Breckenridge. Breckenridge in Colorado ist Nordamerikas aktivste Stadt – und Outdoor-Spielplatz der Rocky Mountains. Nicht nur während der Skisaison.

Im Winter verirren sich gerne mal Elche auf die schmucke Main Street von Breckenridge, Colorado. Im Sommer begegnet man in der alten Goldgräberstadt in den Rocky Mountains eher: schrägen Vögeln. Drei Archaeopteryx’ etwa. „Issi, issi, issi“, treibt ihr Meister sie an diesem August-Abend die Straße hinab. In den riesigen Flugechsen stecken Menschen auf Stelzen; alle paar Minuten wechseln die filigranen Ungeheuer ihre Farbe; eine seltsame, sphärische Musik erklingt dazu. Manchmal drehen sich die „Birdmen“ Blitze speiend wie irre im Kreis, dann wieder pickt einer einem Kind freundlich auf den Kopf oder steckt seinen Schnabel ins offene Fenster eines parkenden Wagens. Willkommen beim BIFA, dem Breckenridge International Festival of Arts.

Wer glaubt, dass ein Wintersportort im Sommer ruht, irrt. Gewaltig sogar, was Breckenridge angeht, Sitz des Summit County, das im Mai als „sportlichster Bezirk Nordamerikas“ ausgezeichnet wurde. Katie Coakley vom Tourismusbüro des keine 5000 Einwohner zählenden Ortes sagt: „Wer hier lebt, ist aktiv. Alle deine Freunde sind es ja auch.“

Doch den Brecks reichte das nicht. „Wir wollen zeigen, dass wir mehr sind als ein großer Outdoor-Spielplatz. Wir können auch Kunst“, erklärt Nancy Rebek vom Kulturausschuss, warum man 2015 BIFA aus der Taufe hob. Zehn Tage lang geben sich seither in jedem August internationale Künstler - wie die Vogelmenschen des niederländischen Close-Act Theatre - 2927 Meter über dem Meeresspiegel ein Stelldichein. Und dieses Sommerfest ist nur eines von vielen in der Stadt. Kurz vor BIFA startet „Breck Epic“, eines der größten Mountainbike-Rennen der USA; direkt danach das „Spartan Race“, ein Hindernis-Lauf für die Härtesten der Harten. Und im September feiern sie erst Wein-, dann Oktober- und schließlich Filmfest. Natürlich nur, wenn sie gerade nicht beim Wandern, Klettern, Radfahren, Golfen, Fliegenfischen, Stand-up-Paddle-Yoga, Rafting oder im neu eröffneten Erlebnis-Park „Epic Discovery“ beim Sommer-Rodeln, Bungee-Jumping oder Ziplining (Seilrutschen) sind.

Aus dem zwei Autostunden entfernten Denver reisen längst auch Auswärtige dafür an; viele haben hier schicke Ferienhäuser. Selbst aus Kalifornien, Südamerika oder Australien kommen Touristen, Deutsche kaum. In Europa schwärmen bisher nur Pulverschnee-Fans für Breckenridge und seine 150 Pisten. Neben Aspen und Vail ist es der bekannteste Skiort Colorados.

Dabei kann man hier auch ohne Schnee Schlitten fahren. „Snow Caps Sled Dogs“ bietet schon im siebten Jahr Sommer-Hundeschlittenfahrten im White River National Forest an. Sarah, unsere „Musherin“, erklärt, dass ihre 162 Sibirian Huskys dieses Extra-Training sehr mögen. Weil sie jede Bewegung mögen - echte Brecks eben. Zehn Tiere spannt sie paarweise vor das umgebaute Golfcart, den „Schlitten“. Heute ganz vorne im Zug, und das erst zum zweiten Mal in ihrem jungen Leben: Eddie. „Sie muss üben“, sagt Sarah. Zur Sicherheit stellt sie Eddie „Brain“ Granite an die Seite, den klügsten Hund der Truppe. Zunächst läuft alles gut. Eddie folgt willig Sarahs Kommandos durchs Gelände: „Hike“ (los!), „Gee“ (rechts!) oder „Haw“ (links!). Einen Befehl „Halt“ gibt es nicht. „Wofür?“, lacht Sarah, „Huskys lassen sich nicht durch Worte stoppen.“ Dafür braucht es kräftige Bremsen. Dabei sind Huskys überraschend klein, Weibchen wiegen nur 18 bis 25 Kilo. Aber sie können bis zum Siebenfachen ihres Gewichts ziehen, mehr als Ochsen!

