Girona. Die Stadt in Katalonien bietet weltbeste Köche, Flair und Nähe zur Costa Brava. Touristen sind willkommener als nebenan in Barcelona.

Marco ist aufgeregt. Auf der Placa Catalunya hätte er die Urlaubsgruppe treffen sollen, doch die steht auf einem anderen Platz, am anderen Ende der Altstadt. Wie soll er jetzt erklären, dass man zu spät zum Frühstück, aber zu früh zu Wein und Süßwurst in die Markthalle kommen wird? Dabei ist Girona, ein mittelalterliches Städtchen im Hinterland der Costa Brava, mit kaum 100.000 Einwohnern durchaus überschaubar. Und eigentlich wäre es kein Problem, die „Girona Food Tour“ von hinten nach vorn laufen zu lassen – wenn da nicht die etablierten Rituale wären.

Der Spanier – und auch der Kata­lane, da ist man sich ausnahmsweise mal einig – esse genau fünfmal am Tage, erklärt Marco Gonkel: Neben Frühstück, Mittag- und Abendessen seien das ­zweite Frühstück um elf Uhr vormittags und Tapas gegen 17 Uhr, als eine Art Aperitif vor dem notorisch späten Abendessen, „absolut unverzichtbar“.

Höchste Sternekochdichte der Welt

Schnell versteht der Besucher: Essen scheint im Nordosten der Iberischen Halbinsel noch wichtiger als in anderen Regionen; eine Schnuppertour durch einheimische Lokalitäten ist eine gute Idee, das historische Städtchen und seine Umgebung zu erkunden. Girona – in spanischer Schreib­weise als Gerona bekannt – rühmt sich, Epizentrum von Spitzenköchen zu sein.

Im Umkreis von 50 Kilometern sind 17 Michelin-Sterne beheimatet, damit habe der Landstrich noch vor den foodaffinen Basken und lange vor Paris pro Einwohner die höchste Sternenkochdichte der Welt, heißt es. Aushängeschild ist der legendäre Ferran Adrià, der mit seiner Molekularküche im „El Bulli“ an der Costa Brava zwei Jahrzehnte lang die Kochwelt revolutionierte und seit 2011 in einer Schaffenspause weilt – er werkelt an einer „elBulliLab“-Rezeptdatenbank.

Der mittelalterliche Kern zeigt die wahre Schönheit der Stadt

Gerade fuhr man noch über Hügel und durch Täler, vorbei an Zypressen, Kornfeldern und Wäldern mit Pinien und Korkeichen, dann zwängt sich der Bus plötzlich durch eine zu enge Straße mit ockerfarbenen Vorstadthäusern, Abfallcontainern und älteren Damen mit Plastikeinkaufstüten in der Hand.

Schön ist es hier nicht, im Außenbezirk von Gi­rona, der „unsterblichen“ Stadt, die im 5. Jahrhundert vor Christus von den ­Römern an der antiken Handelsstraße Via Augusta gegründet wurde und 1809 monatelang einer Belagerung von Napoleon trotzte. Das ändert sich jedoch im Zentrum.

Fast wie in Venedig säumen hier gelbe, rote und ockerfarbene Bürgerhäuser, teils perfekt renoviert, teils ärmlich verwittert, das erfolgreich renaturierte Flüsschen Onyar. Schilfbestandenes Wasser leckt an alten Fassaden, Enten schnattern, und in hohem Bogen springen fette Karpfen aus dem gräulichen Strom.

Radler lieben das hügelreiche Hinterland der Costa Brava

Im mittelalterlichen Kern ist Girona eine natürlich gealterte Schönheit mit Bogengängen, Treppenvierteln, versteckten Kneipen – ohne störende Einkaufsketten. In der Neustadt, auf der anderen Seite des Flusses, und am Stadtrand ist es eher ein hässliches, postindustrielles Entlein. Europas ­größte Nespresso-Fabrik und die Ab­füllstation an den Vichy-Catalan-Originalquellen stehen in der Nähe.

Zu den Vichy-Quellen kann man radeln, je nach Ambition sogar auf den Routen von Radprofi Lance Armstrong, der sieben Jahre in Girona lebte und als eine Art Stadtbotschafter fungierte, bis er wegen seiner Dopingaffären in Ungnade fiel.

Radler lieben das hügelreiche Hinterland der Costa Brava mit Blick auf schneebedeckte Ausläufer der Pyre­näen. Junge Golfer und Naturliebhaber zieht es in das zehn Autominuten von Girona entfernte PGA Catalunya Resort, Spaniens Golfplatz Nummer eins, Schauplatz von drei Spanish Opens. Eigentlich sollte in der spektakulären Hügellandschaft in den 90er-Jahren eine Formel-1-Strecke entstehen, heute ist man froh, dass daraus Europas wohl ­lässigste Golfanlage wurde.

Gerade mal 40 Minuten bis Barcelona

Mit zwei ­18-Loch-Plätzen, Riesenpool, Wellness, Weinanbau, Tennisplätzen, Pferden und Schildkrötennestern geht das Catalunya Resort mit angeschlossenem ­Fünf-Sterne-Hotel Camiral radikal neue Wege: Als Biologe sorgt der ehemalige Anti-Golf-Aktivist Oriol Dalmau für umweltfreundliches Putten. Teiche auf dem Parcours dienen als Klärwasserfilter.

Star-Innenarchitekt Lázaro Rosa-Violán aus Barcelona hat das Hotel im vergangenen Jahr trendy umgestaltet. Zu Stränden der Costa Brava, zum Beispiel bei Begur, sind es nur wenige Minuten, mit dem Hochgeschwindigkeitszug bis Barcelona knapp 40 Minuten.

