Vechta. Jedes Jahr treffen sich im niedersächsischen Goldenstedter Moor Tausende Kraniche. Sie tanken Kraft für den Weg ins Winterquartier.

Es ist ein langer und einsamer Weg, der pfeilgerade nach Süden sticht; ein Gasthaus, ein paar letzte Gehöfte und dann nichts mehr – am Ende des Weges das große Moor. Ein weiter, leerer Raum; der Blick über Ödnis bis zum Horizont. Östlich der niedersächsischen Stadt Vechta erstreckt sich das „Große Moor“; verlassen und gemieden.

In weiten Teilen Naturschutzgebiet, wenngleich die Schmalspurbahnen noch immer über die schiefen Gleise schaukeln und den Torf zur Fabrik fahren. Von Mitte Oktober bis in den Dezember Ort eines fantastischen Naturschauspiels – mehr als 20.000 Kraniche zählten die Leute vom Naturschutz zuletzt. Hier im Moor rasten die schönen Vögel, sammeln sich, tanken Kraft für ihren weiteren Weg ins Winterquartier.

Vom Info-Zentrum Haus im Moor führen einige Wege ins Nichts. Weit gehen, um später die Kraniche zu beobachten, muss man eigentlich nicht. Es ist Oktober, und der Atem wirft am späten Nachmittag bereits Wölkchen. Ein paar Leute stehen schon mit Spektiv und Fernglas am Wegesrand und blicken nach dort, wohin keine Wege mehr führen. Kilometerweite Einsamkeit mit tückischen Tümpeln, abgrundtiefem Moor und verkrüppelten Bäumen. Noch ist es zu früh für die Kraniche, die sind noch auf Futtersuche in der Umgebung und beginnen mit der Dämmerung einzufliegen.

Ihr typisches Trompeten von fern kündigt die Kraniche an

Der Moorboden schwankt unter den Schritten. Eine bizarr verkrüppelte Eiche spiegelt sich im Wasser, die Wellen verwerfen das Bild auf der Oberfläche plötzlich zu Scherben wie ein zerbrochener Spiegel. Am Rand des Wassers liegen blutrote Blätter. Dolden von knalligen, saftig-satten Vogelbeeren wippen am Strauch. Ein düsteres Moor voller Farben, so als wollte die Natur noch einmal auftrumpfen, bevor alles in monatelange Düsternis verfällt.

Krächzende Vogelrufe hallen über den leeren Raum und scheinen den Wanderer tiefer und tiefer hineinlocken zu wollen. Es ist vollkommen einsam, kein einziger Mensch ist hier und heute noch unterwegs, von der leeren Bank unter den Birken am „Witten Poal“ reicht der Blick in die Unendlichkeit.

Es ist 17 Uhr, die Dämmerung setzt die Szene in ein diffuses Licht, und satte Feuchtigkeit hängt in der Luft. Wieder sind diese seltsamen Vogelrufe zu hören und das schaurige Krächzen, wie es über das Moor weht. Aber, ganz leise und noch fern, das typische Rufen, das Trompeten der Kraniche. Sie sind im Anflug. Das Tröten wird deut­licher, vielleicht trägt es der Wind den Vögeln voraus, zu sehen sind sie noch nicht. Den Blick in den – inzwischen klaren – Abendhimmel; die erste Formation taucht auf, legt einen wellenförmigen Anflug hin, dreht eine Runde und sinkt hinab. Eine Vorhut, ein kleiner Trupp nur, kaum 100 Vögel.

Das Sichtfeld im Fernglas ist voller Vögel

Zehn Minuten später, der Himmel scheint zu vibrieren. Im Südwesten fliegt Formation um Formation ein. Sie kreisen und suchen einen geeigneten Landeplatz, es rauscht und flattert. Was für ein irres Getöse und Getröte. Man meint, die Schwingungen und das Rauschen der Flügelschläge zu spüren; nun sind es Hunderte. Es ist ein erhabenes Gefühl, die Vögel gelten übrigens als Glücksbringer. Wenig später tauchen im nördlichen Himmel ganze Geschwader an Kranichen auf. Charakteristisch in ihrer Silhouette und am Flugbild, unverkennbar an ihrem sehnsuchtsvollen Ruf, dem Trompeten, das übers Moor weht und wieder eine Gänsehaut beschert; jetzt sind es wohl Tausende. Das Sichtfeld im Fernglas ist voller Vögel.

