Auckland. Holz hacken, Kühe hüten, Fisch räuchern: Mit Work & Travel verdienen sich Reisehungrige Kost und Logis in faszinierender Landschaft.

Seit fast einer halben Stunde liegt die Straße auf der Südinsel von Neuseeland verlassen da. Weit und breit kein Auto zu sehen. Wind bürstet eine Gruppe Büsche gegen den Strich; die Blätter flirren im Sonnenlicht. Grüne Wiesen, wohin ich auch schaue, und im Hintergrund Berge.

So langsam verlässt mich die Hoffnung, dass mich doch noch jemand nach Bluff mitnimmt. Vielleicht hätte ich doch den dicken Wollpullover von Oma einpacken sollen, den sie mir eigens für meinen Tripp gestrickt hatte. Aber der liegt jetzt 20.000 Kilometer entfernt zu Hause. Langsam werde ich nervös: Die Fähre von Bluff (ja, der Ort heißt wirklich so!) nach Stewart Island fährt in zwei Stunden. Mir rennt die Zeit davon. Ein Glück, dass endlich ein Auto am Ende der Straße ­auftaucht. Ich schultere mein Backpack und stürze mich ins Abenteuer.

Etabliertes und unkompliziertes System

Ein Jahr Neuseeland per Work and Travel – das ist der Plan. Das heißt: sich mit Arbeit die Reise am anderen Ende der Welt zu verdienen. In Neuseeland ist das ein etabliertes und ziemlich unkompliziertes System. Trotzdem stehen nach dem langen Flug erst einmal Formalitäten an. Das Wichtigste zuerst: Bank­konto eröffnen, Steuernummer organisieren. Denn: Keine Steuernummer, kein Job. Hört sich nervenaufreibender an als gedacht. Denn hier fährt die Bürokratie auf dem Expressweg.

Diese zwei Dinge, zusammen mit einer neuseeländischen Handynummer, sind erst einmal alles, was man zum Start braucht. Wer mit der hier weitverbreiteten „Work hard, play hard“-Mentalität (zu Deutsch etwa „Erst harte Arbeit, dann ausgiebiges Vergnügen“) gut zurechtkommt, dem stehen alle Türen offen.

Überraschend: Die Bezahlung kann sich sehen lassen. Bei einem Mindestlohn von 16 Neuseeland-Dollar, umgerechnet etwa 11,50 Euro, können junge Traveller in wenigen Wochen genug Geld verdienen, um danach einige Monate lang unbeschwert zu reisen.

Sehr beliebt ist „Wwoofing“: das Arbeiten auf Öko-Farmen

„Weißt du schon, wohin du als Nächstes willst?“, fragt mich Ian, mein Kollege, in unserem etwas außerhalb von Auckland gelegenem Hostel auf der Nordinsel. Wir arbeiten hier als sogenannte Houseangels: Jungs für alles. Vom Rezeptionsdienst bis hin zum Bettlakenwechseln kümmern wir uns um das, was in dieser Art Jugendherberge anfällt. Wir haben uns bei einem Bungee-Jump in Neuseelands größter Stadt kennengelernt.

Die Metropole ist auf den ersten Blick kaum von westlichen Großstädten zu unterscheiden: Das Finanzzentrum Neuseelands erhebt sich mit Bürotürmen im Stadtkern, ausgiebig grüne Wohngegenden drum herum. Aber Auckland reizt nicht nur durch Jobs und Extremsport, sondern auch durch seine Barkultur, kleine Szeneclubs und laue Sommernächte am Hafen.

Ian kommt aus Irland und ist schon seit acht Monaten im Kiwiland. Nächste Woche hat er einen „Wwoofing“-Platz auf einer Farm in der Waikato-Region bekommen. Die liegt im Zentrum der Nordinsel. Aber was ist bitte „Wwoofing“? Ian erklärt: „Weltweites Arbeiten auf Bio-Farmen, und das ist total klasse!“ Man meldet sich im Internet an, schreibt die Leute an, die Arbeit anbieten oder Hilfe brauchen.

