Valletta. In Leeuwarden gibt es unter anderem eine Ausstellung über die Spionin Mata Hari. In Valletta wird bereits ein großes Feuerwerk vorbereitet.
Am Ende des verschlungenen Sträßchens, ein ganzes Stück weg schon von der Kleinstadt Zurrieq, kann man sich diesen Besuch ein letztes Mal überlegen. Das Gelände da vorn ist umzäunt, rote Flaggen wehen und warnen, denn dies ist, wenn man so sagen darf, eine Feuerwerksfabrik für Freizeitzündler: 35 Männer oder auch 40 aus dem Musikverein der Stadt, die in ihrer Freizeit nicht nur singen, sondern auch entschlossen mit Sprengstoff hantieren.
In einer einfachen Hütte, deren Dach aus naheliegenden Gründen leicht wegfliegen können muss, steht beispielsweise der Rentner Charlie Seisun (69) und füllt mit Messlöffel und Trichter Farben und Pulver in Sprengkörper. In 55 Jahren ist ihm sein Hobby dreimal um die Ohren geflogen, wie Narben an den Beinen und am Bauch bezeugen; aber das ist natürlich kein Grund, die Kartusche an den Nagel zu hängen.
Und schon gar nicht jetzt. Denn die Männer müssen die Raketen bauen, die sie selbst dann auch ganz offiziell steigen lassen: sowohl zur Eröffnung der Kulturhauptstadt 2018 in Januar als auch zu Regatta und Hafenfest der Kulturhauptstadt im Juni.
Die Kulturhauptstadt ist, wie eigentlich alles auf Malta, praktischerweise nur wenige Kilometer von der Feuerwerksfabrik entfernt: Valletta, auch im Hauptberuf Hauptstadt, Inselhauptstadt. Praktisch komplett 16. Jahrhundert, sehr klein und doch sehr städtisch. Und noch recht britisch, wie der Linksverkehr beweist, die Landessprache Englisch – neben Maltesisch –, der eine oder andere Pub und die gebackenen Bohnen in Tomatensoße auf dem Frühstückstisch.
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Erst in den letzten Jahren stieg die Besucherzahl auf Malta
Mit Leeuwarden in den Niederlanden ist Valletta also 2018 dran, und es bedarf nur einer mittleren hellseherischen Begabung, um zu prophezeien, dass die Stadt und die Insel im nächsten Jahr ein großes Reiseziel werden.
Bis dahin war es ein langer Weg: Vor einem halben Jahrhundert kamen allenfalls die Bräute oder Eltern englischer Soldaten in den Ferien her; dann kamen die Sprachschüler, angelockt von der ebenso reizvollen wie seltenen Kombination, Englisch im Warmen zu lernen; und erst in den letzten Jahren ging die jährliche Besucherzahl hoch auf zwei Millionen, die sich zum Teil für Strände begeistern und zum Teil für Kultur. Manche Fachleute sehen die kleine Insel Malta mit zwei Millionen Gästen am Rande ihrer überschaubaren Möglichkeiten angelangt, langfristig soll der Weg heißen: mehr Qualität. Mehr Suiten, mehr Luxus, mehr Butler.
„Wir brauchen die Kulturhauptstadt“
„Wir brauchen die Kulturhauptstadt, damit die kulturelle Infrastruktur einen Schub kriegt“, sagt Catherine Tabone in ihrem Büro, die Geschäftsführerin der Valletta-2018-Stiftung. Die bereitet das Jahr vor, das in der Szene nur noch „V18“ heißt: 400 Veranstaltungen füllen das Programm, 1000 Künstler „ohne all das, was Vereine und Initiativen auf die Beine stellen“. Schiffsparade und Eröffnungsfeier sind im offiziellen Programm dabei, zeitgenössische Oper und moderne bildende Kunst, ein Schwerpunkt bei Design.
