Dubai. Lange war es ruhig in der Urlaubsdestination Ras al-Khaimah. Doch das Emirat am Persischen Golf bietet neben Sonne nun auch Adrenalin.

Wir sehen uns auf der anderen Seite!“, sagt Bhupesh Kumar und hebt ab. ­Füße vom Boden, eine Hand ans Sicherungsseil, und weg ist er. 20 Sekunden lang fliegt er durch die Luft; 120 Meter unter seinen Füßen eine Schlucht, viele Felsbrocken und eine einsame Straße. Sollte ein Auto vorbeifahren, würden die Insassen vermutlich erschrecken, dass da plötzlich ein Mensch am Himmel entlangzischt. Falken ja, die kennt man in den Emiraten, aber fliegende Inder?

Kumar ist ein kleiner Held in seiner Heimat. Als erster Mensch überhaupt erkletterte er einen 6180 Meter hohen Gipfel im Himalaya. Zur Belohnung durfte Kumar dem Berg einen Namen geben, er entscheid sich für Mount Kalam, nach dem ehemaligen Präsidenten Indiens. Der 32-Jährige jedenfalls, der schon Berge getauft hat, soll sie nun hier in Ras al-Khaimah versetzen. Und Einöde in ­Action verwandeln.

Das nördlichste der Vereinigten Arabischen Emirate ist bislang durch beschaulichen Strandurlaub zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis bekannt. Doch außerhalb der Hotelanlagen gibt es wenig zu sehen. Ein paar verfallene Häuser aus Kalkstein in der ­Altstadt, ein Fort aus dem 19. Jahrhundert mit einem hübschen Windturm und einem ­Museum, das selbst schon museal daherkommt. Ein Fischmarkt, ein Souk, eine kleine Moschee, das war es dann schon an Sehenswürdigkeiten in diesem 100 Kilometer entfernt von Dubai gelegenen Reich.

Damit lässt sich gerade mal ein Halbtagesausflug für Touristen gestalten, und auch den muss der Reiseführer in Ermangelung an wirklich interessanten Attraktionen mit Erzäh­lungen über den Nationalhelden Ahmed Bin-Majid ausschmücken, einem der berühmtesten Seefahrer Arabiens. Er half Vasco da Gama 1498, den Seeweg nach Indien zu entdecken, und wurde daraufhin von seinen Zeitgenossen „Löwe des Meeres“ gerufen.

Mit der Zipline über 300 Meter Tiefe

Die Löwen des Himmels jedenfalls, Bhupesh Kumar und seine Kletterkollegen, könnten ein wenig Abwechslung nach Ras al-Khaimah bringen. Im Hajar-Gebirge, dem Dach der Emirate, führen sie an steilen Felswänden Touristen den Berg hinauf, um ihn schließlich per Zipline hinabzurauschen. Via Ferrata nennt sich der ein Kilometer lange Klettersteig, für den man je nach Fitness und Mut zwei bis vier Stunden benötigt. Mitmachen kann jeder zwischen 12 und 65 Jahren, der weniger als 100 Kilo wiegt und nicht unter Höhenangst leidet.

Natürlich gibt es ein in den Fels gehauenes System aus Seilen und Kabeln, das die Kletterer absichert, aber als Anfänger muss man erst mal lernen, den Karabinern Vertrauen zu schenken, und schaut entgegen Kumars Anweisung viel zu häufig nach unten. Der indische Bergsteiger, der hier während der Urlaubssaison als Bergführer arbeitet, hüpft mehr von Fels zu Fels, als dass er klettert. Die Touristen eilen ihm hinterher, doch bei aller Motivation: Im direkten Vergleich mit Volksheld Kumar schrumpft jeder zur Schnecke.

Ohne Steine könne er nicht leben, hat der Kletter-Profi vor der Tour schon erzählt. Vor zwei Monaten sind ihm bei einer Tour im Himalaya zwei Zehen abgestorben. Kann passieren. No risk, no fun. „Wer immer in seiner Komfortzone bleibt, der stirbt vor Langeweile“, sagt Kumar. Das soll nicht passieren, also klettert und kraxelt man heraus aus seinem in Watte gepackten Leben voller Schienbeinschoner, Rauchmelder und Zahnzusatzversicherungen und steht schließlich vor der schwierigsten Mutprobe, der dritten Zipline.

