Port Moresby. In Papua-Neuguinea lebt eine Gesellschaft, die ihre alten Traditionen und Rituale pflegt. Sie kennt aber auch Facebook und Smartphone.

Stellen Sie sich vor, Columbus wäre bei den Indianern mit dem Auto vorgefahren. Vielleicht mit einem von diesen riesigen Geländewagen, mit unverschämt hellem Scheinwerferlicht und ordentlich Wumms hinterm Radio. Oder andersrum: Die zivilisierten Römer wären mühsam nach Norden vorgedrungen, und die Germanen hätten ihre Verteidigung per Smartphone organisiert. Flugs ein paar ­Stämme per Facebook-Post an den Wall ­dirigiert, mit einer WhatsApp-Nachricht Verstärkung gerufen. So ungefähr fühlt sich eine Reise nach Papua-Neuguinea an. Hier wurden Menschen innerhalb weniger Jahrzehnte in die Moderne gebeamt – Pfeil und Bogen in der einen, Handy in der anderen Hand.

Der Kurmunwu kratzt sich am Po. Unter dem „Arschgras“ des Geisterdoktors, wie die großen Blätter, die sein Hinterteil bedecken, wenig nonchalant auf Pidgin genannt werden, juckt es offenbar gewaltig. Rings um seine Rundhütte hängen wie ein Geländer die ­bleichen Unterkiefer von Schweinen, irgendwo hinter den Büschen fährt ein Auto vorbei, aus dessen Lautsprechern Wahlwerbespots dudeln.

Eine Geruchsprobe klärte, dass die Fremden keine Geister sind

Schweine sind wichtig, das lernt man schnell. Sie werden geschlachtet, wenn der Kurmunwu die Götter besänftigt. Sie sind ­Reparationszahlung, wenn die Clans ihre Streitigkeiten beilegen. Sie werden massenweise als Brautpreis bezahlt. Kein Schwein, kein Glück, kein Frieden, keine Frau. So ­einfach ist das.

Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass die ersten „white men“, die dem Hochland einen Besuch abstatteten, ihre Macht an Schweinen demonstrierten. 1933 suchten die australischen Gebrüder Leahy in den Western Highlands nach Gold und fanden Menschen, von deren Existenz niemand etwas ­geahnt hatte. Erst wurden die bleichen Fremden für Geister gehalten, doch eine heimliche Geruchsprobe brachte schnell Ernüchterung: „Ihre Haut ist anders“, erzählt ein Zeitzeuge, „aber ihre Scheiße riecht wie unsere.“

Ein paar Muscheln gegen junge Mädchen

Schweine sind zum Beispiel Reparationszahlung, wenn die Clans ihre Streitigkeiten beilegen.
Schweine sind zum Beispiel Reparationszahlung, wenn die Clans ihre Streitigkeiten beilegen. © HA | Mona Contzen

Ein paar tote Schweine – und Menschen – später war „Masta Mick“ trotzdem der Boss. Bald ­donnerten Flugzeuge über die Köpfe der zu Tode erschrockenen Einheimischen, Michael, der ­Älteste, lieh sich für ein paar Muscheln gern junge Mädchen aus.

Kichern im Saal. Einer der Brüder hatte die Begegnungen mit einer Kamera festgehalten, später wurde daraus ein Dokumentarfilm, der jetzt über den Laptop an die Wand eines modernen Konferenzraums geworfen wird. Die Einheimischen, die zusehen, allesamt gestandene Männer in westlicher Kleidung mit Mobiltelefonen in den Hosentaschen, scheinen an dem Kolonialherrengebaren nichts Verwerfliches zu finden.

Die Mittzwanziger sind mit Fernsehen und Facebook aufgewachsen

Es wirkt fast, als lachten sie sich selbst aus. Ein wenig peinlich berührt, so wie wir lachen, wenn wir Bilder von uns aus den 80ern sehen. „Bis zuletzt wurden die Leahy-Brüder hier respektiert“, sagt ­Michael Wandau, der als eine Art Kultur-Übersetzer in die umliegenden Dörfer führt. „Ohne sie hätten wir all die modernen Dinge nicht.“

Michael gehört zur Generation Y, zu den Mittzwanzigern und -dreißigern, die hierzulande mit Farbfernsehen und Facebook aufgewachsen sind. Als er geboren wurde, gab es im Hochland rings um Mount Hagen gerade den ersten Strom. Jetzt drehen die Frauen in den Dörfern ihre eigenen Handyvideos darüber, wie Touristen in den Dörfern Handyvideos drehen.

