Canh Duong. Coffeeshops, Garküchen, Bier: Das alte Asien mit seinen Traditionen und Einflüsse der westlichen Welt prallen in Vietnam aufeinander.

Die alte Dame lässt ihre Körbe in den feinen Sand von Canh Duong sinken und hält uns ein seltsames Insekt in Bernstein unter die Nase. Es handelt sich um eine in glasigen Maniokteig eingebackene Mini-Garnele, 50 Cent die Portion. Die Strandverkäuferin setzt sich zu uns in den Schatten, ganz freundliche Falten. Bui Thi Bon heißt sie, vier Kinder und sechs Enkel hat sie, und dennoch muss sie mit ihren 87 Jahren durch die Mittagshitze stapfen. Ihre Häppchen schmecken köstlich, weil sie von ihr sind. Man will Bui Thi Bon die Körbe reichen, als sie wieder aufbricht, doch sie sagt: „Das ist zu schwer für dich.“

Tatsächlich ist Vietnam nicht so leicht zu verstehen. Canh Duong mit seinem verlassenen Traumstrand liegt nicht weit von Danang, wo die US-Soldaten einst zum Sound ihrer startenden Kriegshubschrauber surften. Bekanntlich verloren sie den Krieg gegen die Kommunisten. Dennoch ist Danang heute eine amerikanisch wirkende Tourismusmaschine.

„Wer fleißig ist, kann überleben“

Einen Kündigungsschutz kennen die Menschen nicht, die hier arbeiten. „Aber es gibt viel Arbeit“, sagt unser Reiseführer Duc. „Wer fleißig ist, kann überleben.“ So wie die Strandverkäuferin, die vom Staat nur etwa zehn Euro Altenhilfe bekomme. Offiziell ist Vietnam noch kommunistisch, doch das manifestiert sich nur mehr im Beamtentum und in den Machtverhältnissen. Hinter riesigen Werbebannern entsteht in Danang ein Hotel nach dem anderen, ein stählerner Drache schwingt sich über den Fluss, und tatsächlich, die Brücke speit gelegentlich Feuer und Wasser. Wir erleben ein Land im Umbruch und im Aufbruch. Gute Reise, Vietnam!

Überall ist Bewegung. Die Helme der Rollerfahrer in Hanoi streifen die Luftwurzeln der Gummibäume, die hier und da verwachsen mit der wild wuchernden Verkabelung, ja, das Holz bildet Perücken für Ampeln. So mancher Baum ist tatsächlich die Manifestation eines Naturgeistes, zu erkennen an einem kleinen Schrein, der wie ein Vogelhäuschen an seinem Stamm klebt. Der Buddhismus hier ist durchzogen von Animismus und Astrologie, und so sind die Bäume zwischen all den Tempeln die spirituellen Pfeiler Hanois.

Anwohner fahren mit Motorrollern in die Geschäfte

Im Schatten der Bäume und der Geister durchknattern 5,7 Millionen Mopeds und nur ein Zehntel so viele Autos das Kleinbunt der Läden. Einige Geschäfte haben sogar Rampen gebaut, sodass die Zweiräder bis vor die Theke rollen können. Die Bürgersteige hier sind Verkaufsräume und Werkstätten, Zimmermänner sägen, schmirgeln, nageln Schränke, Stühle, Zargen auf der Straße, ohne Werkbank, auf dem Boden – warum in der Hocke, das ist eines der großen Mysterien Asiens. Und im dichtesten Verkehr immer wieder dieses archetypische Bild: die Großmutter mit Bauernhut und Avocados, Litschis, Orangen im Doppelkorb, gleichsam trägt sie Vietnam auf ihren Schultern. Denn von oben, sagt man, erinnert das schmale, 1650 Kilometer lange Land an eine Bambusstange mit zwei Reiskörben um Hanoi und Saigon.

Nach globaler Norm gentrifizierte Cafés werben in der Hauptstadt mit Katzenkaffee, Imbissbuden bieten schmandartige Crêpes aus Reismilch an, und die allgegenwärtige Pho (sprich „Foo“) ist so vielseitig, dass man besser von einem ganzen Suppensystem spricht. Pho funktioniert mit allen Fleischsorten, aber immer mit Fischsoße. Ein ganzes Arsenal an Verfeinerungsoptionen steht auch noch am kleinsten Stand bereit.