Vier Stunden Arbeit gegen Kost und Logis

Sobald man dort ist, kann man schauen, ob man sich sympathisch ist und wie lange man bleiben mag. Arbeitszeit: rund vier Stunden täglich, dafür werden Kost und Logis gestellt. Zeit genug, die Gegend neben dem Job zu entdecken. Cooles Konzept! Es bringt mich auf den Sitz eines Traktors.

Trecker fahren macht mehr Spaß als ­gedacht. Das ist allerdings nicht das Einzige, was ich im Laufe der Zeit bei Yolene und Hugh lerne. Die beiden haben eine kleine Farm, etwa 60 Kilometer nördlich von Christchurch an der Ostküste der Südinsel gelegen. Die nächsten Tage hacke ich Holz, spiele Kuhhirte und fahre die umliegenden Hügel mit dem Quad-Bike rauf und runter: Irgendjemand muss ja darauf aufpassen, dass die Tiere nicht durch so manches Loch im Zaun ausbüxen.

Auf der Farm in Christchurch gab es den besten Apfelkuchen der Welt

Sich darauf zu konzentrieren, ist jedoch nicht so einfach. Zu weit ist der Ausblick über die ­Berge, zu stürmisch der Wind, der durch die Weiden weht. Im Osten lässt sich der Pazifik erkennen, und ich erahne einzelne Schaumkronen. Kontrastprogramm zum vorherigen Hostel-Job also. Aber das macht das Land und auch die Arbeit in Neuseeland so unvergleichlich abwechslungsreich.

Hugh ist ein waschechter Kiwi: Holzfällerhemd, tiefe Stimme und immer lächelnd. ­Seine Frau Yolene oder einfach „Yo“ stammt ursprünglich aus Holland. Während sich ihr Mann um die Farm kümmert, arbeitet sie als Lehrerin und backt den besten Apfelkuchen der Welt. An meinem letzten Abend nach zwei Wochen fragen die beiden, ob sie mich irgendwo hinfahren sollen. Ich nehme ihre Hilfe, in die nächste Stadt zu kommen, dankend an. „Und von da aus?“, fragt Yo. Sie klingt besorgt, und mir fällt ein, dass sie drei Kinder in meinem Alter hat. „Ich will nach Stewart Island!“

Work and Travel Neuseeland
Work and Travel Neuseeland © Karl Jurczyk | Karl Jurczyk

Stewart Island – der südlichste besiedelte Fleck Erde

Wie ich dort hinkomme, schaue ich spontan“, gebe ich zu. „Stewart Island? Was willst du denn da?“ Ans südliche Ende Neuseelands will ich schon, seit ich zum ersten Mal davon gehört habe. Der letzte besiedelte Flecken Erde auf dem Weg zum Südpol. Klingt nach Abenteuer. „Da unten ist es ziemlich kalt. Hast du genug warme Kleidung?“

Yo drückt mir ein Paar Wanderstiefel, lange Unterhosen und einen gefütterten Overall ihres Sohnes in die Hände. Momente wie diese kommen in Neuseeland öfter vor. Augenblicke endloser Gastfreundschaft und Nächstenliebe. Kein Wunder, dass ich mich in diesem Land so geborgen fühle. Ich verspreche, zumindest eine Postkarte vom Ende der Welt zu schreiben.

Am Ende der Welt bekommen auch andere Dinge eine Bedeutung

In Neuseeland kann man jemand sein, der man zuvor nicht war. Oder hat man es früher nicht bemerkt? Andere Dinge als noch in Europa bekommen eine Bedeutung. Tempo und Stress der Großstadt werden gegen Ruhe und Gelassenheit auf dem Land eingetauscht. Aus langen Nächten werden lange Morgen – mit ausgiebigen Spaziergängen bei Sonnenaufgang.

Dabei ist es ja nicht so, dass man in Neuseeland nicht auch lange Nächte durch­feiern könnte. In Queenstown beispielsweise, einer der angesagtesten Städte der Südinsel, kann man fast jeden Tag bis morgens um fünf tanzen gehen. Alles eine Frage der persönlichen Vorlieben. Für den einen liegt der größte Reiz in einer Trekkingtour durch die Schluchten und über die Gipfel rund um Arthur’s Pass im Norden der Südinsel. Kilometerlang allein oder zu zweit auf dem Dach der Welt.

