Ponte de Lima. Auch im Norden von Portugal gibt es einen Jakobsweg. Gelbe Pfeile leiten die Pilger durch verzauberte Natur und zu leckerem Essen.

„Sieht man fünf Minuten lang keinen gelben Pfeil, ist man verloren.“ José grinst und deutet auf eine halbhohe Steinmauer. Eine zierliche Eidechse flitzt zwischen die Felsen, auf denen in leicht ausgeblichenem Gelb ein Pfeil prangt und den rechten Weg weist.

Nicht ganz und gar vor Gott und der Welt verloren, beruhigt José, „das nun gerade nicht“. Immerhin ist dies Teil des Camino de Santiago, des weit verzweigten Jakobsweges also. Die Wanderer sind nicht bloß Wanderer, sie sind Pilger. Und José ist gewissermaßen ihr Hirte. Er wurde in Ponte de Lima, einem der ältesten Örtchen Portugals, geboren – und kennt den lokalen Abschnitt des Streckennetzes wie wohl kein Zweiter hier.

Uhr und Telefon bleiben zu Hause

Und er hat das Unternehmen Green Walks mitgegründet, auch aus Stolz auf seine Heimat: Touren durch die nordportugiesische Natur bietet José nicht nur auf dem Camino de Santiago an. Den allerdings geht der 40-Jährige fast täglich, sogar in seinem Urlaub. Der einzige Unterschied: Er lässt dann Uhr und Telefon zu Hause.

Acht Tage braucht man von dem beschau­lichen Ponte de Lima bis nach Santiago, in zwei Tagen schafft man es bis zur spanischen Grenze. Verlaufen kann man sich kaum – jedenfalls nicht, wenn man brav den Pfeilen folgt. Die sind hier so reichhaltig über Wege, Mäuerchen und die mit Efeu umwucherten Baumrinden verteilt, dass beim Abweichen von der Strecke der Teufel seine Finger im Spiel haben müsste. (Oder doch wenigstens der portugiesische Vinho Verde.)

Jedes Jahr kommen 300.000 Wanderer

Die Erfolgsgeschichte dieser Strecke ist längst nicht mehr nur eine spanische, selbst von Hape Kerkeling, diesem Deutschen mit dem Jakobsweg-Megabestseller, hat José schon gehört. Denn auch in Nordportugal pilgern immer mehr Besucher: 1973 erhielten nur rund 30 Wanderer das begehrte Zertifikat. Heute kommen jedes Jahr 300.000.

„Der Camino gibt dir, was du brauchst“, sagt José. „Wenn du zum Leiden kommst, wirst du leiden. Wenn du kommst, um Freude zu haben, wirst du Freude haben.“ Manche sind mit Fahr­rädern und Kinderanhängern hier un­terwegs, manche barfuß. Einer, erzählt José, laufe seit zwölf Jahren ohne Unterlass. „Seine Familie weiß, dass er lebt, weil das Fernsehen ab und zu ein Stück über ihn sendet.“

Werbung musste José noch nie machen

Wilde Rosen strahlen weiß und pink­farben am Wegesrand; hinter den Steinwällen, die die Sonnenhitze des Tages speichern, ist der Wein hochgebunden. Der Vinho Verde wächst dort wie an Wäscheleinen, lauschig sieht das aus. „Optimale Platzausnutzung“, sagt José und lächelt.

Seine Green Walks führen nicht nur auf spirituellen Pfaden durch Zauberwäldchen und an Weingirlanden vorbei, sondern auch entlang der nördlichen ­Atlantikküste, Kilometer um Kilometer kann man dort über Holzbohlenstege spazieren und die Wellen anschmachten. Werbung dafür oder für den Jakobsweg hat er noch nie machen müssen.

Fragt ihn jemand, was man auf seinen Touren zu sehen bekomme, sagt José nicht, was naheliegend wäre: „Schau dir die Natur an, die ­Tiere, das Meer, die Berge.“ Er verspricht ­keine „Erleuchtung“. Er verweist auf die Menschen. „Ihre Art, hier zu leben, ihre Gemeinschaft, das Essen. Das ist es, was Nordportugal ausmacht.“

In dieser Gegend hüten Schäfer traditionell ihre Schafe.
In dieser Gegend hüten Schäfer traditionell ihre Schafe. © AFP/Getty Images | Nicolas Asfouri

Die Menschen sind harte Arbeit gewohnt

Das Essen, oh ja. Feijão tarrestre, ein Bohneneintopf, dessen Bohnen auf der internationalen „Slow-Food-Liste“ stehen. Fleisch von frei laufenden Cachena-Rindern mit beeindruckenden Hörnern. Süße Charutos (Zigarren) aus Eigelb, Zucker und Mandelmasse mit Orangenscheiben aus der Nachbarschaft, Käsekuchen mit Feigen ... Pedro nickt und reicht auffordernd das Broa über den reich gedeckten Tisch.

Dickes, knuspriges Maisbrot, gefüllt mit einer gehaltvollen Mischung aus fluffiger, leicht süßlicher Krume, Kräutern, Olivenöl und Bacalhau, dem typisch portugiesischen Stockfisch. Auch Pedro stammt, wie José, aus dem Norden Portugals, aus der historischen Vila Arouca in der Metropolregion Porto. Die Böden hier im Umland sind steil, steinig und wenig fruchtbar, die Menschen sind harte Arbeit gewohnt, die Jungen gehen in die Städte.

