Bordeaux. Grandezza hatte Bordeaux schon immer. Jetzt ist die Stadt an der französischen Atlantikküste auch bei Design, Kunst und Kultur hip.

Seit 1. Juli 2017 ist die Hauptstadt von Nouvelle Aquitaine nur zwei Bahnstunden von Paris entfernt. Immer mehr Parisern gefällt das. Sie pendeln mit dem TGV nach Bordeaux. Das lässt die Immobilienpreise an der Garonne explodieren. Und beschert der Stadt eine ungeheure Dynamik.

Wie sehr sich Bordeaux bereits in den vergangenen Jahren verwandelt hat, zeigt Adrien. Der 37 Jahre alte Pariser kehrte 2009 der Hauptstadt den Rücken und zog ans Ufer der Garonne. Drei Jahre später gründete er die Bordeaux Greeters. Seitdem verrät er bei Stadtspaziergängen Lieblingsecken, In-Viertel und Quartiere, die in kaum einem Reiseführer zu finden sind.

Der Glockenturm ist der höchste Aussichtspunkt

Denn dort stehen nur die Klassiker: die Esplanade des Quinconces, mit 12.000 Quadratmetern der größte innerstädtische Platz Europas, das Triangle d’Or mit seinen Boutiquen, Feinkostläden und Bistros rund um den Marché des Grands Hommes und die Kathedrale Saint-André.

Ihr Glockenturm ist der schönste und höchste Aussichtspunkt von Bordeaux – 231 Stufen lang windet sich im Tour Bey-Perland die Wendeltreppe zum Traumblick hinauf. „Klar, das sind die Highlights – immerhin gehört die Altstadt zwischen den Boulevards und der Garonne seit 2007 zum Welterbe“, erklärt Adrien und reicht eine Tüte.

Erinnerungen an Pariser Passagen

„Baillardran“ steht darauf. Darin ein Canelé, ein karamellisierter Minigugelhupf mit Rum-Vanille-Aroma. „Ein altes Kloster­rezept – als kleine Stärkung für 1,2 Kilometer Shopping!“ Denn so lange ist die Rue Saint- Cathérine, in der In-Labels wie Lush auf inhabergeführte Boutiquen, französische Ketten und das Künstlerkollektiv „Wap Doo W“ folgen.

Mit Eisentoren an den Eingängen, Marmorsäulen und nostalgischem Eisen-Glas-Gewölbe weckt nahebei die Galerie Bordelaise Erinnerungen an Pariser Passagen. Fernab vom Verkehr flanieren wir so zu einer Lagerhalle für Kolonialwaren, die Jean-Louis Froment bereits 1973 in Frankreichs erstes Museum für zeitgenössische Kunst verwandelte: das Musée d’Art Contemporain (CAPC).

200 Kilometer Radwege in und um Bordeaux

Paris war mit dem Centre Pompidou erst vier Jahre später dran. Die Rampen und Treppen am Kai sind das Terrain der Skater, die mit waghal­sigen Sprüngen die Blicke der Passanten auf sich ziehen. Andere „hangar“, Hafenlager am Garonne-Kai, haben charmante Bistros wie L’Assiette Bordelaise erobert – Sonnenter­rasse inklusive! Hangar 14 wandelte sich zum Messe- und Kongresszentrum, Hangar 15–19 zum Quai des Marques – alle In-Labels sind im Shoppingcenter versammelt.

Eine Straße im Village Notre-Dame am linken Ufer der Garonne.
Eine Straße im Village Notre-Dame am linken Ufer der Garonne. © Hilke Maunder | Hilke_Maunder

Langsam schmerzen die Füße. Größere Kreise kann man mit einem Stadtrad von VCUB ziehen. 200 Kilometer Radwege führen zu den schönsten Ecken in und um Bordeaux – zu grünen Oasen wie Le Lac mit seinem ­Blumenpark, in dem jeden Sommer 479 alte Rosensorten blühen, dem Jardin Public mit botanischem Garten am Cours de Verdun. Oder zum Place de la Bourse, wo Michel Corajoud im Schatten der drei Grazien ein riesiges Wasserspiel geschaffen hat – den Miroir d’Eau.

