Glasgow. Seit den 90er-Jahren konnte sich die einstige Industriestadt von ihrem Schmuddel-Image konsequent befreien – Glasgow hübscht sich auf.

Wäre der Titel „Graue Stadt am Meer“ nicht schon an ­Husum vergeben, wäre das regnerische Glasgow ein Anwärter. Nicht schlimm, als Besucher weiß man ja, dass Schottland nicht mit Tiefdruckgebieten geizt. „Artgerechte ­Haltung“, sagte ein humorbegabter Kollege, als wir uns an einem Regentag auf den Weg durch die Stadt machten.

„Hier wird kaum noch produziert, wir sind fast ausschließlich Dienst­leister. Das ist Mist“, sagt der Taxifahrer. Er weist damit auf die wechselvolle Geschichte seiner Stadt hin, die er mehr schätzt als den nur eine gute Stunde Fahrzeit mit dem Zug entfernten ewigen Konkurrenten Edinburgh. Glasgow war lange Zeit eine Industriestadt, in der Schiffe und Züge gebaut wurden. Unter dem Niedergang der Schwerindustrie hatte sie heftig zu leiden. Seit den 90er-Jahren befreite sich die drittgrößte Stadt Großbritanniens aber konsequent vom Schmuddelimage.

Studenten der School of Art führen Touristen durch die Stadt

Der Werbeslogan der Stadt lautet heute „People make Glasgow“ – die Leute machen Glasgow aus. Zurzeit sind das 600.000. Aber es geht ja nicht nur um die Masse, sondern auch um die Spitze. Zu den bekannten Glasgowern zählen der Labour-Politiker Gordon Brown, Schauspieler Robert Carlyle und der Fußballer Kenny Dalglish. Mit der Gruppe Franz Ferdinand, Travis, Donovan, Mark Knopfler, Simple-Minds-Sänger Jim Kerr und Texas-Sängerin, Sharleen Spiteri sind erstaunlich viele Musiker darunter, dazu später mehr.

Die Stadt hübscht sich auf, zum Beispiel mit großformatigen Mauerbildern. Seit 2008 wurden zahlreiche von ihnen in Auftrag gegeben. Sie prangen auf leer stehenden Gebäuden, Plakatwänden, die Brachen begrenzen. Man verfolgt mit ihnen gleich mehrere Ziele. Unattraktive Flächen im Stadtbild werden aufgewertet, sie stehen auch für einen neuen Zugang zur Kunst, der nicht nur der Elite, sondern auch der Gemeinschaft zugänglich ist. Und sie fungieren als Eyecatcher für Touristen. Es gibt einen Rundweg, den Glasgow City Centre Mural Trail, der viele von ihnen miteinander verbindet.

Studenten der Glasgow School of Art bieten Touren an, auf denen sie architektonische Besonderheiten der Stadt erklären. Als Institution und Architekturdenkmal ist auch die Schule ein Aushängeschild der Stadt. Das Gebäude entwarf der wohl bekannteste Glasgower Architekt Charles Rennie Mackintosh, der zahlreiche architektonische Spuren hinterließ. Die Königlich Britische Architektenkammer verlieh der Kunsthochschule, die durch einen Brand im Mai 2014 heftig beschädigt wurde, den Titel „bestes Gebäude der vergangenen 175 Jahre“.

Im Barrowland Ballroom ist seit 1934 aufgetreten, wer Rang und Namen hat

Und auch Musik kann Glasgow. Die Unesco machte die Stadt 2008 zur ­„City of Music“. Durch die Vielzahl kleiner Clubs wurde die Metropole zum Sprungbrett für viele Karrieren. Am Club The Clutha Bar sind viele Musiker als Graffiti verewigt, die eine besondere Beziehung zum Club oder zur Stadt haben. Frank Zappa, Billy Connolly, Gerry Rafferty und Woody Guthrie findet man dort zum Beispiel. Musikjournalistin Fiona Shepherd kann zu jedem der Bilder eine Anekdote erzählen.

Einer der berühmtesten Clubs der Stadt ist der Barrowland Ballroom. Seit 1934 ist hier aufgetreten, wer in der Musik Rang und Namen hat. Ein paar Straßen entfernt erinnert der Barrowland Park an die Geschichte. Darin findet man einen vielfarbigen Betonweg, den „Album Pathway“, der an die mehr als 2000 Bands und Künstler, die seit 1983 dort aufgetreten sind. Jede Farbe steht für ein Konzert, das Ganze soll an ein Plattenregal erinnern. Es liest sich wie ein „Who’s who“ der Pop- und Rock­musik: Blondie, The Kinks, Kraftwerk, Elvis Costello, Simple Minds, Deep Purple, Motörhead.

