Thamel. Nepal – das sind eisbedeckte Achttausender und tropischer Dschungel. Wer hier wandert, kann sich in buddhistischer Gelassenheit üben.

Die ersten Gebetsmühlen auf unserem Weg sind verziert mit Mantras, bunten Schriftzeichen in Handarbeit, aufgetragen mit einem Grad an Perfektion, der Kalligrafen staunen ließe. Buddhisten drehen die auf Spindeln montierten Metallzylinder, um körperliche Betätigung und spirituelle Inhalte miteinander zu verknüpfen. Einfachste Handlungen wie das Drehen einer Gebetsmühle unterstützen ihrem Glauben nach den Pfad zur Erleuchtung.

„Außerdem häuft man dabei gutes Karma an“, erklärt uns Rakesh Rai, der gleich zweimal an der Reihe aus Walzen vorbeiläuft und sie mit der rechten Hand im Uhrzeigersinn zum Drehen bringt. Der nepalesische Guide führt uns bereits seit Tagen trittsicher immer weiter hinauf in die Berge zum 5416 Meter hohen Gebirgspass Thorong La und erzählt von Land, Leuten und seiner Religion, dem Buddhismus.

Nepal auf Platz 5 der besten Reiseziele

Buddhistische Klöster, schneebedeckte Gipfel und tropische Dschungel: Nepal, die Heimat des Mount Everest, bietet eine außergewöhnliche Vielfalt und ist weltbekannt als Ziel für Bergsteiger. Aus gutem Grund listet der Reiseverlag Lonely Planet das Land auf Platz fünf der besten Reiseziele im Jahr 2017.

Im ehemaligen Königreich finden selbst gestresste Großstädter beim Wandern durch sagenhafte Naturpanoramen zur Ruhe. Das Dach der Welt, der Himalaya, scheint ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist. Ein Ort, der das ganze Wesen mit umfassender Zufriedenheit erfüllt, während bunte Gebetsflaggen im Wind wehen und Mönche gelassen ihre Mandalas malen.

In Thamel ist vom Frieden der Bergwelt nichts zu spüren

Doch am Anfang steht der Trubel. In Thamel, dem touristischen Zentrum der Hauptstadt Kathmandu, ist vom Frieden in den Bergen wenig zu spüren. Tausende Motorräder und Rikschas schlängeln sich durch mittelalterlich anmutende Gassen, aus Restaurants duftet es nach Kreuzkümmel, Koriander und Kurkuma, auf Basaren bieten Händler lautstark ihre Waren an. Es werden Mandalas, Kleidung aus Yak-Wolle, Buddha-Statuen und Klangschalen verkauft. Bettler flehen um Almosen, und Straßenhunde schlafen im Halbschatten. Auf den Dächern gurren Tauben, und vereinzelt hangeln sich Affen an frei liegenden Stromkabeln von einem Haus zum anderen.

Mitten im Trubel treffen wir zum ersten Mal Rakesh, der uns für ungefähr 30 Euro am Tag nicht nur bei der Orientierung im Himalaya hilft, sondern als Übersetzer den kulturellen Austausch mit der Bevölkerung ermöglicht und sein scheinbar unbegrenztes Wissen über Land, Leute und Lebensweise teilt.

Warnungen vor Höhenkrankheit

In einem der ärmsten Länder der Welt sind solche Tätigkeiten eine willkommene Einkommensquelle. Bei einem Masala Chai, einem herrlich duftenden Schwarztee mit Milch, Zucker und Gewürzmischung, erzählt Rakesh von der überwältigenden Schönheit der Bergpanoramen, die uns erwarten, warnt aber auch vor der nicht zu unterschätzenden Höhenkrankheit.

Um das gefürchtete Leiden zu vermeiden, sollte ab 2500 Metern die Schlafhöhe um höchstens 500 Meter pro Tag gesteigert werden. Mit zunehmender Höhe nimmt der Luftdruck und damit der Sauerstoffgehalt der Luft ab, eine Sauerstoffunterversorgung kann eintreten. Wer Symp­tome wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder Schwindel verspürt, sollte möglichst wieder bis zum zuvor beschwerde­freien Schlafplatz absteigen.