Mal schießen kleine Fontänen hoch, dann wieder liegt der Platz wie ein Spiegel da, ehe feinster Nebel völlig neue Szenerien schafft. Märchenhaft schön und fast mystisch. Vorbei an Fassaden mit englischer Anmutung führen breite Radwege weiter zum Notre-Dame-Viertel, wo die urbane Grandezza alternativer Gemütlichkeit weicht. Stockrosen und Kopfsteinpflaster, kleine Boutiquen, trendige Cafés – ein Hauch von Prenzlauer Berg im Herzen von Bordeaux.

Alte Keller wurden zu Galerien oder Wohnungen

Ganz verändert hat sich auch das Chartrons-Viertel, das alte Quartier protestan­tischer Kaufleute aus Holland, England und Deutschland, die vor den Mauern der katholischen Stadt mit Zucker, Kaffee und „Ebenholz“ (Sklaven) reich wurden. In den „chais“ von Chartrons schlug einst das Herz des Bordelaiser Weinhandels. Diese Keller aus dem 18. Jahrhundert zeigen heute als Entrepôt ­Lainé aktuelle Kunst, verwandelten sich in Wohnungen oder wurden mit Glasdächern zu Kreativ- und Handwerkshöfen verbunden. Die Fassaden hat Street-Art erobert.

Die neue Balkenbrücke Pont Chaban-Delmas führt hinüber zum Rive Droite. Am rechten Garonne-Ufer hat sich die einstige „Ca­serne Niel“ in die Zukunftsschmiede von Bordeaux verwandelt: „Darwin“. Zwischen Bio-Markt, Skater-Halle, Stadtgarten und Event-Bühne ver­stecken sich Büros und Flächen für Co-Worker und Gründer.

„Neue Formen des Lebens und Genießens“

„‚Darwin ist ein Labor: für neue Formen der Zusammenarbeit, des Lebens und Genießens“, sagen Jean-Marc Gancille und Philippe Barre und erzählen, wie die Umnutzung auch andere industrielle Altlasten des Rive Droite erfasst hat.

In La Chiffonne Rit, einst eine Autowerkstatt, fertigen Kunsthandwerker aus Stoff, Papier, Leder und Eisen stylishe Unikate. Auch die Fa­brique ­Pola lädt heute zum Dialog mit den Kreativen, die im einstigen Postverteilzentrum von Bègles Ateliers, Ausstellungsflächen und Wohnraum erhalten haben.

Ein architektonisch außergewöhnliches Weinmuseum

Die einstigen Proviantlager der Marine hat Jean-François Buisson als „Les Vivres de l’Art“ mit neuem Leben erfüllt. Die Gebäude nutzt er als Werkstatt für seine Knochen- und Eisenskulpturen, den vergessenen Garten machte er mit fantasievollen Freiluftskulpturen und einer Brauerei zum kreativen Hotspot. Eine „Domaine de Possible“ nennt er sein Projekt: „Hier ist alles möglich!“

Zu den „Grand Projets 2030“, welche die Stadtväter angeschoben haben, gehört neben der Neunutzung alter Industriebrachen auch das Weinmuseum Cité du Vin, dessen ungewöhnliche Architektur das Schwenken des Weinglases zitiert. Drinnen birgt das neue Wahrzeichen von Bordeaux neben Büros, Verkostungs- und Event-Räumen samt Bibliothek eine Dauerausstellung, die zur virtuellen Reise durch Weinbaugebiete der Welt lädt.

Das Weinmuseum Cité du Vin: Die außergewöhnliche Architektur zitiert das Schwenken eines Weinglases.
Das Weinmuseum Cité du Vin: Die außergewöhnliche Architektur zitiert das Schwenken eines Weinglases. © Hilke Maunder | Hilke_Maunder

Kameras schwenken über Weinberge im Kaukasus und am Kap, Winzer erzählen von ihrer Passion, Sensorik-Stationen laden ein, den eigenen Geruchssinn zu testen: Was für Aromen verstecken sich im Schnüffelrohr? Verkostet werden sie zum Abschluss im achten Stock: Die Panorama-Bar lädt zur Wein­probe mit Rundblick!

Gemüsebauern, Trüffelzüchter und Bäcker verkaufen lokale Genüsse

Am 15. Juni 2018 will als nächste Megaschau auf sieben Etagen das Musée de la Mer et de la Marine eröffnen. Dazu schickte das Pariser Musée Marmottan 41 Werke eines ­Malers nach Bordeaux, der wie kein Zweiter fasziniert war vom Meer, dem Spiel von Licht, Wellen und Materie: Claude Monet. In Le Havre begründete Monet mit seiner „Impression der aufgehenden Sonne“ einen neuen Stil; auf der Belle-Île hielt er die wilde Côte Sauvage in immer neuen Variationen auf der Leinwand fest. Bis 31. August sind die Werke des Impressionisten in Bordeaux zu sehen.

