Warendorf. Im Münsterland wurden vier Kilometer der Ems zwischen Warendorf und Telgte renaturiert. Wer hier paddelt, findet schnell zu sich selbst.

Kurz hinter dem Wehr in Warendorf hat sich die Ems wieder beruhigt, ohnehin lässt es dieser Fluss auf seinem Weg vom Teutoburger Wald zur Nordsee gemütlich angehen. So gemütlich, dass die Ems als guter Anfänger-Fluss für Kanufahrer gilt. Still strömt sie dahin, azurblaue Libellen tanzen im Licht über dem Fluss, und Christoph Bunselmeyer lässt das Boot zu Wasser.

Er erklärt, wie das mit dem Paddeln geht: lange, kräftige und ruhige Züge direkt am Boot auf der Fahrt, weit ausgeholt beim Wenden und Kurvenfahren. Passieren kann nichts, denn Guide Christoph sitzt hinten, steuert und hat alles im Blick. „Wir fahren heute bis Telgte, bei geruhsamer Fahrt wird dies drei bis vier Stunden dauern“, sagt Christoph, „Los geht’s!“ 15 Kilometer Gelassenheit, vier davon faszinierend.

Eine andere Art der Entschleunigung

Das erste Stück Strecke ist landschaftlich nicht sonderlich spannend, auch die Ems wurde im Rahmen der Flurbereinigung zur reinen Abflussrinne degradiert. Bald aber, das hat Christoph versprochen und deshalb auch diese Strecke ausgewählt, wird die Ems zu einem Naturparadies. Einem aus zweiter Hand, denn das, was der Mensch einst kaputt gemacht hat, kann auch wieder gut werden. Einstweilen sind die Anfänger ohnehin damit beschäftigt, den Umgang mit Boot und Paddel zu lernen; für die Natur keinen Blick, keinen Sinn für die Schönheit, zum Vögelbeobachten keine Muße.

Das letzte Hochwasser hat einen Baum in den Fluss fallen lassen, unsere erste Übung, wir paddeln drum herum. Christoph scheint zufrieden, die Anfänger sind zunehmend entspannter. Die Pappeln rauschen sanft im Wind, und der Ruf eines Kuckucks scheint die Kanuten immer weiter fortzulocken. Paddeln ist eine andere Art der Entschleunigung, ein ungestörtes, gleichmäßiges Vorwärtskommen; ein schönes Verlieren der Maßstäbe.

Reiher stehen im Wasser und lauern stoisch auf Beute

Denn: Nachdem wir die große Straßenbrücke bei Warendorf unterfahren haben, ist fast jeglicher Bezug zum Menschenwerk verloren gegangen. Hier stehen keine Schilder, hier bremst nichts aus. Hier geht es in einem sehr natürlichen Tempo vorwärts, angepasst an den Rhythmus der Natur. Manchmal ist das Paddel nicht mehr als kleines Korrektiv, um die Richtung in der Strommitte zu halten, forttragen tut uns die Ems. Entschleunigen im Münsterland.

Auch Kormorane sind an der Ems ansässig. (Archiv)
Auch Kormorane sind an der Ems ansässig. (Archiv) © picture alliance / Patrick Pleul | Patrick Pleul

Und immer wieder der Kuckuck, dessen Rufe im Laufe des Spätsommers und Herbstes seltener werden. „Im Herbst kann man dann Schwärme von Gänsen auf ihrem Zug sehen, vielleicht sogar einen Fischadler – die Ems fließt abseits aller großen Städte“, sagt Christoph. Reiher stehen im Wasser, stoisch auf der Lauer nach Beute. Wer Glück hat, zur richtigen Zeit hier ist und dies erkennt, wird vielleicht den Gesang der Nachtigall hören. Ansonsten im ewig gleichen Rhythmus das leise Klatschen des Paddels und den Wind in den ­Kronen der Bäume. Und dann erzählt Christoph, wie die Leute hier im Münsterland dem Fluss das Leben zurück­gegeben haben.