Nach den ersten Tagen schmerzen die untrainierten Beine

Von der Höhenkrankheit bleiben wir verschont, doch schon nach den ersten Tagen stetigen Bergaufs beginnen andere Strapazen an uns zu zehren. Die untrainierten Beine schmerzen, und an den Füßen sind die ersten Blasen blutig gelaufen. Rakesh hat die Lösung: „Buddha lehrt uns, dass Leiden entsteht, wenn wir unseren Körper und seine Sinne, Gedanken und Emotionen als unser Ich begreifen.“ Das sei falsch. Durch Meditation würde der trainierte Geist sich von solchen Banalitäten nicht stören lassen.

Ich gebe mir Mühe, doch meine Füße schmerzen noch immer, woraufhin ich frage, wie lange es dauern würde, bis mein Geist trainiert genug sei, die körperlichen Befindlichkeiten zu ignorieren. Rakesh antwortet mir mit einer Geschichte von dem Mönch, der in den Bergen wandert: Der fragt eine alte Frau, wie lange es dauern würde, den Gipfel zu erreichen. Sie ignoriert ihn. Er fragt nochmals, sie ignoriert ihn wieder. Ebenso ein drittes Mal. Der Wanderer nimmt an, die Frau sei taub, und so läuft er weiter.

Dann ruft sie ihm nach: „Sechs Tage!“ Er kehrt zurück und fragt: „Ich habe dich dreimal gefragt, und du hast mich ignoriert. Warum antwortest du jetzt?“ Die Frau sagt: „Ich musste erst sehen, wie schnell und entschlossen du läufst.“ Buddhisten, die den Pfad zur Erleuchtung wählen, spekulierten nicht, wie lange es dauern würde. Sieben Tage, sieben Wochen, sieben Jahre – egal, es gäbe keine ­Alternative.

Die Schönheit der Natur lenkt von den Wehwehchen ab

Auch ohne Erleuchtung gewöhnen sich die Beine in den folgenden Tagen ans Wandern, und der Schmerz hört auf. Für Ablenkung sorgt die Schönheit der Natur. Majestätisch ragen die Berge in den Himmel, an ihren Füßen wechseln sich sattgrüne Reis­terrassen mit rot blühenden Rhododendron-Wäldern ab. Azurblau ist das Wasser der Flüsse, die über Jahrtausende imposante Täler ins Felsmassiv geschnitten haben. Wir wandern über Hängebrücken, durch Wälder und gelegentlich Steppen, immer entlang einer Stromleitung. Der überirdisch verlegte Draht ist die Lebensader, die anzeigt, dass an ihrem Ende Menschen leben.

Kurz nachdem unsere Wander­stiefel den ersten Schnee berühren und es langsam kälter wird, erreichen wir das Dorf Manang. Im Gemeinschaftsraum einer Herberge wärmen wir uns am Feuer, das mit Yak-Dung beheizt wird. An der Feuerstelle nebenan steht Suresh Bhandari, ein Mann mittleren Alters, mit Wolljacke und freundlichem Lächeln, und bereitet uns Dal Bhat zu. Das Nationalgericht Nepals ist eine Suppe aus Linsen und Gewürzen, die mit Reis, Gemüsecurry und scharfem Chutney serviert wird. Dazu gibt es Po-Cha-Tee mit Yakbutter und Salz.

Jede Familie hat ihre eigenen Gewürzmischungen, mit denen gekocht wird

Mit der Freude eines Menschen, dessen Arbeit seine Leidenschaft ist, erzählt Koch Suresh von der kulina­rischen Vielfalt seines Landes. Neben hochwertigen Gewürzen würden die regionalen Gerichte auch mit dem Besonderen im Einfachen überzeugen. ­Jede Familie habe ihre eigenen Gewürzmischungen, deren Zusammensetzung gut gehütete Geheimnisse sind. Nach dem Essen erzählen Rei­sende aus allen Teilen der Welt von ­Begegnungen mit stets freundlichen Nepalesen und ihrer buddhistischen Gelassenheit. Draußen tobt ein Unwetter. Alle paar Minuten ein Paukenschlag: Donner zerschlägt die Luft, Blitze erleuchten die Bergspitzen.

