Opatija. Schon die Oberschicht des kaiserlichen Wien liebte die Kvarner Bucht – vor allem kulinarisch. Auch heute wird fürstlich aufgetischt.

Auf der Terrasse des Cafés Wagner sitzen drei Damen mit Hut und bestellen in astreinem ­österreichischen Dialekt je ein Stück Sachertorte. Der Kellner notiert gelangweilt. Was stimmt nicht an diesem Bild? Man fragt es sich, während man in seiner Melange rührt, und plötzlich fällt es einem ein: Wir sind hier ja gar nicht in Wien! Das Blau im Hintergrund ist die Adria, nicht die Donau. Wie kommt die Torte hierher? Wieso sprechen hier in Opatija so viele Deutsch? Und wie lange kann ein Kuchen bei 25 Grad Außentemperatur seine Form bewahren?

Bis auf die letzte Frage kann auf alles die Geschichte der Kvarner Bucht Antwort geben. Ab Ende des 19. Jahrhunderts galt die Gegend um die kleine Stadt Abbazia (wie sie damals noch hieß) als beliebtestes Reiseziel der Österreich-ungarischen Monarchie. Der Begriff „Österreichische Riviera“ gehörte zum allgemeinen Vokabular.

Lokales Klima soll Heilung bringen

Seebäder und Hotels schossen wie Pilze aus dem Boden, eine Eisenbahnlinie wurde gebaut, Mediziner priesen die Heilwirkung des lokalen Klimas, und plötzlich galt es bei der Upper Class als très chic, Sonnen­bräune zu zeigen und auf Kur zu gehen wegen der zahlreichen eingebildeten Neurosen. So wurde aus dem Fischerdorf Abbazia ein aner­kannter, mondäner Kurort.

Auf der Seeterrasse des Cafés Wagner im Hotel Millenium.
Auf der Seeterrasse des Cafés Wagner im Hotel Millenium. © picture-alliance / DUMONT Bildar | picture alliance

Die Torten schaffte man per Eisenbahn aus Wien herbei, zwölf Stunden Reise hatte ein Kuchenstück bereits hinter sich, bevor man es verspeiste. Relativ gesehen war das gar nicht lang. Bis die Damen und Herren sich damals fertig frisiert und angezogen hatten, verging locker ein halber Tag. Ihre Urlaube – Pardon, Kuren – dauerten zwei bis drei Monate, und sowieso tickten alle etwas anders.

Der Eindruck entsteht, die moderne Zeit sei hier nicht angekommen

Im 19. Jahrhundert gab es in Europa nicht die eine Zeit, es gab verschiedene Zeiten, je nachdem, in welchem Ort man sich befand. Wer beispielsweise einmal um den Bodensee fuhr, musste seine Uhr ständig verstellen, denn die Kirchtürme in Bayern, Württemberg, Österreich und der Schweiz schlugen alle unterschiedlich. Erst 1893 wurde die mitteleuropäische Einheitszeit eingeführt.

Sitzt man auf der Terrasse des Cafés Wagner in Opatjia, könnte man jedoch den Eindruck bekommen, die moderne Zeit sei hier nie angekommen, die Zeiger hätten sich hier schon immer langsamer gedreht. Ein Hauch von Vergangenheit atmet auf dieser Terrasse. Gleich könnten Franz Joseph I. und Sissi des Weges kommen, selbstredend nicht gemeinsam, sondern mit ihren jeweiligen Affären. Tja, auch wenn kein Historiker das je beweisen wird, die Vermutung liegt nahe, dass die beiden sich hier an der österreichischen Ri­viera gegenseitig betrogen haben.

Der Kaiser von Österreich und König von Ungarn traf sich mehrere Male heimlich in der Villa Madonna mit der Burgschauspielerin Katharina Schratt. Um über Kunst zu parlieren? Kaiserin Elisabeth wiederum besuchte den ungarischen Grafen Gyula Andrássy dreimal inoffiziell in der Villa Minach. Sie seien ein Liebespaar gewesen, glauben die Stadtführer vor Ort, es gebe Bekannte, die das wiederum von ihren Eltern bestätigt wissen wollen, deren ­Eltern damals in einer der Villen angestellt ­gewesen seien.

