Waingapu. Das Leben auf der indonesischen Insel Sumba ist bestimmt von uralten Traditionen. Massentourismus wie auf Bali gibt es dort nicht.

Als Krieger der Marapu-Religion trägt Maxi Deta seinen Parang, ein traditionelles Schwert, seitdem er 15 Jahre alt ist, bei sich. Und zwar immer. „Wir können nicht weg­laufen. Damit verteidige ich mein Dorf“, sagt der 27-Jährige.

Ob gegen Tiere oder Menschen, das bleibt unklar. Meist bahnt er sich damit ohnehin nur den Weg durch den dichten Dschungel. Im Notfall aber, sagt Maxi, würde er auch töten. Er sagt das mit einem ­Lächeln im Gesicht. Eine Bluttat ist kaum ­vorstellbar bei diesem zierlichen Mann, der gern und viel lächelt.

Maxi Deta, der als Touristenführer für das luxuriöse Nihi Sumba Resort arbeitet und damit den Unterhalt für seine zwei Kinder und seine Frau verdient, ist voller Gegensätze, ­genau wie seine Heimat, die indonesische Insel Sumba.

Sumba ist doppelt so groß wie Bali

Hier geht es rauer und ursprünglicher zu, als auf den bekannten Inseln Bali oder Lombok. Sumba ist die ungezähmte Wilde und ein Besuch eine Reise in eine fremde, mystische Welt. Doppelt so groß wie Bali, das lediglich 400 Kilometer entfernt liegt, ist die Insel ­weiter östlich im Indischen Ozean ganz anders: Massentourismus findet man dort nicht. Noch nicht, dafür gibt es hier große Armut, großen Luxus und großherzige Menschen.

„Daaaa!“, rufen die drei Mädchen und freuen sich, winken und lächeln. Sobald der offene Jeep mit den deutschen Besuchern die Straßen entlangrauscht und der Jeepfahrer alle Fußgänger, Mofa- und Rollerfahrer beiseitehupt, die dem Fahrzeug im Weg stehen, ist das für die Kinder eine Art Schlüsselreiz: Die ­Mädchen und Jungen in ihren Schuluniformen auf dem Weg nach Hause begrüßen die Fremden überschwänglich mit ihrem „Da“, dem Wort für Hallo.

Der Jeep brettert weiter über die geteerten Straßen, die hier schnell in eine Holperstrecke übergehen können. Wie im Film „Jurassic Park“ fühlt sich der Besucher im Jeep, wenn es durch die Dörfer geht, vorbei an unzähligen Essensständen, kleinen ­Kirchen, an Steinhäusern, die sich mit ein­fachen Strohhütten abwechseln. In einer ­Einfahrt schlachten Bewohner einen Büffel. Es riecht nach Feuer, irgendwo verbrennt irgendwer immer gerade etwas.

Die Geister der Verstorbenen sind allgegenwärtig

Die Erinnerung an „Jurassic Park“ deshalb, weil die Insel wie jetzt zur Regenzeit einem Dschungel gleicht – dicht bewaldet, üppig grün, wild. Fehlt nur noch, dass ein Dinosaurier oder King Kong aus dem Dickicht kommt.

Dass Teile der Insel mit ihrem 600.000 Bewohnern, etwas kleiner als Schleswig-Holstein, während der Trockenzeit von Mai bis Oktober einer Savanne gleichen: momentan kaum vorstellbar. Sumba ist für Überraschungen gut und für exotische Rituale.

Maxi Deta gibt bei einem Spaziergang durch das Marapu-Dorf Prai Ijing Einblicke in diese Welt. Er selbst ist als Marapu geboren, aber seit der Grundschule Christ, jedenfalls offiziell. Sumba bleibt trotz der Missionierung durch portugiesische, niederländische und deutsche Christen, das Land der Marapu, der Naturgeister. 40 Prozent der Bewohner ge­hören dem Marapu-Glauben an. Es ist ein Götter-, Geister- und Ahnenkult.

Die Archi­tektur der aus Palmen geflochtenen Hütten spiegelt das wider: Die Wände sind offen, im Untergeschoss leben Hühner, Schweine, Kühe und über allem ragt ein hoher Turm aus Stroh – dort leben die Ahnen gemeinsam mit sieben bis zehn lebenden Bewohnern. Die Toten sind so allgegenwärtig.

Das Leben ist von Traditionen bestimmt

„Die Geister der Toten schauen auf uns. Bei den Mahlzeiten stellen wir einen Korb für die Verstorbenen bereit und fangen selbst erst nach zwei Minuten an zu essen“, sagt Maxi. Alles dreht sich um die Verstorbenen.

