Papeete. Zwischen Tahiti und den Marquesas: 14 Tage lang führt das Passagier- und Frachtschiff „Aranui 5“ Touristen auf eine Südsee-Rundreise.

Steil ragen die Felsnadeln aus dem Grün des Urwalds in den blassblauen Himmel und stechen in tief hängende graue Wolken, die sich eben kräftig abgeregnet haben. In der hübschen doppeltürmigen katholischen Kirche haben wir für etwa zehn Minuten Schutz vor dem Regenguss gefunden, doch schon brennt wieder die Sonne, und wir gehen hinunter zum Strand, von wo aus sich die bizarre Landschaft besonders gut betrachten lässt.

Palmen biegen sich im Wind, Brotfrucht- und Bananenbäume bilden einen üppigen Busch, aus dem hellrosa Blüten der Süßkartoffel hervorleuchten. Bis fast zu den Bergspitzen hinauf sind die steil aufragenden Basaltkegel bewachsen, fast unwirklich mutet das Landschaftsbild an, erinnert an die Szenerie von Fantasy-Filmen.

Herman Melville schrieb über Nuku Hiva

„Steile Felsküsten, deren mächtige Klippen die Brandung umtost, ab und zu tiefe Buchten, durch die man einen Blick auf die dicht bewaldeten Täler erhält, dazwischen die Ausläufer des Gebirges mit ihren üppigen Grasdecken, die sich von dem hohen zerklüfteten Inneren nach dem Meere zu senken“, schrieb ein junger amerikanischer Seemann über die Südsee-Insel Nuku Hiva. Fast nichts scheint sich hier seit 1842 verändert zu haben, als sich der Matrose und ein Kamerad dazu entschlossen, zu desertieren und von Bord des US-Walfängers „Acushnet“ zu gehen, um sich in dieser traumhaften Landschaft zu verstecken.

Die Fluchtgeschichte ist in die Weltliteratur eingegangen, denn bei dem Seemann handelt es sich um den amerikanischen Schriftsteller Herman Melville, der sein Südsee-Abenteuer auf Nuku Hiva in seinem 1846 erschienenen spannenden Debüt „Taipi“ verarbeitet hat, bevor er fünf Jahre später mit seinem grandiosen Walfang-Roman „Moby Dick“ Weltruhm erlangte.

Ein Crew-Mitglied auf der „Aranui 5“
Ein Crew-Mitglied auf der „Aranui 5“ © Getty Images | James D. Morgan

Hier irgendwo muss er gemeinsam mit seinem Kameraden Tobi in die Gebirgslandschaft eingedrungen sein, in der Hoffnung, nicht den als Kannibalen verschrienen Taipi in die Hände zu fallen, sondern vom friedfertigen Stamm der Happar aufgenommen zu werden. Auch wenn sich Melvilles Ich-Erzähler Tom über den Charakter der Einheimischen gründlich irrte, ging die Geschichte gut aus – und der Roman begründete die Faszination, die die Marquesas-Inseln seit mehr als 100 Jahren besonders auf zivilisationskritische Gemüter ausübt.

Die angenehmste Möglichkeit, den Archipel zu erkunden

Wir sind nun schon den vierten Tag mit der „Aranui 5“ unterwegs, die beinahe die einzige, auf jeden Fall aber die angenehmste Möglichkeit bietet, den Marquesas-Archipel in Französisch-Polynesien zu erkunden. Er liegt 1600 Kilometer nordöstlich von Tahiti und ist die am weitesten von jedem Festland entfernte Inselgruppe.

Insgesamt 14 Tage dauert die Fahrt, die in Papeete beginnt und über Takapoto im Tuamoto-Archipel zu den Marquesas führt und anschließend über Rangiroa und Bora Bora zurück nach Tahiti. Wer sich auf die „Aranui 5“ einlässt, ein kombiniertes Fracht- und Passagierschiff, den erwartet keine klassische Kreuzfahrt mit Abendgarderobe und Kapitänsdinner. Die Restaurants und Bars sind sehr komfortabel, man kann luxuriöse Kabinen buchen, muss es aber nicht unbedingt.

Polynesische und französische Küche

Und auch wenn man wohl die meisten Passagiere als einigermaßen wohlhabend bezeichnen kann, gab es eben auch solche wie die New Yorker Studentin Ann, die eher als Backpacker zu bezeichnen ist. Sie und einige andere jüngere Reisende hatten sich für den deutlich günstigeren Platz in einer der Gemeinschaftskabinen mit zwei Doppelstockbetten für vier Personen entschieden.