Der Geopark Arouca ist ein echter Geheimtipp

Pedro ist zurückgekommen. Seinen ersten Job, der ihn als Ingenieur nach Uganda, Sambia, Tansania und Vietnam verschlug, hat er aufgegeben, um stattdessen Touristen mit Jeeps in die nordportugiesischen Berge zu fahren und ihnen unermüdlich die Schönheiten seiner Heimat näherzubringen. Heiß und trocken ist es hier im Sommer, kalt und feucht im Winter. Pedro glaubt fest an das Potenzial dieser Landschaft, ihrer Menschen und der bäuerlich-deftigen Küche.

„Just come“ hat er sein Start-up genannt. Kommt einfach. Noch sind 70 Prozent seiner Kunden Portugiesen, noch ist selbst der geschützte Geopark Arouca ein echter Geheimtipp. Geht es nach Pedro, soll sich das ändern.

Nebel dick wie ­Bacalhau-Brei

Sein Jeep, einer von mehreren, die er mittlerweile besitzt, rumpelt die einfachen Bergstraßen hinauf. „Lehnt euch nicht mit dem Rücken an, dann ist es einfacher auszuhalten“, ruft Pedro vom Steuer aus seinen Gästen zu. Wildschweine und Wölfe gibt es hier oben, treffen wird man wohl keine – zu laut dröhnt der Motor zwischen den Pinien, Kastanien und Eukalyptusbäumen und schließlich auf der alten römischen Straße.

Im Norden Portugals ist der Jakobsweg mit gelben Pfeilen ausgewiesen.
Im Norden Portugals ist der Jakobsweg mit gelben Pfeilen ausgewiesen. © schiller | Maike Schiller

Mauern aus Granitsteinen begrenzen den Weg. Direkt dahinter: der Nebel. Dick wie ­Bacalhau-Brei legt er sich über die Landschaft. Betrübt schaut Pedro in die Nebelsuppe. „Eigentlich sieht man von hier aus die Lichter von Porto“, sagt er achselzuckend und weist unbestimmt in die Ferne. Heute nicht. Dafür blühen kleine gelbe Blütenbüsche zwischen den Felsen, Carqueja, eine Heilpflanze. „Die Kühe fressen sie gern“, erzählt Pedro, „und als Tee reinigen die fleischigen Blätter die Leber, als Kraut schmeckt Carqueja im Reis.“

Der alte Mann und das Kalb

Aus dem Nebel taucht ein alter, sehr ­alter Mann auf, er stützt sich auf seinen Holzstock und fragt den jungen Guide wortreich nach einem Kälbchen, das ihm im Nebel entlaufen ist. Er trägt dicke Stiefel, einen Hut, ein abgerissenes Jackett. Pedro verspricht, die Augen ­offen zu halten. Was bei der Sicht, vielmehr der Nicht-Sicht, nicht so einfach sein wird.

Seine Gäste fährt er weiter zum Mizarela, Portugals höchstem Wasserfall. Also, wahrscheinlich. Denn man hört zwar, als der Fahrer den Motor ­abstellt, wildes Rauschen. Erkennen jedoch kann man rein gar nichts. Heute nicht. Der Nebel.

Ein bisschen Abenteuerlust ist vorteilhaft

Superlative hat Pedro trotzdem zu bieten. Die Legenden der Gegend kennt er alle. Da ist der Handlungsreisende, der einst, vor vielen Hundert Jahren, aus Gram über sein untreues Weib in den Gralheira-Bergen nicht mehr aß und trank und der, so geht die Geschichte, ­glühende Kohlen auf bloßen Händen tragen konnte. Ein Gipfel ist nach ihm benannt. Da sind die Steine, die tatsächlich andere Steine „gebären“, die „Pedras Parideiras“. Und da ist das „Portal do Inferno“, das Höllentor, eine schmale Bergstraße, über die er auch seine mutigen Besucher kutschiert.

Der Nebel hat sich gelichtet, links und rechts gehen die Abgründe spektakulär steil hinunter. Man braucht eine gewisse Abenteuerlust und einiges Vertrauen in seinen Fahrer, um diese Strecke gut gelaunt mitzufahren. Zur Belohnung tischt Pedro mitten in den Bergen, irgendwo im Nirgendwo, ein Picknick auf. Hausgemachte Bauernwurst, Ziegenkäse aus der Gegend, Schinken, heißer Kaffee – und zimtige Kürbiskekse, frisch gebacken von seiner Mutter, die das Business des Sohnes unterstützt.

In Arouca, an der Serra da Freita, soll in der kommenden Woche ihre Enkelin geboren werden, Pedros erste Tochter. Da ist es gut, dass der Vater nicht mehr als Ingenieur durch die Welt fliegt. Flor soll das Mädchen heißen, sagt Pedro. Eine Blume aus Arouca.

Tipps & Informationen

Wanderreisen Just come – Country­side & Adventure Tours, Jeep- und Wandertouren in Arouca mit Geopark, www.justcome.pt –

Portugal Green Walks, 5–8-Tagestouren an der Küste wie auf Teilen des Camino de Santiago, www.portugalgreenwalks.com

Hoteltipp Sehr originell ist das Agroturismo Quinta do Pomar Maior im Geopark Arouca. Alte Steinhäuser und Bungalows kombiniert. www.quintadopomarmaior. com, Tel. 0035/1/963 162 137

(Die Reise wurde unterstützt durch das portugiesische Fremdenverkehrsamt. )