Eddie macht ihren Job noch immer prima: Sie rennt und rennt, bellt nur, wenn es wirklich nötig ist, jagt keineswegs jedem Eichhörnchen hinterher – genau so, wie Sarah es sie gelehrt hat. Schade nur, dass sie just in dem Moment Abkühlung im Bach sucht, als es nach der Trinkpause wieder „hike!“ heißt. Granite versucht noch zu retten, was zu retten ist. Am Ende aber verheddert sich der ganze Zug in einem großen, wirren Knäuel. „Sie lernt ja noch“, entschuldigt sich Sarah für das Tohuwabohu und macht sich daran, den bellenden Knoten aufzudröseln.

Ein solches Erlebnis lässt Touristen ahnen, wie das Leben hier wohl aussah, als der erste Goldgräber am Blue River auftauchte. Ruben J. Spalding hieß er und 1859 war das. 1972 schloss die letzte Mine. Wer mehr über die Jahre dazwischen erfahren möchte, geht ins Museum oder bucht eine der historischen Führungen, etwa die Saloon-Tour. Und wenn er Glück hat, führt ihn Ronnie. Ronnie ist 70, und niemand würde ihn jünger schätzen. Er trägt Vokuhila und Hosenträger mit Gürtel zur Lederweste. Auf der Suche nach einem Platz zum Leben“ landete der Mann aus New Jersey 1972 mit seinem VW Bulli in Breck. „Das Bier im Saloon kostete nur 50 Cents. Da bin ich geblieben“, erinnert sich Ronnie. Man muss ihm das glauben, denn 98 Prozent von dem, was er erzähle, sei wirklich wahr, versichert er. Und erzählen kann er. Von Tom Groves und seinem „Baby“, einem mehr als sechs Kilo schweren Klumpen reinsten, kristallinen Goldes, berichtet Ronnie, als sei der ein alter Kumpel. Beim letzten großen „Shootout“ (1965!) könnte er glatt dabei gewesen sein. Und den geheimen Tunnel zwischen der noblen Ridge Street und der üblen Seite der Stadt, durch den einst die feinen Herren ungesehen zu den leichten Mädchen gelangten, den hat er selbst gesehen. Sagt er. Wo die Damen einst arbeiteten, endet Ronnies Tour: im Gold Pan Saloon, dem letzten der 19, die 1880 Brecks Main Street zierten.

Heute reiht sich in den malerischen, viktorianischen Bauten Laden an Laden, Lokal an Lokal. Bei Cuppa Joe gibt’s Green Chili Burrito und Nougat Mocha; im Hearthstone servieren sie „Blueberry Elk“, Hirsch mit Blaubeersauce; in den Kneipen trifft man sich abends auf ein Coconut-oder Indian-Pale-Beer - und redet über Politik, vermutlich. Denn ihren neuen Präsidenten, den mögen viele hier nicht besonders: „Trump skies in jeans“, sagen die Brecks: Er ist ein Hornochse.

Das Beste aber, was Breckenridge zu bieten hat, sind nicht seine Bars, Feste oder Seilrutschen. Es sind: die Rocky Mountains, 53 Viertausender stehen in Colorado! Ganz so hoch muss es fürs Erste jedoch nicht sein. Abe, für eine zweitägige Bergtour unser „Adventure Guide“, hat Schlimmes erlebt mit übereifrigen Touristen. Im Juli erst musste er einen völlig unterkühlten 13-Jährigen retten, den die Eltern im Woll-Pulli auf einen Gipfel jagen wollten. Als Abe auf die Familie traf, war das Kind kaum noch bei Bewusstsein. „Cotton kills“, erklärt Abe: Baumwolle tötet dich.