Als wir morgens aufwachen, stellen wir fest, dass wir eingeschneit sind. Kein Grund aufzugeben. Durch knie­hohen Schnee geht es nach Yak Kharka und weiter nach Thorong Phedi. Die ­Annapurna-Umrundung ist eine der beliebtesten, weil abwechslungsreichsten Wanderrouten der Welt. In 21 Tagen geht es durch alle Klimazonen Nepals um das gewaltige Massiv des Annapurna (8091 m), durch Schluchten entlang der Flüsse Kali Gandaki und Marsyangdi und über den Gebirgspass Thorong La auf 5416 Meter.

Es gibt Momos zur Belohnung

Nach etwa 200 Kilometern haben wir den Berg umrundet, unsere Körper sind ausgezehrt. Gut, dass die Strecke in Pokhara endet, einer Oase für müde Beine. Es erwarten uns Gästehäuser mit vielen Annehmlichkeiten und Massagesalons. An der Promenade beobachten wir Gleitschirmflieger, wie sie ihre Runden ziehen, während die Sonne über dem See untergeht.

In einem kleinen tibetischen Restaurant essen wir Momos, mit Büffelfleisch gefüllte Teigtaschen. An der Wand ein Bild des Dalai Lama, darunter steht: „Ich finde Hoffnung in den dunkelsten aller Tage und fokussiere mich auf die hellsten.“ Nach dem Essen setzt sich der Wirt Phurbu zu uns an den Tisch. Ein junger Mann mit großen Augen und durchdringendem Blick, dessen Eltern nach dem sogenannten Tibetaufstand und der Niederschlagung durch die chinesische Regierung nach Nepal flohen, wo Zehntausende Exil-Tibeter rund ein Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Phurbu erzählt, dass er vor einiger Zeit vom Land in die Stadt gezogen ist. „Um Arbeit zu finden und ein neues Leben zu beginnen, nachdem das Unglück mein Haus zerstört hat“, sagt er und umfasst mit beiden Händen die Teetasse, als hielte er sich daran fest.

Nach dem Erdbeben 2015 geht der Aufbau weiter voran

Das „Unglück“ war ein verheerendes Erdbeben, das Nepal 2015 heimsuchte. Bei der Tragödie haben fast 9000 Menschen ihr Leben verloren, Kulturstätten wurden zerstört, und Hunderttausende wurden obdachlos. Auch durch Geld, das Touristen ins Land bringen, geht der Aufbau voran, und Nepal erstrahlt wieder in altem Glanz. Nahezu alle Wanderrouten sind erneuert, und an der Schönheit der Natur kann ein Erdbeben ohnehin nicht rütteln.

Das wird uns abermals bewusst, als wir nach einigen Tagen Erholung mit dem Bus zum Nationalpark Chitwan im Süden des Landes fahren. Das Naturschutzgebiet zeigt Nepal von einer vollkommen anderen Seite. Hier scheint ganzjährig die Sonne, die den dichten tropischen Wald regelmäßig auf Temperaturen über 30 Grad erhitzt.

Auf 932 Quadratkilometern an der Grenze zu Indien streifen neben frei lebenden Nashörnern und Elefanten auch Bengalische Tiger durchs Unterholz. Anstelle einer Jeep-Safari zur Erkundung seines Reviers wählen wir als mittlerweile geübte Wanderer eine geführte Tour zu Fuß. Einen Tiger bekommen wir zwar nicht zu sehen, aber als wir in einem Kanu gemächlich durch den Rapti River gleiten, schwimmen rechts und links neben uns meterlange Krokodile. Angst haben wir keine – wir haben schließlich in den letzten Wochen genug Gebetsmühlen gedreht und Karma gesammelt.

Tipps & Informationen

Anreise z. B. mit Turkish Airlines über Istanbul nach Kathmandu.

Übernachtung z. B. im Shambaling, www.shambaling.com, DZ ca. 70 Euro, oder im Dalai-la, www.dalailaboutiquehotel. com, DZ ab 80 Euro

Literatur z. B. von Marco Polo: „Reiseführer Nepal“, 12,99 Euro

Auskunft www.welcomenepal.com