publikum und Göttern für den heftigen Applaus gedankt.

Kitschig-bunte Lichterketten in der Innenstadt

In den gut erhaltenen Überresten dieses Theaters sind insgesamt 30 Krippen aus dem 18. Jahrhundert versammelt. Die ­filigranen Protagonisten dieser betlehemschen Szenen waren das Ergebnis zeitintensiver Handarbeit. Das Gerippe der Figuren wurden aus Drähten gearbeitet und mit Stroh umhüllt, Köpfe, Arme und Beine zunächst für die Standfestigkeit aus Holz, die oberste Schicht dann aus farbigem Terrakotta gefertigt. So wird es heute noch gehalten.

Die ersten Miniaturen des Stalls zu Betlehem, die hier im 16. Jahrhundert gefertigt wurden, zeigten rund um den Stall antike Säulen. Nicht nur standen seinerzeit in Neapel noch viele Über­reste aus römischer Zeit herum; die ­Ruinen antiker Tempel erinnerten überdies an das mit der Geburt Christi überwun­dene Heidentum. So gehört zur klassischen neapolitanischen Krippe der Säulengarten – die Pizzaöfen kamen erst später hinzu.

Die Krippe am 8. ­Dezember aufgebaut

Ursprünglich schmückten sich ausschließlich die Klöster mit Miniaturen der Geburtsszenerie. Im 18. Jahrhundert leisteten sich dann auch erste Aristo­kraten kunstvolle Weihnachtskrippen für den eigenen Palazzo, und im 20. Jahrhundert nahm das Bürgertum den Brauch auf – noch bevor der Weihnachtsbaum sich in den Wohnzimmern Neapels zu etablieren vermochte.

Seither wird die Krippe am 8. ­Dezember aufgebaut, dem Tag der ­unbefleckten Empfängnis und somit dem ­Beginn des Endspurts zum Fest. Allerdings noch ohne das Kind, das chronologisch korrekt erst in der Heiligen Nacht in die Krippe gelegt wird.

Die Altstadt hat ihren Charakter bewahrt

Der Weihnachtsglanz verleiht der von der Unesco zum Welterbe gezählten Altstadt Neapels besonderen Zauber, auch wenn sie im strahlenden Sonnenschein des Frühsommers heller und fröhlicher aussehen mag. Auf rund zwei Quadratkilometern erstreckt sich das Labyrinth ihrer schmalen Gassen. Obwohl vorsichtig saniert und damit auch touristenfreundlicher gestaltet, hat die Altstadt ihren Charakter bewahrt.

Über die Stadt zu Füßen des Vesuv haben sich Regenschleier gesenkt, zu Weihnachten wird er vielleicht noch mit Schnee bedeckt. Die Blätter der Orangenbäume, die Neapels Straßen säumen, triefen vor Nässe. Das Herz der Stadt aber erstrahlt im Glanz kitschigbunter Lichterketten. Die Temperaturen sind mild wie im ­mitteleuropäischen Frühling, haben sich Einheimische in warme Daunen gehüllt. Empfindlich kalt finden sie es. Und schließlich muss die Wintergarderobe auch einmal raus dürfen.

Die Werkstätten sind ganzjährig geöffnet

Im Geschäft von Marco Ferrigno (l.) in Neapel ist bis unter die Decke voll mit Krippenfiguren.
Im Geschäft von Marco Ferrigno (l.) in Neapel ist bis unter die Decke voll mit Krippenfiguren. © picture alliance / Karlotta Ehrenberg/dpa | Karlotta Ehrenberg

In der Via San Gregorio Armeno und ihrer Verlängerung Vico Cinquesanti herrscht in diesen Tagen Hochkonjunktur. Hier haben Neapels Krippenbauer ihre Werkstätten, hier verkaufen sie Figuren und Bauelemente, mit denen Einheimische ihre Krippen Jahr für Jahr erweitern.

Die Werkstätten sind ganzjährig geöffnet, denn Neapolitaner wissen, dass das Fest zuverlässig jedes Jahr beschließt. Doch in der heißen ­Phase der ersten Dezembertage wird manch größere Investition getätigt; man schaut nach einem glühenden Pizzaofen, einem rauschenden Wasserfall, neuen Figuren oder einer Herde Schafe.

Dekoriert wird mit Chilischoten aus Terrakotta

Zu den einheimischen Käufern gesellt sich im Dezember eine halbe Million Touristen, die einen Hauch Süditalien für die heimische Weihnachtsstube ­suchen. Denn hier gibt es nichts, was es nicht gibt: mit bunten Lichtern verse­hene Sterne mit Kometenschweif für die Wohnzimmerwand, in allen Farben leuchtende Christbaumkugeln, puppengroße Engel, rote Chilischoten aus Terrakotta. Kein Zweifel: Grenzverletzungen zwischen Weihnachtszauber und Kitsch fürchtet man nicht.

Weihnachten in Neapel ist kein besinnliches, sondern ein fröhliches Fest. Und dazu gehören funkelnde bunte Lichter genauso wie die traditionellen, auf einem dem Dudelsack verwandten Instrument gespielten Melodien der einstmals aus den Bergen Kampaniens in die Stadt strebenden Schäfer.

Berlusconi-Miniaturen und Fußball-Helden

Einsteiger werden sich beim Einkaufsbummel für die heimische Weihnachtsstube mit Maria, Josef und dem Jesuskind begnügen. Doch neben Basispersonal und den lokaltypischen Requisiten wie Pizzaöfen, Trattorien und Weinkrügen finden auch andere Errungenschaften und Eigentümlichkeiten Italiens den Weg in die Krippe: Minia­turen Silvio Berlusconis, diverse Helden des Fußballs und des Papstes sind im Angebot.

„Ich halte es mehr mit den klas­sischen Figuren“, sagt Salvatore Mazza. Gleich um die Ecke der Krippenstraße San Gregorio Armeno, in der Via Tribunali, verkauft er seine handgearbeiteten Terrakotta-Figuren. Bis zum Rand ist Mazzas Ladenlokal mit Weihnachtsschmuck und Krippenzubehör vollgestopft, und in der Werkstatt nebenan herrscht kreatives Chaos.

Dass das Fest ihn durch das ganze Jahr begleitet, macht dem Krippenbauer nichts aus. Wenn sommerliche Hitze auf Neapel brenne, sagt er, sei es geradezu erfrischend, sich mit dem Thema Weihnachten zu beschäftigen.

Tipps & Information

Lufthansa bietet Flüge über München oder Frankfurt nach Neapel.

Zum Übernachten geht es zum Beispiel ins Unahotels Napoli, Doppelzimmer ab 88 Euro, Piazza Giuseppe Garibaldi 9, Tel. 0039/081/563 69 01, www.gruppouna.it oder ins Eurostars Hotel Excelsior mit Blick auf den Hafen, Doppelzimmer ab 126 Euro, Via Partenope 48, Tel. 0039/081/764 01 11, www.eurostarhotels.it

Die Via San Gregorio Armeno im historischen Zentrum ist weltbekannt für ihre Krippenkunst – ansässige Kunsthandwerksläden zeigen das ganze Jahr über originelle Statuetten. Die eigentlichen Ausstellungen finden in den Weihnachtsferien von Anfang November bis zum 6. Januar statt.

Weitere Auskunft auf www.eptnapoli.info