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Prai Ijing ist eines von sechs solchen Dörfern im Westen Sumbas. Es mutet mit den niedlichen Bambushütten an wie ein Freilichtmuseum, ist aber mit seinen 200 Bewohnern sehr real. Ein Mann siebt Reiskörner, eine Sau wird in einem Stall aus Bambus gehalten, eng eingepfercht. Hühner picken auf dem Boden, und Frauen flechten und weben vor den einfachen Hütten.

Ruhig und gemächlich geht es zu. „Die Mädchen lernen das Flechten und Weben von den Frauen“, sagt Maxi. „Das müssen sie, sonst können sie nicht heiraten“, sagt er. Das Leben ist von Traditionen bestimmt. Ehen werden meist arrangiert, eine Mitgift ist in Form von Büffeln und Pferden zu zahlen. Der Wohlstand eines Dorfes wird durch die Zahl der Wasserbüffel und Pferde gemessen.

Hunde als Opfertiere

„Mein Vater hat die Braut für meinen älteren Bruder ausgesucht. Bei ihm und meiner Schwägerin gibt es nur Streit. Ich wollte das auf keinen Fall“, erzählt Maxi Deta. Er selbst hat seine Frau in der Schule kennen- und ­lieben gelernt und selbst aussuchen dürfen.

Überall auf der Insel wuseln Hunde herum, sind immer dicht bei den Menschen. Eine Idylle, die trügerisch ist. An einem Tag sind sie Wachhunde, an einem anderen Tag werden die Hunde gegessen.

Auf einem ­Wochenmarkt wird deutlich, was Traditionen bedeuten: Etliche Hunde stehen dort bei 30 Grad Hitze angebunden in einer offenen Halle, die an eine Bauruine erinnert. Sie bellen und jaulen, vielleicht aus Angst, vielleicht aus Durst. Denn Trinknäpfe sind nirgends zu sehen. Gewöhnungsbedürftig für Europäer.

Diese Hunde stehen als Opfertiere zum Verkauf, genau wie die Hühner, die die Marktfrau an den Beinen zusammengebunden über den Markt trägt.

Sumba ist bekannt für kunstvolle Weberei

Aber nicht alles dreht sich um Tieropfer, das die Regierung längst auf fünf Tiere pro Zeremonie begrenzt hat, um das Ganze nicht ausarten zu lassen. Das rituelle Schlachten von Tieren zu Hochzeiten, Beerdigungen und anderen kulturellen Anlässen ist Bestandteil des Lebens.

Die Insel ist neben ihrem Ahnenglauben auch für kunstvolle Weberei (Ikat genannt) bekannt. Auf dem Markt schlagen die Touristen dann auch zu, kaufen farbenfrohe Tücher, Tischdecken und Schals. Aber warum haben so viele Einheimische rote, kaputte Zähne? Das kommt von den Betelnüssen.

Die Frucht ist beliebt als Rauschmittel, das wach hält. Die Marktfrau Mamalita kaut täglich darauf herum, erzählt sie. Zwei bis drei Stunden hält die Wirkung an. Der Preis für den Rausch ist hoch: Die 39-Jährige hat nur noch wenige Zähne im Mund.

Trotz der alten Lebensweise führt das Leben auch die Menschen auf Sumba in die Moderne. „What’s your name?“, fragt ein Mädchen. Es ist die 14-Jährige Vivian.

„Es ist gut, dass sie Englisch in der Schule lernen“, sagt Maxi Deta und korrigiert Fehler, die Vivian beim Gespräch noch macht. Das Mädchen ist eine Marapu. Vor 20 Jahren wollten die Ma­rapu in ihren Dörfern noch in Ruhe gelassen werden.

Der Tourismus schafft Arbeitsplätze

Besucher mit Kameras werden von den Einwohnern teils misstrauisch, teils freundlich beäugt.
Besucher mit Kameras werden von den Einwohnern teils misstrauisch, teils freundlich beäugt. © NurPhoto via Getty Images | NurPhoto

Heute werden sie gefördert und gefordert. Der langsam wachsende Tourismus schafft auch Arbeitsstellen für die Einheimischen. So sind in dem Luxusressort Nihi Sumba 90 Prozent aller Ange­stellten wie Maxi Deta von der Insel.

„Auch wenn einige nicht lesen oder schreiben oder kein Englisch können“, sagt Lily Dahmayanti, stellvertretende Geschäftsführerin des Luxusresorts, in dem David Beckham, Ed Sheeran oder Arjen Robben gern urlauben, ungestört am Rand der Wildnis mit einem 2,5 Kilometer langen weißen Sandstrand.