Aber abgesehen von der Kabinenkategorie gibt es auf der „Aranui 5“, deren Design übrigens von der Hamburger Firma Shiptec entworfen wurde, eine klassenlose Gesellschaft und auch keine Unterschiede in der Verpflegung, die als Vollpension angeboten wird und polynesische mit französischer Küche kombiniert.

Erst 2015 hat die „Aranui 5“ ihre Vorgängerin „Aranui 3“ abgelöst, auf die Nummer 4 verzichtete die chinesische Eignerfamilie, weil die 4 in Asien als Unglückszahl gilt. Ausgelegt ist das Schiff für maximal 254 Passagiere, bei unserer Reise waren nur 150 Personen an Bord, zu etwa gleichen Teilen Deutsch, Englisch und Französisch sprechend.

Die Crew besteht fast ausschließlich aus Marquesanern

Anders als auf einem Kreuzfahrtschiff kommt man mit der Mannschaft ganz unmittelbar in Kontakt. Die Crew besteht fast ausschließlich aus Marquesanern, die mit ihrer freundlichen Art die Passagiere schnell für sich einnehmen, sich aber auch als Botschafter der eigenen Kultur verstehen.

So tanzen eben auf dieser Reise abends nicht die Mitglieder eines Show-Ensembles, sondern die Maschinisten und Matrosen, die Kranführer, Shop-Verkäuferinnen und Room-Maids, die allesamt mit den Traditionen ihrer Völker auf­gewachsen sind. Vor allem wenn die traditionell häufig stark tätowierten Männer Kriegstänze aufführen, wird eine enorme Kraft spürbar, die den Passagieren auch zeigt, wie lebendig die archaische Kultur der Marquesas noch immer geblieben ist.

„Aranui 5“ versorgt die Marquesas

Einheimische bei einer Aufführung.
Einheimische bei einer Aufführung. © Matthias Gretzschel | Matthias Gretzschel

Als wir am Morgen in Nuku Hiva ankommen, werden wir schon sehnsüchtig erwartet. Unter anderem von Martin, einem Fünfjährigen, für den wir ein mit einem Herzchen versehenes Kinderfahrrad an Bord haben. Bei jeder Landung wird deutlich, dass die „Aranui“ eben in erster Linie ein Frachtschiff ist, das die Versorgung der Marquesas sicherstellt.

Während die Crew Baumaschinen und Lebensmittel, Zementsäcke und Bierfässer, Tiefkühlkost und Container mit Kleidung per Kran auf die Barke hievt, mit denen die Waren angelandet werden, warten am Strand schon die Bauern und Händler mit Säcken voll ­Kopra, die anschließend an Bord genommen, zuvor aber vom Landemeister cash bezahlt werden. Kopra, das Fruchtfleisch der Kokosnuss, ist das Hauptausfuhrprodukt der meisten Südsee-Inseln. Es wird als Speisefett, für die Kosmetik-Industrie und zur industriellen Herstellung von Kokosöl genutzt.

Anthropologe entdeckte Menschenschädel im Baum

Auch wir Passagiere sind mit Barken zum Strand gefahren worden, weil es in Nuku Hiva kein Pier gibt und die „Aranui“ daher auf ­Reede liegt. An Land warten bereits Jeeps auf uns, mit denen wir das gebirgige Inland erkunden und jene Taki sehen, die als steinerne Menschendarstellungen in der Religion der Einheimischen in früheren Zeiten eine wich­tige Rolle spielten. An der Kultstätte Tue Lipoma ragt ein uralter, riesiger Banyan-Baum mit weit ausladender Krone und langen Luftwurzeln auf.

Davor führen Einheimische jetzt einen aggressiv wirkenden Tanz auf, der von lauten Trommeln und Schreien begleitet wird. Es fällt nicht schwer, sich die schaurige Vergangenheit dieser Kultstätte vorzustellen, als hier den Göttern noch Menschen geopfert wurden. In den filigranen Luftwurzeln des riesigen Banyan-Baums entdeckte der amerikanische Anthropologe Robert Suggs in den 60er-Jahren zahlreiche Menschenschädel.

Am Grab Jacques Brels singen Besucher eines seiner Chansons

Die Insel Hiva Oa, die wir fünf Tage später als eine der letzten Marchesas-Inseln kennenlernen, ist landschaftlich nicht weniger reizvoll, wirkt aber insgesamt etwas lieblicher. 1276 Meter ragt das Bergmassiv Te Metiu über den Meeresspiegel auf. Mit Jeeps fahren wir in das Dorf Puamau, wo sich auf einer Zeremonialplattform große Stein-Tikis befinden sowie die vermutete Grabstätte der sagenumwobenen Königin Vahine Titoiani.

