Kittilä. In Finnland können Besucher Husky-Touren buchen. Nach einem Crash-Kurs geht es tagelang über scheinbar endlose Felder aus Pulverschnee.

„Stop-whoa, he-he, stop-whoa!“, schreit Johu, „bremsen!“ – zu spät. Der Hundeschlitten seines Hintermannes touchiert in einer gefrorenen, holprigen Abwärtskurve eine Bodenwelle, bricht seitwärts aus und kippt mit Sack und Pack in einen Graben.

Rutschpartien ins eisige Abseits sind unvermeidbar bei einer Wildnistour durch Finnisch-Lappland. Davor schützt auch nicht das Musher-Training in dem Huskycamp Äkäskero bei Kit­tilä, das die Schlittenfahrer vor ihrer Eispartie absolviert haben.

Huskys schaffen in einem Winter bis zu 10.000 Kilometer

Bis sich der in einen steifen Thermoanzug gepackte Polarfahrer aus dem knietiefen Schneeloch herausgehievt hat, ordnet Wildnisführer Johu die verhedderten Zugleinen des Gespanns und beruhigt die schimpfenden, zur Weiterfahrt zerrenden Huskys. Trapper, Yankee und Xeno finden Pausen ebenso hundelangweilig wie die Leithündinnen Nora und Moonlight. Erst recht aber mögen sie es nicht, wenn ihr Steuermann bei rasanten Abfahrten ihren Lauf mit der Fußbremse zügelt.

Wer sein Herz an die zähen, bewegungsfreudigen Burschen verloren hat, weiß, die wollen nur eines – laufen, ­laufen, laufen. Und das meilenweit ungebremst durch die Schneewüste. Sind die Vierbeiner gut drauf, schaffen sie im Winter gut und gern bis zu 10.000 Kilometer. Allerdings muss es nicht immer Kraftsport sein. Ein langer Auslauf ohne Schlitten und Sprints macht die gutmütigen und gelehrigen Nordländer mindestens genauso glücklich.

Schneeanker aus dem Boden reißen und gut festhalten

Nach zehn Minuten gibt Johu das Zeichen: In die Hocke gehen, den Schneeanker aus dem Boden reißen und gut festhalten. Mit einem jähen Ruck werfen sich die Dauerläufer in die Leinen und preschen mit 30 Stundenkilometern den vor­auseilenden Gespannen hinterher. Weiter geht die Nordlandtour über vereiste Seen und scheinbar endlose Felder aus Pulverschnee. Das Thermometer zeigt minus 18 Grad.

Fast lautlos sausen die Schlitten in Marschformation durch Kiefer-, Fichten- und Birkenwäldchen auf dem na­hezu menschenleeren Fleckchen Erde am nördlichen Polarkreis. Nur monotones Kratzen der Kufen und stoßweises Hecheln der Hunde durchbrechen die kalte Stille. Wenn Mensch und Tier vor Anbruch der Dunkelheit die nächste Einödhütte erreichen, haben sie drei Tage Eiszeit hinter sich und waren 180 Kilometer auf den Beinen. Teamgeist, Ausdauer und harte Beinarbeit sind Voraussetzung für einen Stehplatz auf dem Schlitten bei der fünf Tage dauernden Abenteuertour.

Hundepflege ist Teil der Expe­dition in die Winterwelt

Mit Siberian-Huskys geht es durch die lappländische Winterwelt.
Mit Siberian-Huskys geht es durch die lappländische Winterwelt. © Getty Images | Stuart Wrightson

Gute Laune sollte selbst beim Küchendienst nicht verloren gehen. Ein- und Ausspannen der pelzigen Kollegen, Hundepflege und Hüttenarbeit sind Teil der Expe­dition in die Winterwelt. Komfortabler, aber weniger exotisch und aufregend sind organisierte Tagesausflüge mit anschließender Rückkehr in die warme Winterlodge.

In der Ferne wird das Ziel der dritten Reiseetappe sichtbar. Die nahende Dämmerung zeichnet verstreute Blockhütten als schwarze Punkte auf den scheinbar endlosen Horizont. Beißende Windböen pfeifen zum Finale unbarmherzig um die mit Brillen, Tüchern, Fellmützen und Fettcreme geschützten ­Gesichter. Der „Flug“ über die Bodenwelle einer letzten knappen Kurve zwingt abermals zum artistischen Balanceakt auf Kufen. Mit ganzem Gewicht stemmen sich die Schlitten­fahrer auf die Fußbremse. „Raaaatsch“, lässt die Eisenharke im Hundegalopp den Schnee hochstieben.

Vor der Schwitzkur in der Sauna steht Hüttenarbeit an

Die Hütte liegt auf einer Uferan­höhe, vom See keine 50 Meter entfernt. In eisverkrusteten Overalls stapfen die Nordlandfahrer hinauf zu ihrem Exil für die kälteste Nacht des Jahres. Hinter der Hütte stehen ein Brennholzverschlag, eine Minisauna, ein Kloschuppen – mit herrlichem Seeblick, wie sich später herausstellt. Das Möbelinventar in der Waldhütte ist so anspruchslos wie das Nachtlager. Wichtiger ist genug trockenes Holz für den Kamin.