Bei einer 0815-Angst werden Touristen motiviert

Unsere Autorin am Sicherungsseil.
Unsere Autorin am Sicherungsseil. © HF | Yvonne Weiß

Die ersten beiden waren 50 und 60 Meter lang und führten über eine Schlucht, die im Falle eines Absturzes einen Hauch Überlebenschance geboten hätte. Bei der dritten, 300 Meter langen Zipline wäre das definitiv anders. Es hilft auch nicht, dass der vorgeflogene Kumar auf der anderen Seite der Schlucht ruft und winkt, als müsste man nur durch eine Drehtür gehen. Sich fallen lassen – diese Herausforderung beschäftigt eine ganze Armee von Psychiatern.

Nicht so lange überlegen, denkt man. Einfach mal machen. Nur wann? Wirklich jetzt? Lieber erst gleich. Bald. Demnächst. Noch kurz das Sicherheitsgeschirr kontrollieren. Den Helm zurechtrücken. In welchem Ordner zu Hause liegen eigentlich die Unterlange für die Lebensversicherung? Wie lautete meine letzte SMS an die Familie? Unternimmt der ADAC Krankentransporte auch aus den Emiraten zurück nach Hause?

Es gebe verschiedene Formen von Furcht, erklärten die Mitarbeiter der Via Ferrata bei der Einweisung. Bei einer 0815-Angst würden sie die Touristen motivieren und so lange anfeuern, bis sie losflögen. Nur bei einer ausgewachsenen Panik-Attacke könnte man Alternativen überdenken. Wie genau die aussehen, blieb unklar, fällt leider erst jetzt auf. Den Weg zurück, das würde jedenfalls kaum gehen. Zip­lines funktionieren nur in eine Richtung.

Je weniger Ziffern auf dem Kennzeichen, desto reicher

„Enjoy the ride!“, ruft Kumars Kollege da plötzlich, und man verliert den Boden unter den Füßen. 70 Millionen Jahre hatte das Gebirge seine Ruhe, nun schreit eine Deutsche die armen Felsen an. Es heißt ja immer, der Berg ruft. Das Gegenteil passiert hier. Aber dafür befindet man sich im großen Menschheitstraum. Fliegen ohne Flugzeug. Herrlich.

„Schön, dich lebend wiederzusehen“, begrüßt einen Kumar auf der anderen Seite der Schlucht. Das Adrenalin hätte gern gleich eine Zugabe, aber nun geht es wieder hinab. Der ­innere Schienbeinschoner applaudiert, das Selbstbewusstsein freut sich über die immens gewachsene Größe. Keine dreiwöchige „Finde deine innere Kraft“-Kur schafft, was im Hajar-Gebirge in drei Stunden möglich wird.

Einst war das Gebiet mit den steil abfallenden Schluchten und einer Garantie für tiefrote Sonnuntergangs-Selfies kaum zugänglich, heute führt eine nagelneue Straße zum Gipfel. Die Reise von den Rundum-sorglos-Hotels hin zum 1934 Meter hohen Gipfel Jebel Jais ist nicht nur eine in die Einsamkeit. Es geht zurück zu den Wurzeln des Golfstaates, und dennoch fährt die Moderne mit ihrer für die Emirate typischen „Größer, teurer, weiter“-Attitüde mit. Etwa bei den Nummernschildern: je weniger Ziffern auf dem Kennzeichen, desto reicher und wichtiger der Fahrer.

Nummernschilder sind das größte Statussymbol

In der Hierarchie ganz unten stehen Leihwagen mit meistens fünf Nummern. Sollte ein Wagen mit nur drei oder sogar zwei Ziffern vor Ihrem fahren: Am besten nicht arrogant überholen oder gar in eine Auseinandersetzung mit dem Besitzer treten.

Der hat vor Ort nämlich definitiv den längeren Hebel, ist höchstwahrscheinlich sogar ein Mitglied der Herrscherfamilie. Nummernschilder stellen in den VAE ein Statussymbol dar, das man mit dem Porsche gemeinsam spazieren fährt. Bei einer Schilder-Versteigerung in Abu Dhabi zahlte ein Emirati kürzlich 800.000 Euro für das Kennzeichen „77“. Nur zwei Nummern und dann auch noch bestehend aus einer Glückszahl, das ist Gold wert.

Kamelritt in der Al-Wadi-Wüste.
Kamelritt in der Al-Wadi-Wüste. © Getty Images/Lonely Planet Images | Aldo Pavan

Wenn das Kennzeichen mehr kostet als das Auto, wirkt das auf Ausländer gern mal verrückt. Doch genau diese Besonderheiten machen einen Urlaub am Persischen Golf ja erst interessant. Normal kennt man von zu Hause. Demnächst soll es in Dubai fliegende Taxen geben, die wie riesige, fern­gesteuerte Drohnen aussehen.

