Korsika. Auf der „Sir Robert Baden Powell“ erleben Passagiere attraktive Segelreviere – in der mediterranen Welt zwischen Sardinien und Korsika.

Hepp! Und hepp! Ich hänge mich in die Leine und ziehe, dass mir die Hand­flächen brennen. Christoph und Stefan holen über den Belegnagel nach. Endlich ist der Schoner oben. Belegen, aufschießen, eindrehen und die Leine an den Nagel hängen. Soll ja Ordnung sein an Deck.

Ein Schoner war für mich vor einer halben Stunde noch ein Überzieher, mit dem sich Matratzen oder sonst wie schützenswertes Gut vor unnötigem Verschleiß bewahren lassen. Jetzt ist es das Segel, das wir mit vereinten Kräften am Mast in die Höhe gezogen haben. Oder auch der Typ von Schiff, auf dessen schwankendem Deck ich mich auf noch unsicheren Seebeinen halte. Auf der „Sir Robert Baden Powell“ sind Fahrgäste als freiwillige Deckshands willkommen.

Wir sind zu sechst auf einem einwöchigen Törn zwischen Sardinien und Korsika, im vielleicht attraktivsten Segelrevier Europas. Die beiden Mittelmeerinseln komprimieren in der Straße von Bonifacio Winde, die so beständig sind, dass man ihnen Namen geben konnte: Tramontana, Scirocco, Maes­trale … Uns treibt der Libbeccio aus ­Südwest mit fünf Beaufort-Stärken und fast neun Knoten Geschwindigkeit voran.

In dem Moment, als die Maschine stoppt und Großsegel sowie Fock ­gesetzt sind, bemächtigt sich die Kraft der Ruhe des Schiffs. „Sir Robert“ wiegt durch bewegtes Aquamarin, der Bugspriet malt übermütig Schnörkel in den Himmel. Das Großsegel scheint sich freudig dem Wind hinzugeben, den es nach dem Winterquartier endlich zu schmecken bekommt. Ich gebe meinen Rücken dem sonnengewärmten Deck hin und stelle mich auf Muskelkater ein.

187 Stufen wurden im Kampf um Bonifacio in Fels gehauen

Wir durchfahren von Palau aus den Maddalena-Archipel, ständig kommen wechselnde Küstenstriche in Sicht. Die hügeligen Inseln sind bedeckt vom ­dichten Grün der Macchia. In dem dornigen Gewirr aus Baumheide, Wacholder, Myrte und Ginster haben bis ins vergangene Jahrhundert „Banditen aus Ehre“ Zuflucht gesucht – Männer, die den archaischen Pflichten der Blutrache nachgekommen waren.

Der Blick auf Bonifacio.
Der Blick auf Bonifacio. © Getty Images | Marc Dozier

Heute verbergen sich dort ehrenwerte Zeitgenossen, die der nicht minder strikten Pflicht der Vermögenspflege so konsequent entsprochen haben, dass sie sich an den schönen Gestaden der Costa Smeralda Anwesen für zweistellige Millionen­beträge leisten konnten. Die sind immerhin der Landschaft so diskret eingepasst, dass sie ihre Lage erst verraten, wenn sie in der Dämmerung das Licht einschalten.

Wir laufen Porto Vecchio auf Kor­sika an. Der Landgang enttäuscht. Die einst wehrhafte Stadt hat sich schon in der Vorsaison bedingungslos den Umsatzgesetzen des Tourismusgeschäfts ergeben. Das ist in Bonifacio kaum anders. Aber das über 1000 Jahre alte ­Piratennest am südlichsten Küstenpunkt Korsikas hat unzerstörbare Reize zu bieten. Gefahr droht nur von den Elementen, die an dem Kliff nagen, auf das in 70 Meter Höhe wie auf einen Balkon die Altstadt gesetzt ist.

Aus der Distanz stehen die Häuser wie durcheinandergeschüttelt da, in hellem Ocker leuchtet das prekäre Ensemble auf die See hinaus, eine hochmütige und morbide Schönheit. Gut ist die scharfe Diagonale auszumachen, die durch die Kalksteinschichten nach oben schneidet: die Treppe des Königs von Aragon, deren 187 Stufen zur Eroberung der Stadt anno 1420 der Legende nach in einer Nacht in die Felsen gehauen worden sein sollen.

Um Bonifacio haben vor allem Franzosen und Genueser jahrhundertelang gekämpft. Der unter der Stadt tief ins Land reichende Fjord war ein sicherer Naturhafen im Zentrum des Mittelmeers.

Im früheren Leben war das Schiff Seeschlepper

Wo einst Piratenschiffe und Kriegskaravellen festgemacht haben, liegen heute in der Marina die Renommierschiffe der Freibeuter unserer Tage, die ihre Milieuzugehörigkeit durch die ­Heimathäfen auf dem Heckspiegel verraten: Valetta, Bikini, Georgetown … Auf den Achterdecks lümmelt abends die Erbengeneration und genießt, dass sie keine Einkaufstüten aus dem Sparmarkt über die Hafenpromenade schleppen muss.

Die Belegschaft der „Sir Robert“ klabastert in die Altstadt hoch und freut sich, dass die „Reservé“-Schilder auf den Tischen des „U Castille“ auf der vordersten Kante des Kliffs nicht ernst gemeint sind und dass den Erwartungen zum Trotz dort für ganze 20 Euro ein vorzügliches Menü von Muscheln, korsischem Wildschweinragout und St.-Peter-Fisch-Filet serviert wird.