Kein Geländer, nur der Abgrund

So hoch wie im Himalaya ist es hier zwar nicht, aber abenteuerlich genug: Wo die Wanderwege in den Alpen mit einem Geländer gesichert sind, gähnt hier nur ein tiefer Abgrund. Der Lohn der Angst: das Mittagessen auf der Bergspitze! Es gibt Sandwiches und Kaffee aus der Thermoskanne, umgeben von Schnee und hung­rigen Keas, papageiähnlichen Vögeln. Dazu ein Blick, der in die Unendlichkeit reicht.

Wer es lieber sonnig mit Strand und Meer mag, der wechselt auf die Nordinsel und zieht nach Napier zum Surfen. Nur: Wer die besten Wellen erwischen will, der muss am nächsten Tag früh hoch. Adrenalin schießt in die Adern, sobald man sich zum ersten Mal aufs Board hievt. Das Nachmittagsprogramm: sich mit einem Buch neben die Robben auf den Strand setzen. Die tun einem nichts und lassen sich lieber die Sonne auf ihren Pelz scheinen.

Man sitzt mit fremden Menschen im Auto und tauscht Lebensgeschichten aus

Zurück an der verlassenen Straße auf meinem Weg nach Bluff: Bis hierher hat mich ein junger Franzose im Auto mitgenommen. Netter Kerl, gute Gespräche und eine Avocado gab es gratis dazu. Allerdings reichte unser gemeinsamer Weg nur rund 60 Kilometer. Immerhin ein Drittel der Strecke bis nach Bluff. Von dort aus ist das nächste Ziel noch eine Stunde mit der Fähre entfernt. Sofern ich diese noch erreiche, versteht sich. Das Auto, das jetzt auf mich zukommt, stellt sich als alter VW-Bulli heraus. „Hey Mate, wo soll’s denn hingehen?“ Und erneut sitze ich mit einem mir unbekannten Menschen Seite an Seite und tausche Lebensgeschichten aus.

John ist ein Maori wie aus dem Bilderbuch: schwarzes, krauses Haar, die Arme mit Tattoos übersät, ein Hüne von einem Mann. Er sei das Jüngste von acht Geschwistern, erzählt er. Dazu kommen sechs Halbgeschwister und über ein Dutzend Nichten und Neffen. Wir vergleichen ein wenig unsere Familien­feiern, unsere Jobs und Interessen.

Work and Travel Neuseeland
Work and Travel Neuseeland © Karl Jurczyk | Karl Jurczyk

Lachsfangen am Ende der Welt

Er erzählt vom Aufwachsen in Armut und von Drogenmissbrauch, der unter der Maori-Bevölkerung zunimmt. Für mich eine neue Sicht auf Neuseeland. Kurz vor Bluff lässt er mich raus, die übrigen fünf Kilometer muss ich laufen. Eine Stunde im Auto mit John, dem Familienmenschen von der anderen Seite der Welt.

Ich rufe Pam an. Sie ist die Frau, für die ich auf Stewart Island in einem Fischbetrieb arbeiten werde. „Ich hab’s geschafft!“, keuche ich ihr entgegen, als ich am Kai der Fähre ankomme. „Gut, ich hol dich in einer Stunde ab. Dann essen wir, und danach geht es ins Bett. Morgen früh ist Lachsefangen angesagt! Da musst du fit und ausgeschlafen sein“, entgegnet sie und legt lachend auf. Na, halleluja, ­denke ich. Auf geht’s ins nächste Abenteuer.

Tipps & Informationen

Anreise z. B. mit Emirates und Qantas über Dubai nach Auckland oder mit Lufthansa und Air New Zealand über Frankfurt und Hongkong.

Work & Travel Das Working Holiday Visa für Neuseeland kostet rund 200 Euro und ist für zwölf Monate gültig.
Für Neuseeland sind keine zusätzlichen Impfungen notwendig.

Auskunft zu Visa und Einreise unter www.immigration.govt.nz – zu Jobs und Geheimtipps unter www.wwoof.nz und www.backpackerboard.co.nz

Allgemeines zu Neuseeland im Internet auf www.newzealand.com/de