St. Peter Port. Nicht nur in Frankreich ist der Romancier Victor Hugo eine nationale Ikone – auch auf der Kanalinsel Guernsey, wo er 15 Jahre lebte.

„Felsen der Gastfreundschaft und Freiheit in diesem Winkel alten normannischen Landes, wo das noble kleine Volk des Meeres lebt, ernst und liebenswürdig“ – so pries der große Romancier ­Victor Hugo einst eine winzige Insel im Ärmelkanal: Guernsey. Ganze 64 Qua­dratkilometer klein und dennoch ein Mikrokosmos mit einzigartigem Charakter, individuellem Charme und frappierender Geschichte. Bis heute.

Ein Glücksfall für den exzentrischen Dichter, der hier immerhin 15 Jahre lebte, einige seiner berühmtesten Werke schrieb und dem Eiland eine ­Reihe höchst liebevoller Zeilen widmete. Ein Glücksfall auch für die Insel, die von dieser Liebe profitiert. Und sie erwidert: Auf Guernsey wird Frankreichs nationale Ikone bis heute mindestens ebenso innig verehrt wie im Mutterland.

Victor Hugo gegen Luis Napoleon

Gekommen war Victor Hugo als Exilant, nachdem sich Luis Napoleon 1851 mithilfe der Militärs auf den französischen Thron geputscht hatte. Der oppositionelle, für sein politisches Engagement bekannte Dichter floh zunächst auf die Nachbarinsel Jersey und führte von dort seinen Kampf gegen den Tyrannen. Beispielsweise schmuggelte man seine Pamphlete auf Warenbooten zum Festland oder versteckte auf speziellem Papier gedruckte Schriften in Zigaretten.

Vier Jahre später besserten sich die Beziehungen zwischen England und Frankreich, und Hugo wurde zu einer „diplomatischen Peinlichkeit“. Als man den unbequemen Rebellen 1855 auswies, hofften die Regierenden, er würde Amerika ansteuern. Der „Kanalinselfan“ jedoch flüchtete samt Familie und Geliebter in die unmittelbare Nachbarschaft, wo er nach eigenem Bekunden bald „das Atmen des Meeres und das Atmen der Blumen“ genoss.

Am Stehpult im Dachatelier blickte der Literat übers Meer

Der Castle Breakwater Leuchtturm in St. Peter Port auf Guernsey.
Der Castle Breakwater Leuchtturm in St. Peter Port auf Guernsey. © imago/robertharding | Richard Cummins

In Guernseys Hauptstadt St. Peter Port kaufte der Künstler das damals als verwunschen geltende Hauteville House, in dem er bis 1870 lebte, ohne je von Gespenstern belästigt zu werden. Ein Domizil, dessen Interieur der Literat selbst gestaltete und das auf Schritt und Tritt seine Extravaganz offenbart: Überall sind die Initialen V und H angebracht. Mehr als 50 Spiegel leuchten fast jeden Winkel aus. Beutestücke von gestrandeten oder gekaperten Schiffen gehören zur Einrichtung.

Vieles hat Hugo selbst entworfen oder fantasievoll neuen Zwecken zugeführt wie eine Suppenschüssel, die zum Waschbecken wurde. Verzierte Truhen und Kommoden verarbeitete der Meister zu Wandverkleidungen. Aus 25 Möbelstücken baute er sich ein titanisches Bett, obwohl er es vorzog, auf einer Matratze in der Dachkammer zu schlafen. Hatte er wohl geruht, pflegte er ein Tüchlein aus dem Fenster zu hängen, damit seine Geliebte Juliette, die in der Nähe wohnte, seine Freude über eine geruhsame Nacht teilen konnte.

Im „Kristallpalast“ entstanden seine berühmtesten Werke

Seine Werke schrieb Hugo an einem Stehpult im Dachatelier, seinem „Kristallpalast“. Dort fühlte er sich wohl bei Sonne und Sturm, konnte hinunter­blicken auf die mittelalterliche Festung Castle Cornet und die Aussicht auf die Insel Herm genießen. An klaren Tagen hatte er sogar das nur 50 Kilometer entfernte Frankreich im Blick. Die nahe Heimat und die Idylle seines Exils inspirierten den „Sonnenkönig der französischen Literatur“ zu einigen seiner bekanntesten Romane, darunter „Die Elenden“ (1862) und „Die Arbeiter des Meeres“ (1866).

Das Dorf Perelle an der Nordküste von Guernsey.
Das Dorf Perelle an der Nordküste von Guernsey. © imago/blickwinkel | imago stock&people

Hugos Denkmal in den Candie Gardens von St. Peter Port zeigt den Dichter als Spaziergänger mit wehendem Mantel. Eine sehr treffende Pose, denn ein Stubenhocker war Hugo mit Sicherheit nicht. Wie auch heute viele Besucher, liebte er seinerzeit ausgedehnte Spaziergänge entlang der Küsten mit ihren von Blumen übersäten Fels­klippen und bizarren Granitformationen.

In der Fermain Bay und Moulin Huet Bay ging er gern baden

Er liebte die Farbenspiele des Gesteins in den felsigen Buchten. Er liebte das tiefe Blau des Ärmelkanals und die strahlend weiße Gischt der brodelnden Brandung. Er liebte die Faszination der Gezeiten mit ihrem präzisen Rhythmus und ihrem gigantischen Tidenhub von bis zu zwölf Metern zwischen Ebbe und Flut.

Und nicht zuletzt liebte er Guernseys kleine versteckte Sandstrände. So notierte er am 1. November 1857: „Heute schwamm ich zum 125. Mal in der ­Havelet Bay“, einer Bucht ganz in der Nähe seines Hauses, die er rühmte „als nichts Friedvolleres bei ruhiger See und nichts Tumultigeres bei schwerem Wetter“, „im Frühling voll von Blumen, Nestern, Düften, Vögeln, Schmetterlingen und Bienen“. Auch in der Fermain Bay und der Moulin Huet Bay ging er gern baden – diesem Beispiel folgen Urlaubsgäste heute ebenfalls noch mit großem Vergnügen.

Hugo war ein Fan von skurrilen Legenden

Guernsey mit seiner Geschichte passte auch gut zu dem Fan von abergläubischen Bräuchen, von skurrilen Legenden über Hexen, Feen und Gespenster und von geheimnisvollen Relikten aus prähistorischer Zeit. Hier gibt es magische Orte wie den Dehus Dolmen, ein megalithisches Ganggrab mit einer sakralen Steinsäule, das den Archäologen bis heute Rätsel aufgibt.

Oder sogenannte Menhire, frei stehende Steine, wie die 4000 Jahre alte Grand-Mère du Chiemquière, die heute noch als Erd- und Muttergottheit verehrt wird. All das hat Victor Hugo ebenso fasziniert und inspiriert wie manchen Guernsey-Besucher unserer Tage.

Tipps & Informationen

Anreise z. B. von Berlin mit Flybe über Birmingham nach Guernsey.

Pauschal z. B. eine Woche mit Flug und Halbpension im Hotel Pandora (in der Nähe des Hugo-Hauses) ab 805 Euro. Buchbar über www.tui-wolters.de

Auskunft unter www.visitguernsey.com (auch auf Deutsch, auch zu V. Hugo)

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Tui Wolters.)