Street-Food-Tour mit dem Hanoi Cooking Centre

Unsere Street-Food-Tour mit dem Hanoi Cooking Centre beginnt mit einem Trunk von der im Westen unbekannten Laha-Frucht, Süßholz und Malz schwingen mit. Nhung ist mit ihrer Garküche 40 Jahre im Geschäft, wir verschaffen uns bei ihr eine Grundlage mit Bun cha, einer Schweinebauchsuppe, und die mutigsten Mitreisenden probieren Bun oc, ihre Schneckensuppe mit Tomate und grüner Banane – die Brühe ist köstlich, die Schnecke selbst, nun ... auf dem Markt haben wir gerade eine gesehen, die es als eine unter 1000 aus ihrem Korb in die Freiheit geschafft hat. Einen Meter weit hat sie es schon auf dem gefliesten Mäuerchen gebracht, die Verkäuferin schaut stoisch in die andere Richtung.

Und das ist also Bananenstamm, sieht aus wie ein löchriger Zwiebelring, schmeckt nach nix, macht sich aber funky im Salat. Diese Krabbenfleischrollen, ein Traum. Zum Dessert dann Chè – einen surrealen Bubble-Tea, den wir uns wie am Haribo-Stand selbst zusammenstellen. Warum nicht mit bunten Kügelchen aus Tapioka, die in der Kokosmilch schwimmen wie Fischaugen, da guckt der Nachtisch zurück. Eine Entdeckung aber ist der Egg Coffee im „Café Giang“.

„Mein Vater Nguyen war 1946 Barista im Metropol-Hotel“, erzählt Besitzer Nguyen Van Dao. „Milch war damals nicht erschwinglich, und Vater suchte nach Wegen, um sie zu ersetzen. So erfand er den Eierkaffee.“ Zum Geheimnis gehöre aber auch, sagt der 70-Jährige, dass der Vater drei Sorten Bohnen mischte, um diesen wirklich runden Geschmack hinzubekommen.

Man könnte Tage bei Garküchen und Märkten verbringen

Man könnte in Hanoi Tage bei den Gar­küchen und auf den Märkten verbringen, zwischen getrockneten Tintenfischen, Arti­schockentee, Sternanis, Jellyfrüchten und „Schokolade“ aus Mungbohnenpulver. Doch man kann auch mit Brian durch die Kneipen ziehen. Brian ist ein Koch und Bartender aus New York auf permanenter Weltreise. In Hanoi bietet er nun unter anderem eine Biertour an zu vier Hausbrauereien, die in den vergangenen drei Jahren in den wohlhabenden Quartieren um den Westsee entstanden sind.

Vu Duong Van importiert für sein Barett-Bier Hopfen aus Bamberg, musste aber schnell feststellen, dass seine europäische Kühlung den vietnamesischen Sommern nicht gewachsen war. Bei Furbrew filtern Thomas Bilgram aus Dänemark und sein Partner Cho das lokale Wasser und setzen anschließend wieder Mineralien zu, um gleichbleibende Qualität liefern zu können. Do Giang Vinh hat ein Jahr lang experimentiert und sein Ibiero-Bier verschenkt, denn die Restaurants wollten nicht, was sie nicht kannten. Doch nun haben sie alle ihre eigenen coolen Bars, und ihre Experi­mente schmecken nach Rauch, Zitronengras, Maulbeeren oder gar nach Pho – mit Noten von Chili und Essig.

Horoskop einer Meeresgöttin empfiehlt Hausabriss und -neubau

„Wir wollen die Leute überraschen, aber auch bilden“, sagt Thomas Bilgram, der kreativste unter den neuen Viet-Brauern. „Es soll ihnen Spaß machen.“ Es ist auch eine Wette auf das weitere Wachstum der einheimischen Mittelschicht, sagt Do Giang Vinh. „Bier ist schon jetzt ein Milliardenmarkt, wir brauchen nur einen Bruchteil davon zu erobern.“ Noch liegt seine Tagesproduktion bei nur rund 400 Litern pro Tag – und so kommen die Gäste von Brians Craft-Beer-Tour in den Genuss von ständig wechselnden Exklusivitäten.