Die „Sir Robert“ hat im Hafen abseits der schnieken Mega-Yachten beim Fähranleger festgemacht, nicht nur ihrer Größe wegen. Sie gehört einfach nicht in diese Gesellschaft aufschnei­derischer Milliardärsspielzeuge. „Sir Robert“ – dem männlichen Namen zum Trotz sprechen die Eigner, Karsten Börner und seine Partnerin Karin Volkening, von ihrem Schiff als der „Lady“. Auf jeden Fall ist die ein ganzer Kerl.

Namenspate war der Gründer der Pfadfinderbewegung

Im früheren Leben ist das Schiff als Seeschlepper und Eisbrecher „Robert“, Baujahr 1957 in Magdeburg, auf der Ostsee gefahren. Karsten Börner, Baujahr 1955 in Hamburg, kaufte das Schiff 1992 und brachte es auf das holländische ­Ijsselmeer, wo er mit seiner Familie eine Flotte von Plattbodenschiffen betrieb. Schornstein weg, zwei Masten drauf und ein komplett neues Heck – auf der Werft in Lemmer ist aus dem Schlepper ein eleganter und sehr wendiger Toppsegelschoner von 42 Meter Länge geworden.

Seine Vergangenheit als Arbeitsschiff ist allenfalls noch zu erahnen. Auf Deck hemmen keine störenden Aufbauten die Bewegungsfreiheit, die brust­hohe Schanzung schafft Geborgenheit, selbst wenn das Schiff unter Segeln mal etwas stärker krängt. Ein unsichtbares Relikt der Vergangenheit sorgt für seglerunüblichen Komfort: Ballasttanks im Vorderschiff von 20.000 Liter Fassungsvermögen, deren Wasser einst das nö­tige und verlagerbare Gewicht für die Eisbrecherei lieferte, stehen heute als Brauchwasserreservoir zur Verfügung, das ungehemmtes Duschen erlaubt.

Selbst Hand anlegen auf der „Sir Robert“.
Selbst Hand anlegen auf der „Sir Robert“. © Anna Wolf | Anna Wolf

Sir Robert Baden-Powell – Namenspate für das umgetaufte Schiff war der Gründer der Pfadfinderbewegung. Karin Volkening und Karsten Börner haben ­einander 1995 beim Weihnachtsfest der Pfadfinderfreunde aus Koblenz und Lahnstein gefunden. In den vergangenen 25 Jahren sind sie Tauch- und Segeltörns unter anderem im Roten Meer, in der Karibik, bei den Kapverden und den Balearen gefahren.

Früh dabei war Holger Pollmann, der nach 13 Jahren Pause in diesem Jahr an Bord zurückgekehrt ist. Der Gute-Laune-Typ beherrscht jeden Handgriff an Bord und ist zudem engagierter und kundiger Tauchlehrer und Unterwasserfotograf, der den Schiffsgästen gern als submariner Guide zur Verfügung steht.

Bei Stärke sieben macht das Schiff 9,6 Knoten

Bei der Îles Lavezzi kommen die Taucher unter den Passagieren auf ihre Kosten, berichten nach 50-minütigem Tauchgang von großartigen Unterwasserlandschaften und Begegnungen mit Muränen und Zackenbarschen. Ich lasse mich mit dem Dinghi an Land bringen, um die Steine zu streicheln. Kugelige, würfelige Granithaufen, gekerbte und gesprenkelte Rundlinge bilden dort einen spektakulären Skulpturengarten, den Henry Moore geschaffen haben könnte.

Immer wieder neue, interessante Objekte locken mich in das Stein­labyrinth, dessen Erkundung ich mit geschundenen Beinen bezahle, weil sich die mystische Insel mit dornigem Gestrüpp des Eindringlings erwehrt.

Anderntags, und ehe wir den Törn in dem von Aga Khan angelegten Luxusresort Porto Cervo mit einem Gläschen des weißen Hausweins Speciale beschließen, das einen einfachen Sailor eine Tagesheuer gekostet hätte, sorgt ein Gewitter über dem Capo d’Orso für nautische Abwechslung. Nach der Dauersonne der vergangenen Tage setzen Wolkenhaufen und dramatisches Licht über dem Meer einen schönen Schlussakkord.

Der Libbeccio greift mit Stärke sieben in Schoner und Fock und jagt uns wieder an Palau vorbei. Der Kapitän steht mit wehendem Grauschopf am Ruder und freut sich: „Wir machen 9,6 Knoten.“ Als die Regenfront die „Sir Robert“ erreicht, besinne ich mich auf meine Stellung als Vielleichtmatrose, lasse die Stammbesatzung die Segel bergen und verziehe mich in die Koje.

Tipps & Informationen

Törns Die „Sir Robert“ bietet bis Ende Oktober mehrere Segelreisen im Mittelmeer an. Balearen, Sardinien, Sizilien, Liparische Inseln, Korsika, Cote d’Azur, z. B. ab/an Palau Segelreise Sardinien & Korsika, Palermo und Villefranche-sur-Mer in Frankreich. Die Preise beginnen bei 1595 Euro p. P./VS, 6 Nächte, VP & Tischgetränke, inkl. Drei-Gänge-Dinner. Nähere Infos auf www.sir-robert.com

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch „Sir Robert“.)