Damals reisten die Royals mit dem Hofzug an

Welch herrliche Gerüchte! Marketingtechnisch genial, erklärt es doch die Beliebtheit Opatjias bei den Adeligen. Der „Franzl“ und die Katharina? Mensch, da müssen wir hin. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. kam, der schwedisch-norwegische König Oskar II., der italienische Thronfolger, das rumänische Königspaar, russische Fürsten reisten an, preußische Kronprinzen, außerdem Giacomo Puccini, Gustav Mahler, James Joyce und Isidora Duncan. Die berühmte amerikanische Tänzerin sagte später, sie habe ihre Bewegungen den kroatischen Palmenblättern abgeguckt.

Die prachtvolle, traditionsreiche Villa Angiolina.
Die prachtvolle, traditionsreiche Villa Angiolina. © picture alliance / zb | picture alliance

Damals reisten die Royals mit dem Hofzug an, dessen Geschwindigkeit jeden Morgen um halb sechs auf Schritttempo gedrosselt wurde, damit der Bart des Kaisers ohne Schnittverletzung gepflegt werden konnte – rasieren statt rasen, das waren noch Zeiten!

Mit strafendem Blick wird jetzt der Mann bedacht, der mit dem iPhone Fotos für Instragram macht, zerstört er dadurch doch die ganze Nostalgie. Unverständlich auch, warum er noch mit diversen Filtern herumspielt, alle ­Sehenswürdigkeiten hier haben den Renaissance-Filter bereits eingebaut: das Benedik­tinerkloster und die Kirche des Heiligen Jakob, der Kristallsaal im Hotel Kvarner, die ­Figuren „Mädchen mit der Möwe“ sowie Madonna del Mare und natürlich die Villa und der Park Angiolina.

Berühmt ist die Gegend auch für ihre Scampi

Im 19. Jahrhundert gehörte die Villa dem Kaufmann Iginio Scarpa, der regelmäßig Freunde und Geschäftsleute aus der ganzen Welt in seine Sommerresidenz einlud. Sie brachten dem leidenschaftlichen Botaniker gern Pflanzen aus ihrer Heimat mit, sodass sein Garten nach und nach zu einem exotischen Park heranwuchs.

Heute sieht man dort Mammut- und Zitronenbäume, spanische Buchse, kaukasische Tannen, schwarzen Bambus, japanische Bananen und die Krönung von allem: Kamelien. Um die Blume herrschte früher ein regelrechter Hype, sie wurde zum Wahrzeichen der Stadt Opatija.

Berühmt ist die Gegend auch für ihre Scampi. Wer sie zum ersten Mal probiert, denkt unweigerlich: „Ahh! So können Scampi also auch schmecken, unglaublich!“ Sie sind gleichzeitig süß und pikant und brauchen außer etwas Zitrone eigentlich nichts, sie müssen nicht mal gegrillt oder gekocht werden, sondern schmecken auch roh. Die Kvarner Scampi mit welchen aus anderen Meeren zu vergleichen, wäre in etwa so, als träte der FC Bayern gegen den HSV an. Der Gewinner steht schon vorher fest. Ebenso erfolgreich im Geschmackswettbewerb: der Wildspargel.

Es wird gegessen, getrunken und die Aristokratie gefeiert

Blick auf Opatija.
Blick auf Opatija. © imago/allOver | KTH

Seine Bitterstoffe bringen den ganzen Körper in Schwung. Sowieso macht er aktiv, denn er will erst mal im Wald gefunden werden, bevor er auf dem Teller landet. „Wildspargel sieht ein bisschen aus wie Gras. Man benötigt ein gutes Auge, um ihn zu finden,“ sagt Arthur Berger, einer der Spitzenköche vor Ort. Man trifft den 54-jährigen Österreicher im Hotel Miramar, wo er abends Vier-Gänge-Menüs zum Niederlegen zaubert, oder auf dem Fisch- und Grünmarkt am Hafen von Rijeka.

