Hamburg. Wer Toronto im Winter besucht, erlebt knackig-kalte Temperaturen. Aufwärmen kann man sich in der unterirdischen Fußgängerzone Path.

Normalerweise bin ichmehr als skeptisch, wenn mir jemand Touristenattraktionen empfiehlt. : „Das musst du unbedingt gesehen haben!“ „Ja, ja, schau ich mir (nicht) an.“Im Fall des CN Towers, dem weithin deutlich sichtbaren Wahrzeichen Torontos, bin ich allerdings froh, dass ich mein Misstrauen eiskalt links liegen gelassen habe.

Der Blick von der Aussichtsplattform in gut 350 Metern Höhe vom 553 Metern hohen Gebäude macht unmissverständlich klar, dass buchstäblich jeder sechste Kanadier in Toronto oder der Metropolregion drumzu wohnt: Die Klage der Einwohner, die einzige Richtung, in die man noch wachsen könne, sei nach oben, mutet auf einmal nicht mehr scherzhaft an.

In Toronto reiht sich Wolkenkratzer an Wolkenkratzer

Kanada mag der zweitgrößte Staat der Erde sein, doch in Toronto ist der Platz begrenzt, allein schon durch den Ontariosee, an dessen Ufer die Stadt liegt. Das hat aber den touristischen Vorteil, dass Downtown Toronto genau so aussieht, wie man sich die Innenstadt einer nordamerikanischen Metropole vorstellt.

Wolkenkratzer reiht sich an Wolkenkratzer, Altbauten werden einfach überbaut – aus einer altehrwürdigen Sandsteinfassade ragen 80 Stockwerke Neubau, über eine andere spannt sich ein kühner Bogen aus Stahl und Glas. An Shoppingmöglichkeiten gibt es alles, was man sich wünschen kann, von der Luxusboutique (besonders rund um die „Nerzmeile“ Bloor Street West)bis zum Spezialgeschäft für Kifferbedarf ( gern im bunt-alternativen Viertel Kensington Market, aber auch immer öfter woanders, denn Kanada hat Marihuana 2018 legalisiert).

Eine unterirdische Fußgängerzone kommt im Winter gerade recht

Und selbst unter der Erdoberfläche ist Toronto geschäftlich voll erschlossen: Fast 30 Kilometer Tunnel mit rund 1200 Geschäften durchziehen die Innenstadt als unterirdische Fußgängerzone Path.

Die kommt speziell dann gelegen, wenn man im Winter in Kanadas größter Stadt unterwegs ist: „Aus Deutschland?“ Unser Taxifahrer lacht, während wir etwas ungelenk, weil ziemlich verfroren, einsteigen. „Tja, solche Temperaturen kennt ihr eben nicht.“

Minus 13 Grad sind für viele noch gar kein richtiger Winter

Wir würden ihm widersprechen – vertagen das aber, bis wir wieder einigermaßen aufgetaut sind. Das Thermometer zeigt minus 13 Grad. Toronto begrüßt uns mit feinstem kanadischen Winterwetter – klirrend kalt und strahlend sonnig. Wobei: Der durchschnittliche Toronter wirkt nicht so, als ob das schon als richtiger Winter zählen würde.

Morgens laufen Jogger am Ufer des dampfenden Lake Ontario entlang, der Fremdenführer im Stadtrundfahrtbus lüftet, weil ihm warm ist, und unsere Guide, mit der wir eine Radtour über die Toronto Islands machen, gesteht lächelnd, dass sie heute nur ihre „Herbstjacke“ tragen würde – während wir Mitteleuropäer uns bereits fragen, ob wir unsere Zehen jemals wieder spüren werden.

Kleine Häuschen auf den Toronto Islands

Lohnend ist die Strapaze trotzdem: Die 15 Inseln, die nur eine kurze Fährfahrt (hin und zurück für umgerechnet 4,60 Euro) von der Innenstadt entfernt liegen, sind wie ein Ausflug in eine andere Welt: Die Skyline sieht ein bisschen unwirklich aus, vergleicht man sie mit den kleinen Häuschen, die fast in Wurfweite zu den in der Sonne glitzernden Hochhäusern liegen.

