Anchorage. Die Alaska Railroad schlängelt sich von Seward bis Fairbanks. Panoramawagen bieten grandiose Aussichten auf Amerikas Nordwest-Zipfel.

Dustin Slinker ist ein Meister des Filetierens. Lachse sind sein Metier. Um sie fachgerecht zu zerteilen, wetzt er während der Sommersaison von früh bis spät das Messer. In Anchorage beginnt die Wildnis mitten in der Stadt. Am Ufer des schlammigen Ship Creek stehen Einheimische und Touristen in langen Gummistiefeln oder Wathosen. Alle hoffen auf den großen Fang.

Meist müssen sie nicht lange warten. Das Gewässer ist voll von Königs-, Silber-, Rotlachsen und Forellen. „Zehn Pfund bringen sie auf die Waage. Richtig dicke Brummer bis zu 30“, sagt Dustin. „Die fischreichsten Monate sind Mai und ­Juni.“

Mit dem Goldrausch begann der Bau der Alaska Railroad

Als Fallschirmspringer bei der US-Army sprang Dustin irgendwann auch über Alaska ab und verliebte sich in den flächenmäßig größten amerikanischen Bundesstaat. Seit sieben Jahren betreibt er seine Köderhütte „The Bait Shack“ direkt am Ship Creek. Dort verkauft er nicht nur Angelscheine, verleiht Ruten und Gummistiefel, sondern portioniert den Fang auch gleich für seine Kunden.

Nur ein paar Schritte vom Ufer entfernt leuchtet das weiße Bahnhofs­gebäude der Alaska Railroad (ARR). 1904 erfolgte der erste Spatenstich für die normalspurige Linie, denn in Fairbanks setzte der Goldrausch ein, und in der Gegend um Matanuska und Healy wartete Kohle auf ihren Abtransport.

Erdrutsche, Permafrost, Lawinen und Steinschlag

Seward im Süden des Landes an der eisfreien Resurrection Bay war der ideale Ort, um die Güter per Dampfschiff weiterzubefördern. Doch die ersten beiden privaten Betreibergesellschaften gingen pleite. Unter Federführung der amerikanischen Regierung ging es schließlich weiter. Am Ship Creek entstand ein Camp für Ingenieure und Bauarbeiter.

1915 erhielt die Zeltstadt den Namen Anchorage – heute mit über 300.000 Einwohnern die mit Abstand größte Stadt des 49. Bundesstaates. 5000 Arbeiter benötigten acht Jahre für den Bau der Bahntrasse. Erdrutsche, Permafrost, Lawinen und Steinschlag waren die schlimmsten Hindernisse.

Von Mai bis September starten drei Züge täglich

Am 15. Juli 1923 schlug der damalige Präsident Warren Harding in Nenana zunächst zweimal daneben, aber dann doch den „goldenen Nagel“ ein. Die 750 Kilometer lange Route vom Tiefseehafen Seward auf der Halbinsel Kenai durchs Hinterland bis Fairbanks war eröffnet.

Nun, der betriebsamste Bahnhof ist Anchorage nicht gerade. Von Mai bis September starten täglich drei Züge. Zwei gen Süden, einer gen Norden. Sie werden von mächtigen blau-gelb lackierten Stahlkolossen gezogen. Schon früh am Morgen zuckelt der Coastal Classic Train in vier Stunden bis in die kleine Hafenstadt Seward.

James Cook segelte als Erster in die Bucht

Im Zug hat Conductor Vern Gillis das Sagen, er ist Zugführer und Schaffner in einer Person. „Die Alaska Railroad ist mein Zimmer mit Aussicht“, scherzt er. Die Strecke führt ein ganzes Stück am Seward Highway entlang, der die schneebedeckten Chugach Mountains vom Cook Inlet trennt.