Wer immer von sich behauptet, etwas von gutem Geschmack zu verstehen: Dort muss er hin. Ein Kilo Sardinen für einen Euro zum Beispiel. Einfach in etwas Mehl wälzen und im Ganzen braten, rät die Verkäuferin und schnalzt mit der Zunge. Dazu Brot, so fluffig wie Wattebäusche, eintunken in kroatisches Olivenöl, fertig ist der Hochgenuss. In der Region Kvarner ist außerdem gut Kirschen essen. Im Juni findet jedes Jahr ein mehrwöchiges Kirschenfest statt, im Sommer werden dann die Feigen gefeiert und im Herbst die Kastanien. Die Früchte hier sind heller, süßer, und ihre Schale lässt sich leichter entfernen als bei anderen Maroniarten.

Hier wurde der Torpedo entwickelt

Zu jeder Jahreszeit passt ein Sekt Misal, der als bester Schaumwein Kroatiens gilt. Er wird nach traditioneller Champagnermethode in der Nähe von Poreč hergestellt. Viele Weine Kroatiens werden Sie nirgendwo sonst auf der Welt trinken können. Nicht, weil sie nicht ausgezeichnet wären, nein, das Gegenteil ist der Fall. Sie sind so köstlich, dass sie komplett vor Ort ausgetrunken werden und gar nicht erst in den Export gehen.

„Wir sind wirklich reich“, sagt Daniela Kramaric, die im Hafen von Volosko das Restaurant Plavi Podrum betreibt. Kramaric hätte mit ihrer auffälligen Frisur, ihrem Schmuck und der riesigen Sonnenbrille damals jeder Adeligen den Kurschatten ausspannen können. Auch weil Wein flüssige Verführung ist, und davon hat sie reichlich.

Hier wurde der Torpedo entwickelt

Wer jetzt denkt: „Oh, was für ein liebliches, entspanntes Fleckchen Erde! Es wird gegessen, getrunken und die Aristokratie gefeiert“, dem muss man sagen: Die Kvarner Bucht kann auch anders. Denn hier wurde der Tor­pedo entwickelt. 1866 testete der Ingenieur Giovanni Luppis in Rijeka seine sogenannten „Küstenretter“ erstmals.

Die unbemannten, mit Sprengstoff ge­füllten und vom Festland aus zu steuernden Boote waren der Vorläufer der Waffen, die später in U-Booten genutzt wurden. Die alte Torpedofabrik im Hafen kann man sogar noch besichtigen, sie ist zwar abgeriegelt, aber das Gitter hat viele Löcher. Wer zuvor nicht zu viele kroatische Köstlichkeiten verzehrt hat, der passt hindurch. Nachmittags wird das Gelände von Jugendlichen eingenommen, die die alten Abschussrampen nutzen, um mit Anlauf ins Wasser zu springen. Arschbomben! Küss die Hand.

Tipps & Informationen

Anreise Mehrmals pro Woche Direkt­flüge von Deutschland nach Pula oder Rijeka. Beim Landeanflug nicht wundern: Der Flughafen von Rijeka befindet sich auf der Insel Krk. www.eurowings.de

Übernachtung Miramar: Der Gourmet-Guide „Gault Millau“ bescheinigte dem Wellness-Resort in Opatija die beste Hotelküche Kroatiens. Gästevillen gruppieren sich um einen Park, DZ ab 100 Euro, www.hotel-miramar.info.

Navis: zwischen Felsen und Meer, etwas abseits vom Tourismustrubel gelegen. Jeden Morgen kann man Windsurfer sehen, dann bläst ein außerge­wöhnlicher Wind. DZ ab 94 Euro, www.hotel-navis.hr.

Valamar Girandella: Das Resort am Strand von Rabac wurde erst in diesem Sommer eröffnet. Ideal für Familienurlaub. Dreibettzimmer ab 128 Euro, www.valamar. com/de/hotels-rabac/valamar-girandella-resort.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch den Tourismusverband Kvarner.)