Der Grund dafür ist schnell erklärt: Neubauten abseits ­bestehender Grundflächen sind verboten, die Häuser haben Bestandsschutz und sind nicht zu Marktpreisen erhältlich. Dieser Kompromiss ist das Ergebnis eines langen Streits zwischen der Stadt und den Inselbewohnern.

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    30 Jahre bis zum eigenen Haus auf den Inseln

    Wer eines der Häuschen kaufen will, muss sich auf eine Warteliste setzen lassen – und viel Geduld mitbringen. 30 Jahre, schätzt unser Guide, dürfte es im Schnitt dauern, bis man Hauseigentümer auf den Inseln wird.

    Im Sommer sind die Toronto Islands eines der beliebtesten Ausflugsziele der Städter, im Winter teilt man sich die Fähre statt mit Touristen mit einem wuselnden Haufen Schulkinder auf dem Rückweg von der Inselschule – für sie gehört der Kontrast zwischen Natur und Stadt zum Alltag, und der etwa sechs Jahre alte rosafarbene Plüschbommel erzählt seinem Vater atemlos von seinen neuesten Abenteuern im Unterholz, als der ihn am Anleger abholt. Wir fahren derweil mit dem Taxi zu einer Sehenswürdigkeit, die als Sinnbild dafür stehen kann, wie Toronto sich selbst sieht.

    140 verschiedene Nationen leben in Toronto

    Das Royal Ontario Museum ist Kunst- und Geologie-, Natur-, Kultur-, Design- sowie zoologisches Museum unter einem Dach – ein Schmelztiegel des Bewahrenswerten, der ganz wunderbar zu der Millionenstadt passt, die sich schon in den 70er-Jahren den Multikulturalismus auf die Fahnen geschrieben hat und in der heute Menschen aus 140 verschiedenen Nationen wohnen.

    Darunter natürlich auch Angehö­rige der „First Nations“ genannten ­Ureinwohner, denen das Museum einen besonders spannenden Flügel widmet: Wie viele unterschiedliche ­Kulturen auf dem amerikanischen Kontinent weit vor der Kolonialisierung heimisch waren, ist kaum einem Europäer bewusst.

    Besser kein Small Talk über Eishockey-Meistertitel

    So bunt gemischt das Royal Ontario Museum, so speziell ist eine andere Ruhmeshalle: Die Hockey Hall of Fame in und unter einer historischen Bank ist bunt, laut und so amerikanisch, dass sie genauso gut in Detroit oder Chicago stehen könnte.

    Gut, die National Hockey League findet halt zum größten Teil in den Vereinigen Staaten statt, ­inzwischen inklusive der Siegerehrungen. Obwohl Montreal und Toronto die ewige Tabelle anführen, ist der letzte Meistertitel für ein kanadisches Team bereits 25 Jahre her – was sich möglicherweise für Besucher nicht als ideales Thema für Smalltalk mit den Anwohnern eignet.

    Aber Eishockey (wir lassen uns darüber aufklären, dass kein Kanadier Eis­hockey sagen oder Feldhockey spielen würde)ist nun einmal eine der Nationalsportarten Kanadas – selbst auf dem Zehn-Dollar-Schein sind Hockeyspieler zu sehen. Und vor dem Rathaus gibt es im Winter eine große Eisfläche, auf der jeder kostenlos seine Runden ziehen kann. Bloß für die Schlittschuhe muss man bezahlen, wenn man welche aus­leihen möchte.

    Canoe: Bezahlbares Mittagessen im 54. Stock

    So viel Umtriebigkeit macht hungrig, außerdem waren wir schon wieder viel zu lange auf Straßenhöhe. Zum Mittagessen haben wir einem Tisch im Canoe reserviert. Das Restaurant gehört seit Jahr und Tag zu den am höchsten gelobten im Land – und zu den am höchsten gelegenen.