Auch historische Reminiszenzen von beeindruckender Spannweite: An den Schiffbruch des Heiligen Paulus (60, also: im Jahr 60) wird ebenso gedacht wie an die türkische Belagerung von 1565, die deutsche Blockade bis 1943 und den Abzug der Briten 1979. Neben der üblichen Materialschlacht also kündigt Tabone auch an, kulturferne Menschen und benachteiligte Stadtteile einzubinden. Wie es an der Tür zu ihrem Büro steht: „Art can save you (probably)“ – „Kunst kann dich retten (wahrscheinlich)“. Aus dem aktuellem Anlass der Ermordung der Journalistin Caruana Galizia gibt es auch Stimmen, die von dem Jahr erhoffen, es verwische das frische Image eines Mafia-Staates.
Friesland ist die eigenständigste der zwölf niederländischen Provinzen
Jenseits der Tür von Catherine Tabone steht man dann wieder in der Stadt Valletta in ihrer – jetzt langsam abnehmenden – Gestalt als Baustelle. Bohrmaschinen dröhnen, Planen flattern vor Fassaden, und Rohre schlagen gegeneinander, wo Arbeiter neue Gerüste hochziehen. Viele Fassaden Vallettas, die ein bisschen schlierig geworden waren in den letzten Jahren, sind nun wieder auf’s Schönste sandsteingelb.
Doch zurück noch mal nach Zurrieq, zu den Männern des Musik- und Explosionsvereins Santa Katarina. Die Kracher und Raketen für ihr Dorffest im September 2018 bauen sie nämlich auch schon. Denn eine Woche vor dem Fest wird die Heilige Katarina schon durch den Ort getragen, mittags, und dazu knallt es bereits. Zu Ehren der Heiligen natürlich; aber im feierfreudigen Malta zeigt der ferne Lärm auch den Nachbardörfern an, wo die nächste Fete steigt.
Ganz anders, und doch verbunden durch den gemeinsamen Titel, ist die friesische Stadt Leeuwarden in den Niederlanden. Friesland ist zwar nicht gerade das Katalonien der Niederlande, aber doch die eigenständigste der zwölf Provinzen unserer Nachbarn. Die Region hat viel Nordseeufer, aber kaum Strände, die grünen Wiesen fransen beinahe direkt ins Wattenmeer aus.
Deshalb lockt der Landstrich weit weniger Badegäste als die Westküste. Hier kommen die Belgier hin, denen die eigene Nordseeküste zu verbaut ist, und Deutsche, die eine Alternative zu Ostfriesland mit hübscheren Häusern suchen. Aber Friesen sind sie hier auch durch und durch, Friesisch ist Amtssprache in „Fryslân“, wie es auf Friesisch heißt, das heutzutage von immerhin noch 350.000 Menschen gesprochen wird.
Halb Leeuwarden ist noch eine Baustelle
Als sich Leeuwarden 2013 in den Niederlanden beim Rennen um den Kulturhauptstadt-Titel gegen die Konkurrenz der klassischen Kulturstädte Den Haag, Eindhoven, Utrecht und Maastricht durchsetzte, waren nicht wenige Beobachter überrascht. Aber Leeuwarden hatte sich Essen und das Ruhrgebiet zum Vorbild genommen, als man sich 2008 an die Bewerbung machte: eine ganze Region mit einer Stadt als Fahnenträger vorneweg. Die Klammer der gesamten Bewerbung war die friesische Kultur und Eigenständigkeit. Und das Programm sollte von unten herauf erarbeitet werden, mit den Kulturschaffenden vor Ort und nicht von oben verordnet. So jedenfalls, wie im Revier, der hehre Vorsatz.
Aber wie in so vielen Kulturhauptstädten Europas wird jetzt, kurz vor dem offiziellen Eröffnungswochenende am 26. und 27. Januar, doch die Zeit ein wenig knapp. Halb Leeuwarden ist nämlich noch eine Baustelle, vor dem Bahnhof, an der Nieuwestad-Gracht, überall sind Straßen und Pflaster der 100.000-Einwohner-Stadt aufgerissen – man will sich ja extrafein machen für das nächste Jahr.
In Mini-Amsterdam
Leeuwarden ist eine Art Mini-Amsterdam, mit Grachten und den typisch holländischen Stadthäusern. In den Erdgeschossen viele schnuckelige Ladenlokale, von denen allerdings auch hier wechsel- und konjunkturbedingt rund jedes zehnte leer steht oder umgebaut wird.