Anschließend geht es nach Atuona zum idyllisch gelegenen Friedhof, einer Pilgerstätte für ­Kulturtouristen, da sich hier das Grab des französischen Malers Paul Gauguin befindet. Für einige ist das der Höhepunkt der Reise, gerührt stehen sie vor dem schlichten Grab, auf dessen Stirnseite ein runder Stein nur den Namen des Verstorbenen und das Todesjahr 1903 trägt. Glauben wir mal, dass er hier liegt, sicher ist das nämlich keineswegs, denn der kirchenkritische Maler wurde zunächst nicht in der geweihten Erde des katholischen Friedhofs beigesetzt.

Jacques Brel auf Hiva Oa beigesetzt

Erst später haben ihn Verehrer umgebettet, wobei sich das Gerücht hartnäckig hält, dass es dabei zu einer Verwechslung kam und nun vielleicht ein unbekannter Matrose postum die Huldigungen von Kunstfreunden aus aller Welt entgegennimmt. Absolut unumstritten ist dagegen das zweite Grabmal, das sich nur ein paar Meter entfernt befindet: Hier wurde der belgisch-französische Chansonnier und Schauspieler Jacques Brel beigesetzt, nachdem der Kettenraucher Ende 1978 in Frankreich dem Lungenkrebs erlegen war.

Während seiner letzten Lebensjahre hatte Brel sich überwiegend auf Hiva Oa aufgehalten, wo er in der zauberhaften Südseelandschaft Ruhe und Inspiration fand. Mehre französische Mitreisende haben sich jetzt an dem schlichten Grab versammelt, zutiefst gerührt stimmen sie gemeinsam „Quand on n’a que l’amour“ an, eines der berühmtesten Chansons von Brel. „Wenn man nichts hat als die Liebe“ heißt die deutsche Nachdichtung.

Sänger Jacques Brel war bei den Einheimischen sehr beliebt

Nicht weit vom Friedhof befinden sich zwei Museen, die den beiden Künstlern gewidmet sind: Im Centre Culturel Paul Gauguin findet man außer vielen Kopien und einigen echten Druckstücken für Holzschnitte kein einziges Original des weltberühmten Malers. Dafür hat man aber sein „Maison du Jouir“, sein „Haus der Freude“, nachgebaut, in dem Gauguin nicht nur gemalt, sondern auch feuchtfröhliche Feste gefeiert hat.

Nur ein paar Schritte weiter steht die schmucklose Halle des Espace Jacques Brel, in der es etwas authentischer zugeht. Mit Fotos, Dokumenten und Erinnerungsstücken wird das Leben des großen Sängers nachgezeichnet, der auf den Marquesas seinen Frieden fand und bei den Einheimischen sehr beliebt war.

Brels Privatjet als Rettungsflugzeug

Auch weil er sein Privatflugzeug im Notfall für Rettungsflüge einsetzte und gelegentlich Post transportierte. Lange rottete die zweimotorige Maschine vom Typ Twin Bonanza vor sich hin, inzwischen ist sie vorzüglich restauriert und hängt als spektakuläres Ausstellungsstück in der Halle, die von den melancholischen Liedern des französischen Künstlers erfüllt ist. Brel ist der jüngste der zahlreichen Künstler und Schriftsteller, die wie Melville, Gauguin, Robert Louis Stevenson oder auch Thor Heyerdahl von der Schönheit der Marchesas ergriffen wurden.

Aber so ging es auch den meisten Passagieren der „Aranui“, als sie nach zwei Wochen, in denen sie kein anderes Schiff und kein einziges Flugzeug gesehen hatten, wieder in Papeete eintrafen, der eher nüchternen und auch sonst kaum bemerkenswerten Hauptstadt von Französisch-Polynesien.

Tipps & Informationen

Anreise z. B. von Berlin und Hamburg mit Air France über Paris und Los Angeles nach Papeete, Flugzeit insgesamt ca. 22 Stunden.

Kreuzfahrt auf der „Aranui 5“ (bei Pacific Travel House ab/bis Papeete); Preise bis Ende 2018: 14 Tage/13 Nächte p. P. im Schlafsaal (Mehrbettkabine) 2528 Euro, in der Standardkabine 4089 Euro

Lektüre H. Melville: „Taipi. Abenteuer in der Südsee“ (Edition Holzinger, 19,90 Euro), Robert L. Stevenson: „In der Südsee“ (Europ. Literaturverlag 16,90 Euro)

Informationen www.pacific-travel-house.com