    Der Fahrstuhl rauscht in den 54. Stock. Während man hier abends ­ohne Weiteres die Reisekasse bis zur Neige plündern kann, setzt das Restaurant zur Mittagszeit auf bezahlbare Köstlichkeiten.

    Die 30 in das Heritage Chicken, eines der Spezialgerichte des Hauses, investierten kanadischen Dollar (etwa 20 Euro) sind mehr als eine bloße Ausgabe – sie sind eine Investition in den guten Geschmack.

    17 Restaurants teilen sich die Assembly Chef’s Hall

    Für ein Abendessen ohne Klein­kredit bietet sich derweil ein Besuch in der Assembly Chef’s Hall an. Speziell, wenn man nicht so genau weiß, wonach einem der Sinn steht: Sage und schreibe 17 verschiedene Restaurants teilen sich die Fläche unweit des Rathauses. Wem das verdächtig nach Massenware à la Fressmeile im Einkaufszentrum klingt, der darf beruhigt aufatmen.

    Die Chef­köche dort sind samt und sonders Meister(innen) ihres Fachs und bieten von Pizza über Thai-Spezialitäten bis hin zu Sushi, Burgern, Kuchen und Keksen alles an, was das ­kulinarische Herz erfreut. Oder vielmehr – fast alles.

    Kanadische Spezialitäten auf die Hand im St. Lawrence Market

    Ein Peameal Bacon Sandwich sucht man vergebens. Dafür muss man zum St. Lawrence Market, einer Markthalle, in der es neben fotogenen Feinschmeckereien wie Dry-Aged-Beef, Hummer, Austern und Käsedieses lokale Kleinod des schnellen Happens auf die Hand gibt: Mit Erbsen, Mehl und Speck hat der Peameal Bacon zwar nichts zu tun – am ehesten vergleichbar ist die in Spezialität mit Kasseler – ­dafür ist sie extrem lecker.

    Und wo wir gerade bei schmackhaftem Fast Food sind: Poutine gehört zu den Gerichten, die man eigentlich mit verbundenen Augen essen muss. Die ­Mischung aus Pommes, Bratensoße und quietschigem Käse (cheese curds)sieht aus, als ob man mindestens drei exotische Krankheiten von ihr bekommen würde – ist jedoch ein Wohlfühlessen erster Güte (und laut ­Angaben diverser Toronter das einzig Wahre, wenn man nach dem einen oder anderen Erfrischungsgetränk spätabends aus der Bar stolpert).

    Deutscher Weihnachtsmarkt als Exportschlager in Toronto

    Wer den Winter in Toronto nicht am Anfang, sondern am Ende eines ­Jahres genießen möchte, der muss üb­rigens auf einen Weihnachtsmarkt nicht verzichten: Ein schlauer Kopf hat sich die deutsche Tradition abgeschaut und in den Distillery District verfrachtet – samt Glühwein.

    Die Buden dort erfreuen sich auch bei den Einheimischen so großer Beliebtheit, dass am Wochen­ende zur Kanalisierung der Massen Eintritt genommen wird.

    Cavalcade of Lights fasziniert Ende November

    Ganz kostenfrei ist eine andere Weihnachtstradition: Die Cavalcade of Lights Ende November wenn die Temperatur innerhalb weniger Tage zwischen zehn Grad plus und zehn Grad minus wechseln kann, zieht selbst bei Nieselregen Tausende Besucher an, die dabei sein wollen, wenn die offizielle Beleuchtung des offiziellen Weihnachtsbaums vom Bürgermeister angezündet wird – ganz offiziell natürlich.

    Im Gegensatz zum CN Tower ist das allerdings eine Sehenswürdigkeit, die man sich ohne Weiteres sparen kann in dieser Stadt, die auch ohne Weihnachtsbaum eine Menge zu bieten hat. Statt

    Doch statt sich nassregnen zu lassen, kann man lieber um die Ecke in die Drake Mini Bar gehen (die ihren Namen sehr zu Recht trägt) und sich vom freundlichen wie kompetenten Bar­keeper einen Cocktail empfehlen lassen. Vielleicht einen Toronto auf Whisky-Basis ...