Wald und Stelzenhäuser werfen schwarze Schatten auf den dunklen Fluss

Wenn Michael zwischen gruselig maskierten Matsch- und Skelettmännern oder farbenfrohen Begrüßungs- und Balzritualen gefragt wird, ob die traditionellen Kostümierungen und Bräuche denn jenseits der Touristen-Folklore noch gelebt werden, sagt er: „Back in the old days – früher, in den alten Zeiten.“

Der schmale Einbaum wackelt bedenklich. Bei jedem Schub, in jeder Kurve neigt er sich wie ein Motorrad auf die Seite. Zum Sirren der Zikaden gesellt sich ein regelmäßiges Quaken, fast wie die nervtötende Alarmanlage eines Autos. Was auf dem Karawari tagsüber, unter blauem Himmel, eingerahmt von Palmen, noch idyllisch aussah, wirkt plötzlich bedrohlich: Wald und Stelzenhäuser werfen schwarze Schatten auf den dunklen Fluss. Timi, der Krokodilmann, ist auf Pukpuk-Jagd.

Dreimal in der Woche kommt ein Propellerflugzeug in die East-Sepik-Provinz

Heroisch wie eine Gallionsfigur hält er im Bug das Gleichgewicht. Unter ihm die Krokodile. Als das erste Paar glühend roter Augen im Schein der Taschenlampe auftaucht, würgt sein Partner den Motor ab. Dann eine ruckartige Bewegung. Die Bestie sitzt fest. Triumphierend hält der Jäger seine Beute in die Höhe, und das Krokodil macht: „Quak. Quak, Quaaak.“ Den Touristen zuliebe lässt Timi das Pukpuk – höchstens einen halben Meter lang – am Ende wieder frei.

Dreimal in der Woche kommt ein Propellerflugzeug hierher in die East-Sepik-Provinz, mit Fracht, manchmal mit Passagieren. Neben der holprigen Landebahn, einem schmalen Streifen Gras, stehen kleine, nackte Jungs mit riesigen Macheten in der Hand. Es gibt hier keinen Supermarkt, keine Tankstellen, nicht mal Straßen – nur dichten Urwald, der von oben wie Brokkoli aussieht, und Flüsse, die träge durchs Land schneiden.

Bis in die 60er-Jahre hinein soll es hier Kanni­balen gegeben haben

Zwei Tage dauert es, um mit dem Boot die nächste Stadt zu erreichen. Manch ein Dorf in der Gegend hat seit den 80ern keine Touristen mehr gesehen. Wer hier als Weißer kleinen Mädchen Grimassen schneidet, um sie zum Lachen zu bringen, läuft Gefahr, dass sie in Tränen ausbrechen.

Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass die ersten Missionare diesen abgelegenen ­Flecken Erde erst 1959 für sich entdeckten. Bis in die 60er-Jahre hinein soll es hier Kanni­balen gegeben haben. In der Kirche, einem Stelzenhaus ohne Wände, hängt das Foto des Missionars gleichberechtigt neben Jesus am Kreuz. Den bunten Fischtanz zu Ehren des Fischgeistes Awani führt der Karam-Stamm nur noch zu besonderen Gelegenheiten auf – zum Beispiel an Weihnachten. Und die Krokodil­männer glauben, dass Krokodile Wassergeister sind – manche gehen sonntags in die ­Kirche.

Jugendliche zerschneiden sich Rücken und Brust mit Rasierklingen

Es gehört zum Initiationsritual ­heranwachsender Jungen, Rücken und Brust mir Rasierklingen zu zerschneiden, damit die Narben später an die Haut eines Krokodils ­erinnern. Das sieht beim hübschen Timi, der sich selbst eher als einfachen Fischer sieht, zugegebenermaßen äußerst männlich-animalisch aus. Doch die besten Krokodiljäger sind Roy und Anitha: Mehr als 50 Tiere haben sie schon gemeinsam gefangen. Das größte soll sieben Meter lang gewesen sein, erzählen die beiden mit rot verfärbtem Betelnuss-Grinsen. Und Roy hat nicht mal Narben.