Als Sitz der Provinzverwaltung ist Leeuwarden eine Stadt der Angestellten und Beamten, aber auch der Studenten – 15.000 besuchen die hiesigen Fachhochschulen, und schon die enorme Zahl der Plattenläden links und rechts der Grachten deutet auf eine recht junge Stadt, die sich im Umbau befindet: Aus dem alten Postamt ist das nobel-schicke Post Plaza Hotel geworden, aus dem alten Gefängnis in der Stadtmitte wird ein Kulturzentrum, das coole Szene-Restaurant dazu (Proefverlof) mit ambitionierter Speisekarte ist schon fertig.
Die Elf-Städte-Fahrt findet statt, wenn alles gefroren ist
Das 302 Jahre alte Rathaus ist allerdings noch in Gebrauch, und Bürgermeister Ferdinandus Crone von der Arbeitspartei, den hier alle nur Ferd nennen, sagt stolz: „Ich arbeite immer noch in dem originalen Amtszimmer, das ist Nachhaltigkeit!“ Leeuwarden eine der vielen Stadtgründungen des Mittelalters in Friesland, das mit Fischerei und Seehandel einst so sehr prosperierte, dass es zeitweilig der Sitz des Königshauses war. Irgendwann ging allerdings der Zugang zum heute gut zwölf Kilometer entfernten Meer verloren. Was blieb, war das ausgeprägte Selbstvertrauen der Menschen hier.
So arbeitet man denn auch recht offensiv mit der Tatsache, dass die als Tänzerin und Spionin sagenumwobene Mata Hari in Leeuwarden 1876 als Margaretha Zelle das Licht der Welt erblickte, und dass auch der begnadete Zeichner von Vexierbildern Maurits Cornelis („M. C.“) Escher hier zur Welt kam. Beiden widmet das Friesland-Museum am zentralen Marktplatz, das vor 140 Jahren gegründet wurde, die größte Regionalsammlung der Niederlande besitzt und vor vier Jahren für 18 Millionen Euro einen spektakulär schönen, lichten Neubau bekam, je eine Ausstellung.
Noch bekannter ist die „Elfstedentocht“, die Elf-Städte-Fahrt durch Friesland, die immer dann stattfindet, wenn die Kanäle so zufrieren, dass man mit Schlittschuhen darüberfahren kann. Die letzte Elfstedentocht fand 1997 statt, und da es in Zeiten des Klimawandels sein kann, dass es tatsächlich die letzte Elfstedentocht bleibt, werden die Städte der Rundfahrt im Kulturhauptstadt-Jahr durch eine weitere Gemeinsamkeit verbunden: Sie alle bekommen einen Brunnen, den jeweils ein international renommierter Künstler gestaltet hat. Jaume Plensas Nebel-Brunnen wird in Leeuwarden die Kulturhauptstadt-Gäste am Bahnhof empfangen.
Tipps & Informationen
Anreise nach Malta z. B. mit Air Malta ab Hamburg.
Unterkunft z.B. Hotel Interconti-nental Malta, Wintersaison eine Woche mit Frühstück inklusive Flug, Rail&Fly-Tickets sowie Transfers ab 540 Euro pro Person im DZ, im Sommer ohne Frühstück ab 695 Euro.
Pauschal Buchungen Hotels, Ausflüge oder Rundreisen bietet u.a. FTI Touristik an, auch im Paket mit Flug, www.fti.de
Programm unter valletta2018.org
(Die Reise wurde unterstützt von FTI Touristik und Air Malta.)
Anreise nach Leeuwarden z. B. mit KLM nach Amsterdam. Weiter per Mietwagen über die A 5/A 10/ A 7/A 31 bis Leeuwarden. Mit dem Auto von Hamburg über Leer und Groningen (A 1/A 28/E22/N 31). Mit der Bahn über Osnabrück, Deventer und Zwolle.
Unterkünfte Vom Businesshotel bis zum Bed und Breakfast gibt es ein breites Angebot. Doppelzimmer kosten zwischen 80 und 150 Euro.
Programm www.friesland.nl/de/ kulturhauptstad-2018
(Die Reise wurde unterstützt vom Niederländischen Büro für Tourismus.)