San Francisco. Es ist wohl den Hippies zu verdanken, dass San Francisco bis heute ein Ort ist, der Alternativen zum Leben im Rest der USA bieten kann.

Dieses Jahr sind in San Francisco viele unterwegs: Touristen, die etwas unsicher aussehen und sich zu fragen scheinen, wie man sich im 50. Jahr des „Summer of Love“ verhält. Muss man im Haight-Ashbury-Viertel Batikhosen kaufen? Oder im Mission-Dolores-Park Marihuana-Kekse essen? Nicht zu wissen, was zu einer „echten“ Hippie-Erfahrung gehört, ist keine Schande. Denn die Frage, wer oder was ein Hippie ist, ist so alt wie der Begriff selbst.

„Wir selbst hätten uns gar nicht als Hippies bezeichnet. Andere haben uns wohl schon so gesehen“, sagt Thomas Ingmire, der die 60er-Jahre als Student an der University of California in Berkeley erlebte. „Wir waren eine Generation, die dachte, die Welt verändern zu können.“

Für viele Menschen ging es nicht nur um Spaß

Während ein Teil der Bewegung das über freie Liebe und LSD-Trips tun wollte, stand für andere der ­radikale politische Umbruch im Vordergrund. „Natürlich gab es junge Leute, die einfach Spaß haben wollten. Aber im Grunde war die Zeit sehr politisch“, sagt der Architekt Tito Patri, der damals in Berkeley unterrichtete. „Die Studenten haben viel hinterfragt.“ Die Zeit war geprägt von den Protesten, die sich oft gegen das Militär richteten, das auf dem Weg in den Vietnamkrieg die Bucht von San Francisco passierte.

Dass die 60er-Jahre aber nicht nur ernst waren, zeigt zurzeit eine Ausstellung im De Young Museum, die den „Summer of Love“ thematisiert, jenen Sommer des Jahres 1967, in dem junge Amerikaner nach San Francisco pilgerten, um dort die Hippie-Bewegung zu zelebrieren. Der Golden Gate Park, in dem das Museum liegt, war schon ein halbes Jahr zuvor Schauplatz des Human Be-In, einem Fest, das den Graben zwischen den politisch-radikalen Hippies aus Berkeley und den „Blumenkindern“ aus Haight-Ashbury schließen sollte.

Im Herbst 1967 wurde der „Tod der Hippies“ erklärt

Konzertposter, Kleidung und Musik sollen die Atmosphäre dieser Zeit ­wiedergeben. „Bei Partys hat oft den ganzen Abend niemand gesprochen. Alle waren in sich versunken“, erinnert sich die ­Grafikerin und ehemalige Museumsführerin Bobby Patri, die 1968 vom Starnberger See nach San Francisco zog. Die eigentliche Hochzeit der Hippies war da vorbei – im Herbst ’67 hatten die „Diggers“, radikale Aktivisten, mit der Beerdigung einer Puppe den „Tod des Hippies“ erklärt. Im Rest der Welt wurde die Bewegung da gerade erst bekannt. „Plötzlich stand San Francisco überall auf der Karte“, sagt Bobby Patri.

Durch Haight-Ashbury führen heute Touren für Touristen, die sich die inzwischen ­millionenteuren Villen ansehen können, in denen Hippies in ­Kommunen lebten. Auch als Janis Joplin und Jimi Hendrix vor 50 Jahren durch das Viertel liefen, gab es schon solche Touren. Unter dem Motto „The only foreign tour within the con­tinental limits of the United States“ („Die einzige Auslandsreise innerhalb der Grenzen der USA“) konnten sich Schaulustige die Hippies aus der Nähe ansehen.

Rund um die Uhr Drogen-Patienten

Dabei litt das Viertel unter massiven Problemen: Eine Klinik reagierte mit 24-Stunden-Notfall-Betreuung auf die vielen Patienten, die auf schlechten LSD-Trips waren. Das schwarze Brett der Polizeistation war voll mit Fotos vermisster Teenager mit Seitenscheiteln und Fönwellen, die im Dunst des Haight-Ashbury vermutet wurden. Noch heute wird an jeder Ecke Marihuana angeboten, und wer durch die Gegend läuft, spürt einen Hauch von Nostalgie, den Schlaghosen aus Samt und Musikläden verbreiten.

„Manches erinnert an früher, aber den Hippies ging es darum, etwas zu erschaffen, das vorher nie dagewesen war. Wer 50 Jahre später daran festhalten will, hat die Idee nicht wirklich verstanden“, sagt Thomas Ingmire. Der Kalligraf lebt in North Beach, er ist einer von wenigen Künstlern, die in der Stadt geblieben sind, obwohl die Entwicklung der Tech-Szene im Silicon Valley die Mietpreise in kaum bezahlbare Höhen getrieben hat.

Am Rande von China Town Spuren der Beat-Generation

Viele Alt-Hippies verließen Haight-Ashbury nach dem „Summer of Love“ und zogen in Landkommunen – oder in das Italienerviertel North Beach. Dort gibt es noch ein paar dieser Orte, deren Wände mit Fotos der 50er- und 60er-Jahre beklebt sind und wo Geschichten über Besuche von Allen Ginsberg und Jack Kerouac erzählt werden.