Eröffnet wird das Meeres- und Schifffahrtsmuseum in nächster Nähe zu den Bassins à flot, wo Bordeaux seit 2010 auf 162 Hektar eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas umsetzt. 2025 soll die Antwort auf Hamburgs HafenCity fertig sein. Schon heute lockt das Areal der einstigen ­U-Boot-Basis mit Ausstellungen, Konzerten, Tanz und Theater.

Bordeaux’ erste Whiskey-Brennerei

Und mit einer neuen Markt­halle, in der 21 kleine Produzenten – Schlachter, Weinhändler, Trüffelzüchter, Bäcker und Gemüsebauern – lokale Genüsse verkaufen. In einem Bunker versteckt sich Bordeaux’ erste Whiskey-Brennerei: Moon Harbour – der Name verweist auf den Halbmond, den die Garonne in Bordeaux bildet, und die Lage am Hafen, wo der Nektar für den Pier 1 Blended Whiskey (45,8 Prozent) in alten Sauternes-Eichenfässern zur Vollendung reift.

Mitten in dem Revitalisierungsgelände schmückt zwischen Holz, Stahl und Beton plötzlich ein rostiges Vehikel die Fassade. „Garage Moderne“ steht über dem Gefährt, das schon deutlich bessere Tage gesehen hat. Einige Stühle und Tische bevölkern den kleinen Innenhof. Aus dem Innern des Schuppens dringt Werkstattlärm. Drinnen arbeiten Frauen und Männer Autos und Fahrräder auf, reparieren jeden fahrbaren Untersatz – und vermieten ihre Halle als Event-Location.

Santé, Bordeaux!

Langsam wird es Abend. Im Licht der untergehenden Sonne leuchten die Sandsteinfassaden der Stadt. Bars und Restaurants füllen sich. Am Kai der Garonne legt die ­„Sicambre“ zur Dîner-Kreuzfahrt ab. Die Weingläser füllen sich mit den Roten aus Margaux, den Süßweinen von Sauternes. Rothschild, Lafite, Pichon-Baron – Namen wie Musik.

Mal ein Crescendo, das alle Sinne gefangen nimmt. Dann ein stiller Zauber, der sich entfaltet. Überirdisch schön, wie der Blick vom Boot, das langsam den Fluss entlanggleitet, während die Nacht sich senkt und Strahler Plätze und Häuser stimmungsvoll ­illuminieren. Santé, Bordeaux!

Tipps & Informationen

Anreise z. B. ab Hamburg nonstop mit Easyjet nach Bordeaux, alternativ mit Air France über Paris oder KLM über Amsterdam nach Bordeaux.

Unterkunft z. B. im Hôtel des 4 soeurs, top zentral gelegen zwischen dem Grand Théâtre und dem Place des Quinconces ist das Stadthotel mit 34 Zimmern im Drei-Sterne-Standard; DZ ab 75 Euro, 6, Cours du 30 Juillet, Tel. 05 57 81 19 20, http://quatre-soeurs.hotel-bordeaux-centre.com; oder Le Saint-James – als Balkon von Bordeaux gilt Bouliac, schönster Logenplatz ist das luxuriöse Hôtel Saint-James, das der Stararchitekt Jean Nouvel 1989 erbaute; DZ ab 195 Euro, 3, place Camille Hostein, Tel. 05 57 97 06 00, www.saintjames-bouliac.com

Entdeckerkarte Freie Fahrt im Nah­verkehr und roten Doppeldecker-Sightseeing-Bus, kostenlose Besuche in Museen sowie viele Rabatte bietet der Bordeaux City Pass für einen, zwei oder drei Tage, www.bordeaux-tourismus.de

Mini-Kreuzfahrt Auf der Garonne, der Dordogne und der Gironde degustiert man beim Bordeaux River Cruise die Weine des Bordelais oder genießt ein Dîner zum Welterbe, das vorbeigleitet (http://croisiere-bordeaux.com).

Auskunft Bordeaux Tourisme et
Congrès, 12, Cours du 30 Juillet,
Tel. 0033/5/56 00 66 00,
www.bordeaux-tourisme.com

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Bordeaux Tourisme et Congrès.)