Ein neuer Tag in Hoi-An, ein guter Tag für Opfergaben. Man könnte heute auch ein Haus kaufen, sein altes abreißen oder jemanden beerdigen, sagt das Horoskop im Tempel der Meeresgöttin Thien Hau. Sie kann ein sinkendes Schiff 1000 Meilen weit sehen, und ihren Wundergaben entsprechend groß sind die Räucherspiralen unter der Decke: Kegel, die drei Wochen lang brennen, die Reifröcke einer Göttin. An jedem hängt ein Zettel mit Name, Alter und sogar der Hausadresse des Gläubigen, damit die Göttin ihn auf ihren Dienstreisen bestimmt findet.

Mit Buddhismus hat das so viel zu tun wie blutweinende Madonnen mit der Philosophie des Christentums, aber der Aberglaube ist stark in Vietnam. „Ihr dachtet, wir wären Kommunisten. Im Glauben sind wir das Gegenteil“, sagt Duc lächelnd. „Du musst spenden – wer nur nimmt, bei dem wachsen die Zinsen.“ Dieser Karmakapitalismus ist an jedem Tempel zu beobachten, wenn Gläubige vor das abgeschlossene Innerste treten und wetteifernd Münzen in Richtung Nirwana werfen. Sie klimpern durchs Raster des Opferkastens, eine selbstvergessene Melodie, im Gegenzug darf eine Glocke geläutet werden, das Wunschkonzert Buddhas.

Der Ort hat sich spezialisiert auf den schönen Schein

Am Abend dann folgt die weltliche Erleuchtung, das Kolonialstädtchen Hoi-An schaltet seine Lampions an, hinter denen die touristischen Massen und gesellschaftlichen Widersprüche verblassen. Der Ort hat sich spezialisiert auf den schönen Schein, aber gerade vor dieser Kulisse, an den Ständen, wo die Lampions en masse auf Käufer warten, fällt auf, wie sehr Vietnam in der globalen Normalität angekommen ist.

Das Bild ist uns unterbewusst schon oft begegnet auf dieser Reise, auf dem Fleischmarkt von Hanoi, vor den Toren der alten Kaiserstadt von Hue und überhaupt in jedem dritten Geschäft, aber nie war es so magisch eingerahmt wie mit den Abertausenden bunter Traum­blasen in der tropischen Nacht von Hoi-An: Das ikonische Gemälde unserer Zeit zeigt eine geistesabwesende Verkäuferin mit Handy. Sie hat ihre Großmutter mit den Tragekörben hinter sich gelassen, als sie Zugang zur glo­balen Traumwelt gefunden hat. Vielleicht befindet sie sich nun dort, wo all die Touristen herkommen, die von der anderen Seite die Realität durch den Zauberspiegel ihres Bildschirms betrachten – und liegt nicht in diesem Weltenwechsel auch eine Magie?

Tipps & Informationen

Anreise Direktflüge von Deutschland nach Vietnam bietet allein Vietnam Airlines an, von Frankfurt nach Hanoi.

Pauschal z. B. von FTI-Reisen „Vietnam Free & Easy“, zehntägige Rundreise von Hanoi nach Saigon, Übernachtungen und Transfers fest gebucht, Tagesprogramm zum Selbstgestalten. Geführte Touren können hinzugebucht werden. Ab
685 Euro mit Eigenanreise. www.fti.de

Kulinarisches z. B. Garküchenkultur auf eigene Faust erkunden auf dem Cho-Chau-Long-Markt. Vorteil der Street-Food-Tour mit Hanoi Cooking Centre (ca. 50 Euro): Man erfährt, was man isst. Hanoicookingcentre.com – Brian bietet seine Craft-Beer-Tour an auf www.
atasteofhanoi.com
(ca. 60 Euro). Egg Coffee im „Café Giang“, 39 Nguyen Huu Huan, www.giangcafehanoi.com

Ausflüge Vespa Adventures bietet Rollertouren zum Mitfahren an, die Einblicke in die Lebenswelt bieten. Ab 60 Euro, www.vespaadventures.com

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch FTI und Vietnam Airlines.)