Mit einem Schlag scheint ein Chaos in der Formation auszubrechen, und die Vögel stürzen zu Boden, sind außer Sicht hinter den Büschen im Moor. „Die Kraniche fliegen nach und nach ein – und landen hier auf dem Vor-Sammelplatz“, erklärt ein Mann mit Spektiv; er sei ab Mitte Oktober oft hier.

Wieder schwillt das wilde, sehnsuchtsvolle Rufen an, erneut kreisen, suchen und landen Trupps von Kranichen. Sind sie unten und außer Sicht, wird es wieder seltsam still. Bis sie erneut auffliegen und irgendwo im Moor verschwinden. Sie schlafen jetzt, es ist dunkel geworden. Und irgendwo ruft ein Käuzchen aus diesem wundersamen Moor. Das so schaurig ist und so schön zugleich. Ein magischer, morbider Ort.

Es gibt in der Gegend, knapp 15 Kilometer nördlich von diesem Moor, noch mehr Sagenhaftes für einen herbstlich-gruseligen Schauer: Ein schmaler Pfad führt hinein in das kühle Zwielicht eines herbstlichen Forstes. Nebelnasses Farnkraut greift nach den Beinen, eine schmale Brücke quert den Bach. Kiefern, Birken und dazwischen mächtige uralte Bäume; eine dieser bizarr verkrüppelten Eichen soll seit 1000 Jahren hier stehen. Dieser Wald hat etwas: In diesem Teil Nordwestdeutschlands gibt es eine ungeheure Dichte an Steingräbern. Kaum anderswo in Deutschland finden sich mehr Zeugnisse aus der Steinzeit.

Ein Heidenopfertisch wurde vor gut 5000 Jahren errichtet

Plötzlich erhebt sich aus dem Zwielicht ein Steintisch. Windböen greifen in die Kronen der uralten Eichen. Dies ist der Heidenopfertisch, er wurde vor gut 5000 Jahren errichtet. Und wurde auch wer hingerichtet? Dieses Setting verführt unweigerlich zu dunkler Fantasie. Was genau die Leute hier vor mehreren Tausend Jahren getrieben haben, bleibt das Geheimnis dunkler Geschichte. Vergangen und vergessen. Eine Elster schackert, und ihre Rufe hallen durch den Wald.

Im Wald stehen „Braut“ und „Bräutigam.“ Auch dies sind Megalithformationen. Wenngleich vieles im Dunkeln bleibt – eines ist klar: Manche Steinsetzungen wurden auch als Grabstätten benutzt. Vier gewaltige Steine begrenzen die gut 80 Meter umfassende Anlage, die Einfassungssteine dieses Hügelbettes haben sich beinahe komplett erhalten. An der Seite befindet sich eine Grabkammer – dies ist die Visbeker Braut. Weiter westlich der Anlage liegt der Bräutigam – mit fast 170 Einfassungssteinen ist diese 100 mal 9 Meter große Anlage sicher eines der eindrucksvollsten Zeugnisse der Megalithkultur in der Wildeshauser Geest.

Natürlich gibt es eine Legende zu den Steinen: Eine junge Frau sollte nach dem Willen ihrer Eltern einen reichen, aber ihr verhassten Mann aus Visbek heiraten. Als sie zur Eheschließung gezwungen und geführt wurde, wünschte sie sich, lieber zu Stein zu erstarren, als diesen Mann zu heiraten. Und es geschah: Braut und Gefolge stehen seither als steinerne Figuren da. Dem Bräutigam widerfuhr einige Kilometer entfernt das Gleiche. Sagt der Volksmund.

Tipps & Informationen

Anreise Das „Haus im Moor“ liegt östlich von Vechta. Zwischen Vechta und Goldenstedt nach Süden in die Arkeburger Straße einbiegen und bis zum Ende durchfahren. Vechta ist über die BAB 1, Anschluss Vechta zu erreichen. Der Wald mit den Megalithgräbern liegt östlich des Autobahndreiecks Ahlhorner Heide. Über BAB 1, Abfahrt Wildeshausen West oder Ahlhorner Heide.

Auskunft Info-Zentrum Haus im Moor, www.niz-goldenstedt.de, Tourismusverband Oldenburger Münsterland, Tel. 04441/956 50, www.oldenburger-muensterland. de, Nordkreis Vechta, Tel. 04441 / 85 86 12, www.nordkreis-vechta.de

Erlebnisführung
Buchbar von Oktober bis März, Dauer: eine gute Stunde, Treffpunkt: Landgasthof Engelmannsbäke (nahe Visbek), www.engelmannsbaeke.de,
20 Euro p. P. inklusive Essen.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch den Tourismusverband Oldenburger Münsterland.)