Mal schauen, wer in ­diesen fahrerlosen Transportmitteln Platz nimmt. Außerdem wird an der „Hyperloop“ gebaut, einer Strecke, bei der ein Zug durch eine Art Tunnel schießt. Die 153 Kilometer zwischen Abu Dhabi und Dubai schafft man dann in nur zwölf Minuten. Niemals zuvor wurde eine Wüste so schnell durchquert. Karawane war gestern.

Dass die Fortbewegung im Land der Nomaden eine große Rolle spielt, erkennt man auch an den Benzinpreisen: Wasser ist teurer als Benzin; 52 Cent zahlt man für einen Liter Super, das Wasser hingegen kostet 75 Cent.

Die Straßen sind sehr sauber, was an den strengen Strafen vor Ort liegt. 50 Euro würde es kosten, wenn man sein Kaugummi aus dem Fenster wirft. Und wer denkt, egal, hier in dieser menschenverlassenen Gegend im Gebirge sieht’s ja keiner, der täuscht sich. Kameras verstecken sich überall, und den Ferrari, der vor fünf Minuten an einem vorbeidüste, könnte ein Zivilpolizist steuern.

Die Fahrt vom Gipfel dauert gut zwei Minuten

Der Vorteil der Überwachung: Es gibt fast keine Kriminalität. Während man in einigen Urlaubsländern seine Handtasche krampfhaft an sich klammert, kann man sie hier während der Klettertour beruhigt unten am Ausgangspunkt liegen lassen, nichts passiert. Gut, nun kommen außer ein paar Ziegen wenige Leute an der kleinen Bergsteiger-Hütte vorbei, aber selbst wenn: Die Gefahr, beim Diebstahl erwischt zu werden, deshalb jahrelang in Haft zu gehen und anschließend das Land für immer verlassen zu müssen, wiegt zu schwer.

Rund 90 Prozent aller, die hier leben, sind nur zu Gast. Die Emirate bestehen fast ausschließlich aus Menschen mit einer anderen Heimat im Herzen. Die größte Gruppe bilden die Inder. Vielleicht fühlt sich Bhupesh Kumar deshalb in Ras al-Khaimah so zu Hause. Oder weil Abenteurer wie er hier eine besonders schöne Spielwiese gebaut bekommen haben.

Im Februar kam eine neue Adrenalin-Attraktion hinzu, die längste Zipline der Welt. Rekorde garantieren Aufmerksamkeit, keiner weiß das so gut wie die Herrscher der Vereinigten Arabischen Emirate. Es waren die von ihnen geschaffenen Superlative, mit denen sich ihre 1972 gegründete Föderation von einem Sandhaufen zu einem der größten Business- und Touristenzentren der Welt gewandelt hat. Bislang hielt The Monster in Puerto Rico mit 2200 Metern den Zipline-Rekord, in Ras al-Khaimah sind es nun 3000 Meter.

Die Fahrt vom Gipfel hinab dauert gut zwei Minuten, und man darf sich sogar ein Rennen mit einem anderen Verrückten liefern, weil zwei Kabel parallel verlaufen. Anders als bei der Via Ferrata muss man sich die Sturzflüge nicht erst erklettern, man kann den Berg direkt bis zur Drahtseilrutsche hinauf fahren. Adrenalin für Faule sozusagen.

Doch Bhupesh Kumar ist dennoch begeistert wegen der Geschwindigkeit, die er in seinem ersten Test der Rekord-Zipline erreichte: „Bei 150 Stundenkilometern fliegt einem fast das Gesicht weg. Ich konnte nicht mal mehr schreien.“ Ein atemberaubendes Spielzeug.

Tipps & Informationen

Anreise z. B. ab Hamburg nonstop mit Emirates oder mit Air France über Paris nach Dubai. Von dort sind es mit dem Taxi oder Mietwagen eineinhalb Stunden Fahrt bis nach Ras al-Khaimah.

Übernachtung Doubletree by Hilton Resort & Spa: Das für Familien sehr gut geeignete Hotel liegt auf der Al Marjan Island. Waldorf Astoria: Sehr gute
libanesische Küche, der High Tea ist ein Erlebnis! The Ritz-Carlton Al Wadi
Desert: Mitten in der Wüste gelegen und purer Luxus. Alle sind buchbar über www.fti.de

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch FTI.)