Warten auf den großen Fang: Touristen und Einheimische im Ship Creek in Anchorage.
Warten auf den großen Fang: Touristen und Einheimische im Ship Creek in Anchorage. © Getty Images/Lonely Planet Images | Brent Winebrenner

Der Engländer Captain James Cook segelte 1778 als erster Europäer in die Bucht, die einige Jahre später nach ihm benannt wurde. Kurzer Zwischenstopp im ehemaligen Goldminenstädtchen Girdwood. Die Crow Creek Mine erinnert heute noch daran. Längst lebt der Ort vom weißen Gold. Er entwickelte sich zu Alaskas Hauptwintersportresort. Seward verdankt seinen Namen einem amerikanischen Außenminister.

Für 7,2 Millionen Dollar ging der „Eisblock“ an die USA

„Die ersten Siedler der Gemeinde waren Russen, denn bis 1867 gehörte Alaska noch zum Zarenreich. Im 18. Jahrhundert entdeckten russische Pelztierjäger das Gebiet. Mit der Zeit ging die Zahl der Felltiere zurück“, informiert Vern: „Das weit entfernte Terri­torium war für Russland immer schwieriger zu halten. Zudem musste die Staatskasse nach dem verlorenen Krimkrieg aufgefüllt werden.

Also einigten sich Zar Alexander II. und US-Außenminister William Seward per Vertrag, dass Russland den „Eisblock“ Alaska für 7,2 Milli­onen Dollar an Amerika verscherbelt. Die zahlreichen Bodenschätze wie Gold, Silber, Kohle und vor allem Erdöl wurden erst Jahrzehnte später entdeckt.

Hauptaufgabe ist noch immer der Gütertransport

Die Bahn, die die längste Route befährt, verlässt Anchorage Richtung Norden. Es ist der Denali Star Train. 1985 kaufte Alaska die ARR der amerikanischen Bundesregierung ab. Nach wie vor ist der Gütertransport die Hauptaufgabe, aber in den letzten 30 Jahren entwickelte sich die Alaska Railroad immer mehr zur Touristenattraktion.

Lokführer Charles Jones startet die schwere Diesellok mit der Nummer 4321. Seit 27 Jahren ist der Mann aus Chicago für die Alaska Railroad auf der Schiene. Mit maximal 50 Kilometern pro Stunde rattert der Denali Star am Eklutna entlang. „Er ist der Abfluss des türkisfarbenen gleichnamigen Sees“, erläutert Conductor George Huling: „Der See liefert Trinkwasser und ist ein tolles Revier für Kanuten und Radler.“

Die Region um Matanuska, einst vom Kohle­abbau geprägt, ist heute Weideland und der Gemüsegarten Alaskas. „Besonders beliebt bei Elchen sind Brokkoli, Erbsen und Rüben, weshalb alle Felder mit hohen Zäunen umgeben sind“, erklärt George.

Ein Schweizer in Alaska

Einige Meilen vom nächsten Halt Wassila entfernt, lebt Martin Buser ­seinen amerikanischen Traum am Big Lake. Vor 60 Jahren wurde er in Winterthur in der Schweiz geboren. Als junger Mann wanderte er nach Alaska aus. Schon als Teenager faszinierten ihn Schlittenhunde. „Darüber wollte ich ein Jahr lang etwas mehr in Alaska lernen und blieb für immer“, erzählt er. „Ich wurde Schlittenhundesportler und begann, Huskys zu züchten.“

1980 bestritt er sein erstes Iditarod-Rennen, das seit 1973 jedes Jahr zwischen Anchorage und der ehemaligen Goldgräberstadt Nome an der Beringsee stattfindet. Viermal ging er als Sieger hervor. Seine Frau Kathy teilt seine Hundeleidenschaft, und die beiden Söhne Nikolai und Rohn erhielten Namen nach kleinen Ortschaften, die entlang der Strecke liegen.

Das längste Schlittenhunderennen der Welt

Das Iditarod Sled Dog Race, mit circa 1800 Kilometern das längste Schlittenhunderennen der Welt, beginnt immer am ersten Sonnabend im März. „Damit wollen wir die Hundeschlittenkultur aufrechterhalten, und es soll an die Hundeschlittenstaffeln erinnern, die einst auf dem Iditarod-Pfad zwischen Seward und Nome Waren und Post transportierten“, sagt Martin.