„Kämpfe sind wie Fußballspiele: manche kommen nur, um zuzusehen und die Teams zu unterstützen“, doziert Paulus ernst. Er selbst fällt nicht in diese Kategorie. Seit ihm der ­Medizinmann eine Pfeilspitze mit den Zähnen aus dem Knie entfernt hat, hat er Probleme beim Laufen. Zwei Kompensationsschweine war die Verletzung am Ende wert.

Perückenmänner kümmern sich 18 Monate nur um ihre Haare

Die Männer in Papua-Neuguinea sehen aus wie Krieger, auch wenn sie gar keine kriegerischen Absichten haben, sondern nur zur Begrüßung auf der Flöte spielen oder mit Sakko und Baseball-Cap im Touristenbus fahren. Nun könnte man meinen, Krieger ohne Krieg seien eine traurige, bemitleidenswerte Angelegenheit. Doch der Hela-Provinz eilt ihr Ruf ­voraus: Unter den Tausenden Stämmen und Abertausenden Clans des Landes sollen hier in den Bergen um Tari die ruchlosesten zusammenkommen.

Die furchtlosen Krieger stehen erst mal vor dem Schminkspiegel. Wer wirklich ­grauenerregend aussehen will, braucht schließlich ein passendes Make-up. Noch wichtiger ist nur die Frisur. Der widmen die Huli Wigmen, die Perückenmänner, gleich 18 Monate. In dieser Zeit beschäftigen sie sich unter Anleitung des Meisters mit nichts anderem als ihren Haaren: Zweimal am Tag prusten sie gesegnetes Wasser in die Luft hoch über ihren Köpfen, um die Haarpracht zu bleichen. Blätter werden als Dünger zwischen die Locken gesteckt, und in der übrigen Freizeit kratzt man sich gegenseitig liebevoll den ­juckenden Schopf. Am Ende werden die Köpfe geschoren, die Perücken mal in die Form eines Zweispitzes gebracht, mal eher als Obstschale geformt.

Frauen mit Kriegsbemalung ­lächeln stolz in Touristenkameras

Nur heute hat sich niemand heraus­geputzt. Rechts und links der Straße ver­hindern steile Erdwälle den direkten Zugang in die Dörfer. Im strömenden Regen, der den matschigen Acker neben dem Friedhof noch trostloser erscheinen lässt, drischt ein halbes Dorf mit Macheten auf das Fleisch aus dem Erdofen ein. Frauen mit Kriegsbemalung ­lächeln stolz in Touristenkameras, während sie schon auf Rache sinnen – ist der Totenschmaus erst einmal vorbei, werden von dem Clan, der den tödlichen Pfeil abgeschossen hat, ordentlich Schweine gefordert.

Im Männerhaus, in dem Ehemänner und Singles – Frau hin oder her – gemeinsam wohnen, wird bereits debattiert, nebenan sehen sich die Kinder Actionfilme auf dem Laptop an. Sie lieben Rambo, Bruce Lee und Schwarzenegger. „Die erste Pflicht eines Mannes ist es, ein Krieger zu sein“, hat Paulus noch ­einmal betont, bevor er in Embryonalstellung eingeschlafen ist. „Die zweite: Besorge dir ­viele Schweine, um eine Braut zu kaufen.“

Tipps & Informationen

Anreise z. B. ab Frankfurt mit Singapore Airlines (www.singaporeair.com) über Singapur nach Port Moresby.

Pauschal Trans Nuigini Tours (www.pngtours.com) bietet zum Beispiel die neuntägige Rundreise „The New Guinea Village Experience“ mit Stopps in Mount Hagen, Karawari und Tari ab ca. 4180 Euro pro Person zzgl. internationale und Inlandsflüge.

Sicherheit Das Auswärtige Amt rät bei Individualreisen besondere Vorsicht walten zu lassen. Organisierte Gruppenreisen mit Begleitung seien vorzuziehen.

Gesundheit Impfungen gegen Hepatitis A, Typhus und Tollwut sind empfohlen. Ein Malariarisiko besteht ganzjährig, besonders in der Regenzeit (Februar/März und Oktober/November).

Kontakt www.papuanewguinea.travel

(Die Reise wurde unterstützt von Papua New Guinea Tourism Promotion Authority.)