Bis zur Schwitzkur in der Sauna und dem anschließenden Bad im Schnee steht Hüttenarbeit auf dem Urlaubsplan. Ruck­säcke und Vorräte sind ins Blockhaus zu schleppen, ein Wasserloch muss in das dicke Eis gebohrt werden. Bevor aus dem Kamin ein prächtiger geräucherter Lachs auf den Tisch kommt, ketten die Schlittenfahrer ihre Hunde am Seeufer an. Geduldig wartend, schlingen sich die Huskys in den Schnee. Erst als ihnen aus Kübeln der Geruch von dampfendem Brei in die Nasen weht, stimmen sie ein Heulkonzert an, das umso lauter wird, je näher das Mahl kommt.

Über den Muonio-Fluss an der schwedischen Grenze

Feuer machen in der Hütte ist Teil der Expedition.
Feuer machen in der Hütte ist Teil der Expedition. © Lädtke | M. Lädtke

Auch in dieser letzten Nacht vor der Heimreise ins Camp schlafen die anspruchslosen Tiere mit den Schnauzen „schneeunter“ aneinandergekuschelt und ungeschützt im Freien. Es ist fast Mitternacht. Im Licht des Vollmondes jagen leuchtend grüne und purpurfar­bene Figuren über den Schnee. Schmale Lichtkegel wachsen zu bauschenden, hell strahlenden Bändern, wechseln im Flug Farbe und Gestalt und verschwinden in der Unendlichkeit des Dunkels, um neuen, wie von magischer Hand gesteuerten Nordlichtern Platz zu machen.

Mit dem Sonnenaufgang erwacht das Land aus seiner nächtlichen Erstarrung. Wacker bezwingen die Hunde 20 Zen­timeter Neuschnee und ziehen ihre Gefährte beherzt durch immer dichter werdendes Schneetreiben. Noch 60 Kilometer bis zum Camp. Auf dem gefrorenen Muonio-Fluss entlang der schwedischen Grenze jagt der Wind Wolken wie finstere Dämonen über die einsam dahinziehenden Schlitten. Zeit verliert ihre Bedeutung, das Morgen hat keine Macht. Die in monotones Grau gehüllte Winterwelt lässt Fantasien Raum und lenkt den Blick nach innen – oder nach vorn zu den wackelnden Hinterteilen auf vier Beinen.

Freudengeheul von mehr als 100 Huskys

Eine Motorschlitten-Karawane und Langläufer auf maschinell gespurten Loipen sind untrügbare Vorboten aus dem nahen Wintersportcamp am Äkäskero-Berg. Jetzt gibt es für die Hunde kein Halten mehr. Nur mit einer Vollbremsung gelingt es den Mushern, ihr rasendes Gespann durch das Campgatter zu lenken und zu stoppen.

Mehr als 100 Huskys stimmen ein Freudengeheul an und empfangen die erschöpften Heimkehrer. Der ohrenbetäubende Wettstreit der Hundeschnauzen ist jedoch nicht nur Willkommensgruß, ­sondern auch pure Selbstreklame für die nächste Tour. Jeder will mit von der Partie sein, wenn die in dicken Schneeanzügen ulkig daherwatschelnden Fremden kommen und zur großen Fahrt anspannen.

Zum Abschied übers Gesicht geschleckt

An Trapper geht das Tamtam heute vorüber. Noch einmal schleckt der weiße Samojede-Hund seinem zweibeinigen Reisegefährten zum Abschied das Gesicht und wedelt seinen buschigen Schwanz. Dann gelten seine braunschwarzen Augen ausschließlich einem im Zwinger aufgeregt tänzelnden Siberian-Husky. Vermutlich eine Dame.

Tipps & Informationen

Anreise Mit z. B. Easyjet oder Finnair nonstop von Berlin nach Helsinki. Von dort gibt es Flug-Zubringer nach Kittilä. Die Wilderness Lodge Äkäskero ist Ausgangspunkt für Schlittentouren durch Finnisch-Lappland.

Preisbeispiel Hundeschlitten-Touren hat zum Beispiel der Reiseveranstalter Dertour im Programm. Eine 8-Tage-Tour kostet ab/bis Kittilä ab 1553 Euro, Winterkleidung und eine komplette Ausrüstung inklusive. www.dertour.de

Beste Reisezeit Dezember bis April. Ab Februar wechselt der Himmel oft vom Grau ins Blau. Durchschnittstemperatur dann -7 °C. Im Dezember und Januar wird es tagsüber bis zu -18 °C kalt. Tageslicht etwa fünf Stunden.

Literatur Einstimmung auf das Winterabenteuer: „Husky-Trail“ von Dieter Kreutzkamp, ISBN: 978-3-492-40080-0, 14 Euro.

Auskunft www.visitfinland.de