Am Rande von China Town, an kleinen Gassen, die von der Columbus Avenue abgehen, ­finden sich Spuren der Beat-Generation. Die „Beatniks“ um Kerouac und Ginsberg, die ob ihrer Lebenseinstellung als Vorläufer der Hippies bezeichnet werden, trafen sich ab Mitte der 50er-Jahre in San Francisco. „Sie hätten die Eltern der Hippies sein können, aber beide Bewegungen gehören untrennbar zueinander“, sagt Brandon Loberg.

Mit Flanellhemd und Gelwelle steht er hinter der Kasse in dem zum Beat-Museum am Broadway ­gehörenden Geschäft. Die rund um den original „Hudson“ aus dem Jahr 1949 aufgebauten Regale sind voll mit Büchern einschlägiger Autoren. „Neal Cassady war das Bindeglied. Er war Inspiration für die Beatniks, aber auch für Hippie-Literatur“, sagt Loberg. Auch Allen Ginsberg ließ sich von Cassady für seinen Gedichtband „Howl“ inspirieren, der von dem schräg gegenüberliegenden City Lights Bookstore publiziert wurde. Im 1953 gegründeten ­City Lights sind die Bücher nach Kategorien wie „Anarchie“, „Grüne Politik“ und „Beat-Literatur“ sortiert.

Tech-Firmen haben die Mieten in die Höhe getrieben

Wer die Columbus Ave überquert und in die Val­lejo Street einbiegt, findet an der Ecke das Café Trieste. Dort sitzen Künstler und Akti­visten an kleinen Tischen, ein langhaa­riger Mann trägt einen Button mit der Aufschrift „Keep calm and democracy will die“ („Bleibe ruhig und die Demokratie wird sterben“) am Hemd, Mexikanerinnen malen Protestplakate gegen Trumps Einwandererpolitik. Es ist wohl den Hippies zu verdanken, dass San Francisco bis heute ein Ort ist, der Alternativen zum Leben im Rest der USA bieten kann.

So ist das „Castro“ das Viertel der Gay-Community, Fußgängerüberwege und Laternenmasten sind in Regenbogenfarben bemalt, wer hier nackt durch die Straßen geht, erntet kaum Seitenblicke – solange er einen Strumpf über die Genitalien zieht. In San Francisco, so scheint es, kann jeder so sein, wie er will. Vorausgesetzt er kann es sich leisten. Google, Facebook und Co. haben neben noblen Bars und Restaurants auch hohe ­Mieten mit sich gebracht – und Tausende Obdachlose.

Psychedelische Drogen waren eine Sackgasse

Die Ideen der Hippie-Bewegung und der Tech-Szene sind jedoch nicht so ge­gensätzlich, wie man zunächst meinen könnte. Stanford-Pro­fessor Fred Turner hat sich mit dem Zusammenhang zwischen dem 1968 erschienenen „The Whole Earth Catalog“ und dem heutigen Silicon Valley beschäftigt. Das Handbuch, in dem Aktivist Stewart Brand, der 1966 das Drogen-Festival Trips initiierte, Tipps für das nachhaltige Leben gibt, kann Turner zufolge als Vorläufer der heutigen Suchmaschinen verstanden werden.

Er steht mit dem Gedanken der Hippies als Wegbereiter für die Tech-Szene nicht allein da. Brand selbst, der in den 80er-Jahren die erste Online-Com­munity The WELL gründete, erklärte, psychedelische Drogen hätten sich als Sackgasse herausgestellt, während Computer der Weg zu „über Träume hinausgehenden Gefilden“ seien.

Auch Steve Jobs hätte Hippie gewesen sein können

Und wie passt Steve Jobs in dieses Bild, der wie kaum ein anderer für das Silicon Valley steht? Für Stanford-Professor Turner ist das klar, er bezeichnete Apple bei verschiedenen Gelegenheiten unter an­derem als eines der „konservativsten Un­ternehmen überhaupt“. Künstler Thomas Ingmire zögert. „Steve Jobs könnte durchaus ein Hippie gewesen sein“, meint er dann. „Immerhin war er von der damaligen Zeit so weit geprägt, dass er in seiner Garage an einer ­verrückten Idee tüftelte, die später die Welt verändern sollte.“

Vieles hat sich in 50 Jahren in San Francisco geändert. Aber wer oder was ein Hippie ist, darüber wird immer noch gestritten.

Tipps & Informationen

Anreise z. B. Direktflug mit Air Berlin von Tegel nach San Francisco.

Ausstellung Im M.H. de Young Memorial Museum wird bis zum 20. August „The Summer of Love Experience: Art, Fashion & Rock ’n’ Roll“ gezeigt. Eintritt: 25 Dollar.

Haight-Ashbury Die „Flower Power Walking Tour“ beginnt dienstags und samstags um 10.30 Uhr sowie freitags um 14 Uhr und kostet 20 Dollar p. P. www.haightashburytour.com

Beat-Museum Das kleine Museum in North Beach ist durch den dazugehörigen Buchladen (540 Broadway) erreichbar. Der Eintritt kostet acht Dollar.