Tatsächlich macht die Höhe Menschen, die sie nicht gewohnt sind, anfangs gern Probleme. Vor allem, wenn sie einen vollen Rucksack vom Spruce Creek hinauf zu Francie’s Cabin (3400 m) zu schleppen haben – „der schönsten Hütte von allen“. Sie ist allerdings unbewirtschaftet: Schlafsack, Lampe und Lebensmittel gilt es hinauf-, Müll hinunter zu tragen. „Wasser ist aber genug da“, beruhigt uns Abe. „Ihr müsst es nur aus dem Bach holen.“ Für den 36-Jährigen, ein drahtiger Typ mit Bart und Zopf, ist der gut zweieinhalbstündige Anstieg durch den Arapaho National Forest nur ein Spaziergang, aber - der macht ja auch nichts anderes: Im Sommer begleitet er Touristen die Berge hinauf oder Mountain-Biker hinunter, im Winter gibt er Lawinen-Kurse und organisiert Skitouren. In seiner Freizeit: spielt Abe Eishockey. Na klar.

Der Anstieg ist die Mühe jedoch mehr als wert. Durch Kiefern und Fichten geht es, am Weg blühen Astern und blau-weiße „Columbine“ (Akeley), die Staatsblume Colorados. Dazu knallt die Sonne vom Himmel, obwohl der Wetterbericht mit Regen drohte. Bären oder Elche gibt es nicht zu sehen, doch kaum haben wir die Hütte erreicht, tauchen Hirsche auf, Füchse, Waschbären, Kolibris und einige Rehe. Die Eichhörnchen trauen sich gar ins Haus hinein.

Am nächsten Tag trauen auch wir uns mehr: weiter nach oben. Über den Ridge Trail hinauf auf den Grat zu Peak Ten. Auf 3794 Meter genießen wir, oberhalb der Baumgrenze, zwischen altem Schnee und schon braunem Gras, eingemummelt in alles, was der Rucksack hergibt, einen Moment höchster Zufriedenheit – im wörtlichen Sinne.

Nur einmal übrigens, am Nachmittag zuvor, als wir von der Cabin zum nahen Crystal Lake marschieren, regnet es tatsächlich. „ Das tut es im Sommer oft“, erklärt Abe später, als er auf einem Gaskocher Hack für Tortillas brät, und seine Truppe schwankt, ob sie vor dem Abendbrot noch das Feuer im Ofen entfacht oder lieber erst die Sauna anheizt.

Abe liebt den Regen, „weil die Luft danach so klar ist“, sagt er. „Außerdem“, hängt er an, „ist das hier doch wohl ein großartiger Ort, um ihm beim Fallen zuzuschauen.“ Stimmt.

Tipps & Informationen

  • Anreise: Lufthansa bietet Direktflüge nach Denver von Frankfurt oder München an. United Airlines fliegt von Düsseldorf über Newark oder Chicago dorthin. Für die Strecke von Denver- Breckenridge (160 Kilometer) empfiehlt sich ein Mietwagen.
  • Unterkunft: B&B, Hotels, Appartements und Ferienhäuser, ab 89$. „Summer Packages“ kombinieren Übernachtung und Aktivitäten. Francie’s Cabin: 38$ pro Person/Nacht.
  • Aktivitäten: Epic Discovery, Tagespass: 40 bis 82$; Zipline-Touren kosten extra: ab 39$.
  • Stadtführungen (historische Touren, Goldschürfen u.a.): im Welcome Center buchen,
    203 South Main Street, oder über www.BreckHeritage.com. Saloon-Tour: 15$ .
  • Hundeschlittentour: ab 65$ (Kinder: 45$), www.snowcapssleddogs.com.
  • Geführte Wander- oder Radtouren: um 125$ pro Person und Tag (in der Gruppe); www.coloradoadventureguides.com.
  • Auskunft: www.gobreck.com

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung des Breckenridge Tourism Office.)