Die Auen wurden zu Ackerland

Die Ems ist ein sogenannter Sandfluss; auf ihrem gesamten Lauf von der Quelle in der Dünenlandschaft der Senne bis ins Wattenmeer fließt sie durch flaches Land – und zwar in einem Bett aus Sand. Das hat zur Folge, dass solche Flüsse natürlicherweise in großen Schleifen fließen, mäandrieren. Dies tat die Ems bis nach dem Krieg im Münsterland, zog dahin in mächtigen Kurven. Diese Kurven durchstieß der Mensch, auf dass der Fluss gerader floss und schneller, aber arm und öde wurde. Die Auen der Ems wurden zu Ackerland.

„Vor ein paar Jahren hat man dem Fluss zwischen Münster und Warendorf auf rund vier Kilometern seinen Lebensraum zurückgegeben – es wurden Schleifen gebaggert, durch die die Ems wieder fließt, die geraden Strecken wurden abgedämmt“, berichtet der Kanu-Guide. Kurz vor der Einmündung der Hessel, sagt Christoph, müssen wir ans Ufer und das Kanu um diese Stelle tragen. Dort, wo die Hessel in die Ems mündet, liegen große Steine in der Ems, fast Felsbrocken, sie wurden vom Menschen dorthin verfrachtet. Das Wasser tost und sprudelt um die Steine – es ist nichts für Anfänger.

Immer wieder flitzen Vögel über das Wasser

Neben der Anlage eines neuen Flussbettes ist vor allem die „Entfesselung“ der Ufer ein wichtiger Beitrag zur naturnahen Umgestaltung. Das heißt: Ehemals steile, künstliche und verstärkte Böschungen wurden verflacht und sind der natürlichen Dynamik überlassen. „So entstehen Steilufer und flache Sandbereiche. Der Fluss kann sich wieder von selbst frei entwickeln“, erklärt Christian Göcking von der Nabu-Naturschutzstation Münsterland e. V.

Hinter der Stromschnelle hat der Fluss einen Pool ausgewaschen, dieser verengt sich rasch, überhängende Weiden und Erlen tauchen die Ems in kühlen Schatten. Nun öffnet sich ein Panorama, das selten geworden ist – die Stromschnelle war die Einfahrt in den renaturierten Flusslauf. Wieder muss ein umgestürzter Baum umfahren werden, still und tief gurgelt das Wasser um das Holz, auf einem anderen Stamm sitzen Kormorane und warten auf Beute.

„Die Ems ist bunter geworden“

Es ist vorrangiges Ziel des Projektes, die Ems nur durch die Kraft des Wassers ein eigenes, natürliches Flussbett ausbilden zu lassen. Selten gewordene Biotope wie Auwald oder offene Sandflächen und Steilufer mit ihren einzigartigen Lebensgemeinschaften aus Tieren und Pflanzen können sich wieder etablieren. „Die Ems ist bunter geworden“, freut sich Diplom-Geograf Christian Göcking.

Auch dickere Pötte können einem auf der Ems schon mal begegnen. Der jüngste Kreuzfahrtschiff-Neubau der Meyer-Werft in Papenburg (Niedersachsen), das Schiff
Auch dickere Pötte können einem auf der Ems schon mal begegnen. Der jüngste Kreuzfahrtschiff-Neubau der Meyer-Werft in Papenburg (Niedersachsen), das Schiff "World Dream", wird am 17. September in die Nordsee überführt. © dpa | Mohssen Assanimoghaddam

Der Lauf der Ems wird unübersichtlich, kaum 100 Meter reicht der Blick nach vorn – dann verschwindet der Fluss erneut hinter einer Biegung. Immer wieder flitzen Vögel über das Wasser, unser Boot wird von der Strömung gepackt und steuert auf einen Steilhang zu. Ein paar Paddelschläge lenken es sanft in die Flussschleife. Die Vögel sausen über den Fluss, es ist beeindruckend und schön, diesen Tieren zuzusehen. Immer wieder verschwinden sie in ihren Höhlen im Steilufer, kommen hervor, geschäftig, emsig, akrobatisch; kehren um, steigen auf, flattern herum, fliegen fort. Im Herbst übrigens für länger – es sind Zugvögel.