Fiona erzählt, dass David Bowie ­besonders von der Sternenhimmeldeko im Club angetan war. Beim Soundcheck soll dann einer der Sterne vom ­Bühnenhimmel gefallen sein. Oder ­gefallen worden sein, denn die Bühnenarbeiter dürften gewusst haben, dass Bowie zu Beginn seiner Karriere die Persona ­Ziggy Stardust verkörperte. Fiona führt ein paar Straßenecken ­weiter in das Britannia Panopticon, eine Musikhalle, in der seit 1850 Schauspieler und Comedians auf der Bühne standen.

Geadelt wird es durch die Tatsache, dass ein gewisser Arthur Stanley ­Jefferson hier mit 16 Jahren seinen ­ersten öffentlichen Auftritt absolvierte. Als Partner von Oliver Hardy („Dick und Doof“) erspielte er sich später als Stan Laurel Weltruhm. Für sein Debüt hatte er sich einen Anzug von seinem Vater geliehen. Eigentlich sollte Laurel etwas anderes geplant haben, aber als ihm nach wenigen Minuten der Anzug aufriss, war klar, wohin ihn der Wind wehte: zum Slapstick.

Ein paar Jahre später reiste er als Zweitbesetzung von Charlie Chaplin in die USA. Der Rest ist Filmgeschichte. Heute ziert eine Plakette die Hauswand des Etablissements, das für ihn zum Sprungbrett wurde. Ähnlich wie Hogwarts für Harry Potter. Viele Besucher der Universität von Glasgow fühlen sich durch die Gebäude auf dem Campus am Gilmorehill an das Zaubererinternat erinnert. Sie sind es zwar nicht, aber etwas Magie kann ja nicht schaden. Gezaubert wird an der Lehreinrichtung, die sieben Nobelpreisträger und einen Premierminister hervorbrachte, aber eher weniger.

Das Nationalgetränk Whisky gibt es in ungezählten VariationenLord Kelvin arbeitete dort ebenso wie der Ökonom Adam Smith.

Gleich nebenan erhebt sich das in rotem Sandstein erbaute Kelvingrove Museum. Nur das British Museum in London hat in Großbritannien noch mehr Besucher. Die Ausstellungsstücke sind eine Mischung aus Waffen, Rüstungen, einer naturgeschichtliche Sammlung und einer Kunstkollektion. Eine der Attraktionen ist das Bild „Der Christus des Hl. Johannes vom Kreuz“ von Salvador Dalí. Wie fast alle Museen der Stadt bietet es freien Eintritt an, würde aber eine Spende nicht verschmähen. So manche Städtereisende interessieren sich mehr für Einkaufsmöglichkeiten. Hier hat Glasgow eine Menge zu bieten. Die internationalen Konzerne findet man in der Fußgängerzone der Buchanan Street.

Wer es individueller mag, kommt im West End, in Designermöbel- oder -klamottenläden der Byres Road und der Ashton Lane auf seine Kosten. Hier gibt es viele Möglichkeiten, sich um ­einige Pfunde (Sterling) zu erleichtern. Die können gleich in Form von Kilogramm wieder rauf. Die Gastronomieszene der Stadt hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht und unterläuft systematisch das schlechte Renommee der britischen Küche.

Auch empfiehlt sich das maßvolle Konsumieren des schottischen Na­tionalgetränks. Whisky gibt es in un­gezählten Farben und Geschmacks­noten von Holztönen über torfig bis ­zu milden Varianten. Wer im Pub The Ben Nevis an der Ar­gyle Street mit dem Wirt Alan ins Gespräch kommt, wird bald eine Batterie Flaschen und Gläser vor sich haben. Mit einem Strohhalm holt Alan wie mit einer Pipette etwas Eiswasser aus einem Glas und lässt es in den Hochprozentigen laufen. „Wasser öffnet das Aroma“, sagt er. Das ­Ergebnis überzeugt.

Vielleicht ist das ja mit Glasgow so ähnlich: Die Stadt bei Sonnenschein zu mögen, ist leicht – wer aber wissen will, wie sie wirklich tickt, sollte sie im ­Regen erleben.

Tipps und Informationen

Anreise: z. B. von Hamburg mit KLM über Amsterdam nach Glasgow oder nonstop von Berlin mit Ryanair.

Übernachten: z. B. zentral im Citizen M Hotel, DZ ab 95 Euro, ; oder im Hilton Garden Inn Clyde, DZ ab 137 Euro,

Essen: z. B. The Gannet, 1155 Ar­gyle Street, oder im Cail Bruich, 725 Western Road; Frühstück im Riverhill Restaurant and Bar,

Whisky Tasting: The Ben Nevis, 1147 Argyle Street;

Sehenswürdigkeiten: Kelvin­grove Art Gallery and Museum, Argyle Street; The Mackintosh House.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Ryanair.)