Klagenfurt. In Klagenfurt gibt es einen ungewöhnlichen Brauch. Am vierten Advent wird an jene erinnert, die im größten See Kärntens ertrunken sind.

Weihnachtsbräuche haben oft eine jahrhundertealte Geschichte – wie der Christbaum, der im 18. Jahrhundert populär wurde, aber wohl schon im späten Mittelalter als Kirchenschmuck zur Weihnachtszeit bekannt war. Relativ jung dagegen ist der Brauch des Christbaum-Versenkens in Klagenfurt.

Seit 40 Jahren versammeln sich am vierten Adventssonntag Klagenfurter am Ufer des Wörthersees vor der Villa Lido, um zuzuschauen, wie wagemutige Mitglieder des EKUS, des ersten Klagenfurter Unterwassersportclubs, symbolisch ein Bäumchen im See versenken – und damit an die Menschen erinnern, die im Lauf des Jahres im See verunglückt oder ertrunken sind.

Mitten im See steht ein Lichterbaum

„Es wird schon gleich dunkel, es wird schon gleich Nacht.“ Nicht am Wörthersee und nicht in dieser Nacht. Der See ist hell erleuchtet. „Greetings from Klagenfurt“ blinkt eine Lichter­kette, und mitten im See steht ein Lichterbaum, der sich im schwarzen Wasser spiegelt. Der Himmel spielt mit und veranstaltet einen Farbenreigen über den dunklen Bergen.

Es ist ein kalter Abend. An der Villa Lido drängen sich schon die ersten Zuschauer und stärken sich mit wärmendem Glühwein. Wie kalt muss erst das Wasser des Wörthersees sein, fragen wir uns und zittern mitleidig vor Kälte. Wenigstens wärmt der Glühwein die kalten Finger.

Taucher schwimmen zu „Stille Nacht“ auf den See

Mit Fackeln und einem Weinachtsbäumchen steigen die Schwimmer in den kalten Wörthersee.
Mit Fackeln und einem Weinachtsbäumchen steigen die Schwimmer in den kalten Wörthersee. © Tourismusregion Kärnten | Tourismusregion Kärnten

Als Pater Anton auftaucht, der mit seinem weißen Rauschebart auch als Weihnachtsmann durchgehen würde, kehrt Stille ein. Der Geist­liche erinnert an die Geburt des Jesuskindes, mahnt zur inneren Einkehr und Besinnlichkeit. Dann erklingt Leonard Cohens „Hallelujah“, die Zuschauer tupfen sich ein paar Tränen aus den Augen und zünden ihre Kerzen an.

Der Pater erzählt von einem Neunjährigen, der am Heiligen Abend herbergslos gewesen sei wie Maria und Joseph. Weihnachten aber sei ein Fest gegen die „Kälte im Herzen“, mahnt er, ein Fest der Liebe und des Teilens.

Der Letzte nimmt das Bäumchen in Empfang

Inzwischen haben sich die Taucher zu einem kleinen Fackelzug formiert und nähern sich dem Steg. In ihren Wärme- und Neoprenanzügen verschmelzen sie fast mit der Dunkelheit. Die Zuschauer halten den Atem an. Drei Grad kalt sei das Wasser, flüstert eine Frau, während ein Taucher nach dem anderen in den See steigt.

Der Letzte nimmt das Bäumchen in Empfang, dann schwimmen alle hinaus, begleitet von dem Weihnachtslied „Stille Nacht“ – und bilden eines Kreis um den kleinen Christbaum. Als die Fackeln verlöschen, ist auch der letzte Zuschauer still. Jetzt wird der Baum ins Wasser getaucht. Beifall brandet auf, als die Taucher zurückkehren, der Glühwein löst die Zungen und sorgt für entspannte Stimmung.

„Das Herz ist warm, aber Hände und Gesicht frieren“

Auch die fünf Taucher, die wir noch vor der Umkleide treffen, sind zufrieden, obwohl ihnen kalt sein muss nach dem Ausflug ins eisige Nass. Sie sind an diesem Abend die Helden, und sie genießen es. Fabian ist mit 17 Jahren der Jüngste, Kenaii mit 38 der Älteste. Warum sie sich den Stress mit dem Christbaumversenken antun?

Die Männer schauen einander an. Was für eine Frage, scheinen sie zu denken, und Fabian antwortet für alle: „Das ist schon was Besonderes, für mich war’s eine tolle Erfahrung!“ Schön sei es, wenn die Fackeln erlöschen und Stille einkehrt, sagt Nicola (26), und David (27) meint: „Das Herz ist warm, aber Hände und Gesicht frieren.“ Vielleicht ein kleiner Fingerzeig, dass die Taucher jetzt auch ins Warme wollen. Wir lassen sie gerne gehen, damit sie sich aufwärmen können.

Dann wird der Baum wieder aus dem See geholt

Später erfahren wir mehr über das Schicksal des Bäumchens. Zwar wird es tatsächlich untergetaucht, aber nicht versenkt. Nach der feierlichen Zeremonie, wenn sich die Zuschauer längst verlaufen haben, wird es wieder aus dem See geholt, denn das Tännchen kann sich im Wasser nicht zersetzen. Nach 40 Jahren würde sich womöglich im Wörthersee eine Weihnachtsbaumkolonie ausbreiten, und die könnte für Schwimmer gefährlich werden.

Das wäre nicht im Sinn des Klagenfurter Unterwassersportclubs, der diesen Brauch ins Leben gerufen hat. Als einer der Taucher vor 40 Jahren ertrank, wollten seine Kameraden seiner mit einer besonderen Aktion gedenken – am besten zur Weihnachtszeit, wenn die Menschen sich wieder darauf besinnen, was im Leben wichtig ist. Heute stehen beim Christbaumversenken auch die Taucher im Mittelpunkt und mit ihnen alle, die anderen helfen: die Wasserwacht, die Feuerwehr, die Sanitäter. Auch an sie erinnert der alte Pater, wenn er vom Fest der Liebe spricht.

Und wir haben nach diesem stimmungsvollen Abend das Gefühl: Jetzt könnte Weihnachten kommen.