Luxus und Soziales müssen keine Gegensätze sein. So hat das Resort, das zu den besten Hotels der Welt gehört, eine Stiftung ins Leben gerufen, die verschiedene Gesundheits- und Bildungsprojekte auf der Insel finanziert. „David Beckham hat während seines Urlaubs dort den Englischunterricht besucht“, sagt ­Lily Dahmayanti.

Sumba ist ein Geheimtipp für Surfer

Die Resortgäste finanzieren die Projekte durch ihre Spenden. Ziel ist der Erhalt der Sumba-Kultur einerseits und andererseits bessere ­Zukunftschancen für die Inselbewohner zu schaffen. „Die Sumbastiftung konnte die Säuglingssterblichkeit und die Malaria­infektion deutlich verringern“, sagt Lily Dahma­yanti. Die Balinesin arbeitet nicht nur für das Resort, sie genießt ab und zu auch die perfekten Surfbedingungen.

Denn Sumba ist ein Geheimtipp für Wellenreiter. Und so heißt die Welle, die direkt am Resort bricht „Occys Left“ – die linke Hand Gottes. Eine ganz außerordentliche Welle, bis zu 25 Meter hoch. „Die Hawaiianer kommen im Sommer hierher“, sagt Wellen­reiter und Surflehrer Timothy Wood.

An diesem Morgen um 6.30 Uhr, außerhalb der Hochsaison, ist lediglich ein Surfer aus Aus­tralien auf dem Wasser. „Er hat noch einen Kater von gestern Abend, mal sehen, was er macht“, sagt Timothy Wood und lacht. Sumba bietet mehrere Spots – klares Wasser, weite weiße Palmenstrände inklusive und vor allem: ohne ­Gedränge in der Welle.

Das Wasser? Ein Traum von einem Meer

Es gibt Tauchspots, ebenfalls am Resort Nihi Sumba und am Resort Nautil. Und manchmal sind badende Pferde im Ozean zu sehen, auch mit Touristen auf dem Rücken. Die Sumbapferde sind eine ­eigene Rasse, und die Menschen verrückt nach Pferden, sie sind ein fester Bestandteil des täglichen Lebens.

Das Schwimmen auf einem Sumbapferd, ohne Sattel, ist ein einmaliges Erlebnis. Lösen sich die Pferdebeine vom Meeresgrund, gibt es einen kleinen Ruck und es geht ein wenig schaukelnd durch die ­Wellen.

Das Wasser? Ein Traum von einem Meer: warm, türkisfarben und glasklar. Außer Badekleidung, Shorts, T-Shirt und Flipflops braucht man in diesem Tropenparadies ohnehin nichts. Herrlich. Einzig ein gutes Mückenspray ist für die Abendstunden zu empfehlen.

Sumba ist auch ein Paradies für Wanderer

Sumba ist nicht nur ein Paradies für ­Wassersportler, sondern auch für Wanderer. Trekkingtouren führen durch den Dschungel, hinauf zu Wasserfällen, wie dem Matayangu Wasserfall, auch der blaue Wasserfall genannt oder zum Lapopu Wasserfall.

Wanderschuhe? Hat niemand dabei, also geht es in Flipflops über eine schmale Bambushängebrücke rauf auf einem Pfad zum Lapopu-Wasserfall. Das Schöne: Es gibt keine anderen Touristen weit und breit. Sumba scheint der Besucher exklusiv zu haben.

Sanfter Tourismus und Tradition gehen Hand in Hand. Wie lange noch, fragt sich allerdings der deutsche Architekt Walter Wagner, der das Nihi Sumba Resort entworfen hat. „Man weiß hier noch gar nicht, wo es hingehen soll. Aber man sollte es in vernünftige Bahnen lenken. Bloß keinen Massentourismus wie auf Bali, der ist dort außer Rand und Band.“

Noch ist Sumba ein magischer Ort, der einen Blick bietet in eine geheimnisvolle Welt mit wunderbarer Natur.

Tipps & Informationen

Singapore Airlines, Emirates oder Qatar Airways bieten Flüge über Sin­gapur oder Jakarta bis nach Bali an. Von dort fliegt Garuda Indonesia nach Sumba.

Eine Übernachtung ist in Homestays (z. B. Rumah Budaya Sumba) bei Einheimischen möglich. Das Luxusresort Nihi Sumba kostet pro Nacht ab 845 Euro, www.nihi.com. Die Sumba Hospitality Foundation bietet Zimmer ab 80 Euro/ Nacht an, www.sumbahospitality.org

Auskunft www.tourismus-indonesien.com, www.panorama-destination.com

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Visit Indonesia.)