Auch dem Serum Run to Nome, dem „Rennen auf Leben und Tod“ von 1925, wird mit dem Lauf gedacht. Damals brach in der Goldgräberstadt Nome Diphtherie aus. Um eine Epidemie zu verhindern, wurde dringend Impfstoff benötigt. Drei Flugzeuge, die das Serum hätten transportieren können, waren im harten Winter nicht einsatzbereit.

Also brachte die Alaska Railroad den lebensrettenden Stoff von Ancho­rage bis Nenana. Ab dort beförderten ihn 20 Musher mit ihren Hunden in fünfeinhalb Tagen tapfer weiter durch eisige Landschaft sowie unwegsames Gelände und retteten Hunderten Menschen das Leben.

Mit Glück ist Mount McKinley zu sehen

Über 100 Kilometer schlängelt sich der Susitna, der sandige Fluss, neben der Bahnlinie her. Wenn das Wetter mitspielt, ist kurz vor Talkeetna bei Meilenstein 224 der Mount McKinley oder Denali über die Wipfel der grünen Mischwälder hinweg zu erkennen, hat Zugchef George verkündet. Doch „der Hohe“ (6190 Meter), was „Denali“ auf Atha­paskisch bedeutet, hüllt sich in eine schützende weißgraue Nebeldecke.

Von Talkeetna starten Touristengruppen zu Rundflügen über den Denali-Nationalpark oder gehen eine Runde Gold waschen. Der blau-gelbe Lindwurm tuckert weiter, inzwischen am Chulitna entlang. Durch Schlamm und Granulat, das die Gletscher ins Wasser spülen, haben sich in der Flussmitte Sandbänke gebildet, auf denen moosgrüne Büsche im Wind wippen. Plötzlich drosselt Lokführer Charles die Geschwindigkeit. Der Denali Star überquert die längste und höchste Stahlbrücke der Trasse, die Hurricane Gulch Bridge, die seit 1921 die Schlucht überspannt. 90 Meter tiefer plätschert der Fluss zwischen Felswänden.

Der Zug brachte die Besucherströme

Die meisten Fahrgäste steigen am Denali-Nationalpark-Bahnhof aus. Vor 100 Jahren eröffnete man das Gelände unter dem Namen Mount-McKinley-Nationalpark. Mit der Alaska Railroad kamen die Besucherströme, um lichte Wälder, schneebedeckte Gipfel, Bären, Elche, Rentiere und andere wilde Tiere zu sehen.

Wer Zeit hat, bleibt einige ­Tage, die anderen besteigen am nächsten Mittag den Denali Star, der aus Fairbanks heranrauscht. Mit lautem Gehupe trifft er nach achtstündiger Fahrt wieder in Anchorage ein. Es schallt hinüber zum Ship Creek, wo immer noch gefischt wird. Zwei Angler schleppen ihre prächtigen Lachse zu Dustins Holzhütte. Der schärft kurz das Messer und macht sich wieder ans Filetieren.

Tipps & Informationen

Anreise Direktflug mit Condor von Frankfurt/M. nach Anchorage

Auskunft www.anchorage.net, www. alaskatravel.com, www.alaskausa.de

Alaska Railroad Sommerzüge verkehren von Mitte/Ende Mai bis Mitte September: www.alaskarailroad.com, auf allen Alaska-Railroad-Strecken gibt es die preiswertere „Adventure Class“, Waggons mit großen Panoramascheiben, z.T. auch Dom Cars (Aussichtswaggons mit Glaskuppeldach, Bistro, Reiseleitung). Im Coastal Classic und Denali Star kann man zusätzlich den „Goldstar Service“ buchen (Aussichtswaggons mit Glaskuppeldach, offene Aussichtsplattform, Frühstück, Mittag-/Abendessen und Getränke im Speisewagen).

Ausflugstipps Lachsfischen am Ship Creek: www.thebaitshackak.com; Anchorage Museum über Geschichte und Kultur: www.anchoragemuseum.org; Alaska Native Heritage Center – Museum über die Ureinwohner von Alaska: www. alaskanative.net;
Girdwood – die ehemalige Goldmine: www.crowcreekmine.com

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Visit Anchorage.)