In die Natur wird seltener eingegriffen

Wo nicht fremde Grundstücke oder Brückenfundamente gefährdet sind, wird nicht mehr in diesen Prozess ­ein­gegriffen; so werden beispielsweise in den Fluss gefallene Bäume in der Regel nicht mehr entfernt. „Diese werden von ­Insekten besiedelt, die wiederum ­Nahrung für Fische sind – und die Kolke ­sowie der Schatten unter den Bäumen gewähren ihnen Schutz.

„Auf diese Art und Weise hat sich auch die Vielfalt an Fischen erhöht“, erklärt Christian ­Göcking: Bitterlinge, Steinbeißer oder Bach­neunaugen wird kaum jemand ­während einer Paddeltour sehen – aber ihre ­Anwesenheit oder Rückkehr in die Ems spricht für die positive Ent­wicklung. Und auf den Baumstämmen über dem Wasser sitzt mancher Vogel und lauert auf Beute – heute der Kor­moran und morgen vielleicht der Fischadler. „So werden Lebensräume initiiert!“

Hinter jeder Kurve wartet etwas Überraschendes

Wir schauen den Luftakrobaten zu. Das gegenüberliegende Ufer ist ein Strand aus ­feinem, hellem Sand, versteckt zwischen Schilf und Weidengebüsch. „Baden ist aus Naturschutzgründen ohnehin verboten, anlegen und uns umschauen oder rasten dürfen auch Kanuten nicht. Die Vögel sollen nicht gestört werden“, sagt Christoph. Wieder weitet sich die Ems; auf 30, 40 Meter Breite, der Fluss wird zunehmend seichter. Das Wasser ist klar, aber es hat eine leichte Färbung nach Teewasser, der Sand mit seinen ­feinen Rippeln schimmert bronzen und golden im seichten Fluss.

Still sein und genießen; wir hören dem Wind und den Vögeln zu, sehen dem Wasser hinterher, spüren die ungestörte Ruhe und den Rhythmus der Natur. Hinter jeder Kurve wartet hier ­südlich des Dorfes Einen etwas Neues und Überraschendes, bleibt den meisten Leuten verborgen und erlaubt nur einen Augenblick des Verweilens – es ist wieder das Reich der Natur. Immer wieder tauchen Sandbänke auf. Jedes Hochwasser lagert sie um, modelliert neu. Wieder bringen wir mit ein paar Paddelschlägen das Kanu auf Kurs, lassen uns durch ­diese wundersame Welt treiben.

Den Eisvogel und die Nachtigall, den Pirol und den Kiebitz kann man vom Kanu aus mit Glück im Frühjahr und Sommer sehen, den ein oder anderen öfters sogar hören. Auf einem ­stillen, schönen Fluss, der wieder so ist, wie er sein sollte.

Tipps & Informationen

Anreise Die Orte Teltge und Warendorf sind über die Autobahnen 115, 10 und 2 zu erreichen. Möglich ist auch die Anreise mit der Bahn über Münster oder Bielefeld.

Paddeltouren Christoph Bunselmeyer bietet mit seinem Unternehmen BEOconcept mit Sitz in Halle (Westfalen) noch bis Ende Oktober Touren an. Termine können individuell vereinbart werden. Kontakt: 05201/6263, www.beo-concept.de. Informationen zu weiteren Paddeltouren und Anbietern gibt es bei Münsterland Tourismus: Tel. 0800/939 29 19,
www.muensterland-tourismus.de.

Übernachten z. B. im Schloss Wilkinghege in Münster, DZ ab 110 Euro, Tel. 0251/14 42 70, www.wilkinghege.com, oder im Haus Brückhausen in Alverskirchen, DZ ab 100 Euro, Kontakt über Telefon 02582/277, Internet:
www.herrenhaus-brueckhausen.de

(Diese Reise wurde unterstützt von Münsterland Tourismus.)