Auch für Gourmets gibt es viele Überraschungen

Abseits der touristischen Trampelpfade zu liegen, hat Vorteile: In Bar­­celona demonstrieren Initiativen gegen Überfremdung durch den Urlauber­ansturm. In Girona ist der Gast noch König, unerwartete Perlen finden sich in unspektakulärer Hülle. Die in die Oberstadt ins jüdische Viertel gequetschte Kathedrale zum Beispiel, schlicht Catedral genannt, von außen gedrungen, verbirgt im Innern das ­größte gotische Kirchenschiff der Welt. Auch für Gourmets gibt es Überraschungen: beispielsweise Fast-Sterneküche für 15 Euro.

Ganz stressfrei kehrt man im „Can Roca“ bei der Mutter der berühmten drei Roca-Brüder im Stadtteil Taialà ein. Hinterm Tresen machten die Söhne einst ihre Schularbeiten und schauten der Mama in die Töpfe. 2013, 2015 und 2016 wurden sie zu den besten Köchen der Welt gekürt; ihr berühmter „El Celler de Can Roca“ liegt in der Nähe; das Essen dort kostet das Zehnfache, und die Wartelisten sind lang.

In Gironas Gassen wurde „Game of Thrones“ gedreht

Auf historischen Steintreppen sitzen Trauben junger Leute, vor „El Vermutet“ drängen sich Einheimische und Besucher an Gartentischen. Hier, am Eingang des ehemaligen Judenviertels El Call, mit seinen winkligen Gassen, die sich einen Hügel hinaufschlängeln und auf der Stadtmauer enden, wurden mehrere Folgen der amerikanischen Fantasy-Serie „Game of Thrones“ gedreht.

Viele Katalanen streben noch immer nach Unabhängikeit von Spanien.
Viele Katalanen streben noch immer nach Unabhängikeit von Spanien. © Getty Images | Colin Mckie

Kein Platz ist an den Tischen zu finden: Klar, es ist elf Uhr, zweite Frühstückszeit eben, und gegen das Grummeln im Bauch des Spaziergängers helfen ofenwarme Xuxu, gesprochen Schuschu, traditionelle Schmalzkringel mit Creme. Von vielen Balkonen hängt die rot-gelb-gestreifte katalanische Flagge; Unabhängigkeitsbestrebungen sind nicht kleinzukriegen, die katalanische Sprache hat sich gegen das Spanische flächendeckend durchgesetzt.

Ex-Ingenieur verkauft jetzt lokales Olivenöl

Fast alles, was man probieren kann in Girona, stammt aus regionaler Produktion – nur der Iberico-Schinken nicht, der kommt aus Südspanien. Wie in Deutschland setzen junge Spanier auf Ökoprodukte als Karrieresteine. Im Mercat del Lleo, der großen, blitzsauber gefliesten Markthalle, verkauft zum ­Beispiel Ex-Ingenieur David Alcuja (42) seit der Wirtschaftskrise vor zehn Jahren lokal produziertes Olivenöl – sein Stand brummt.

Alles kann man probieren: heimischen Wein aus dem Empordà-Anbaugebiet, fangfrische Gambas, Schnecken und den beliebten Salzfisch Bacalao. Aber Moment, man dürfe die Halle auf keinen Fall verlassen, ohne Botifarra dolca, süße Schweinswurst, gegessen zu haben, verordnet Stadtführer Gonkel. Die Wurst, die Salvador Dalí liebte, schmeckt sehr gewöhnungsbedürftig, aber hielt man den nicht immer schon für ein bisschen verrückt?

Im Dalí-Dreieck auf Spuren des großen Surrealisten

Der Cadillac steht leicht verkratzt im Burgschuppen, als wäre er gestern hier abgestellt worden. Lange rote und gelbe Chintz-Sofas mit Goldbommeln lassen gesellige Abende vermuten, Strawinsky-LPs liegen auf dem Plattenschrank, durch gotische Fensterbögen fällt der Blick aufs Land.

„Gala war einsam, aber sie empfing hier auch ihre Liebhaber“, verrät die Verkäuferin im Souvenirstand der Burg Púbol über Dalís lebenslange große Liebe, „selbst der Maestro durfte nur mit Voranmeldung kommen.“ Den Spuren des großen Surrealisten, 1904 in Figueres geboren, können Urlauber im „Dalí-Dreieck“ zwischen seinem Wohnhaus in Port Lligat, seinem Theater-Museum in Figueres und eben der Burg Púbol folgen.

Der Geist Galas scheint noch im Anwesen zu schweben, das der Künstler 1970 für seine Frau und Muse kaufte, in dem sie 1982 starb und in einer Doppelgrab-Krypta im Keller beerdigt wurde. Allein – denn Dalí fand 1989 seine letzte Ruhestätte im Museum in Figueres; auf wessen Anordnung, ist bis heute unklar. Eins ist unbestritten: Im Zusammenklang zwischen Küche, Kunst und Küste in der Provinz Girona nimmt der Exzentriker einen Ehrenplatz ein.

Tipps & Informationen

Anreise z. B. bis Barcelona mit Easyjet, Ryanair oder Eurowings, von dort per Schnellzug nach Girona in 37 Minuten.

Unterkunft z. B. Hotel Camiral im PGA Catalunya Resort, Spaniens bestem Golfplatz, zehn Minuten von Girona entfernt. Angesagtes Hotel nicht nur für Golfer: Leihräder, Pferde, Riesenpool; viele junge Familien; Top-Küche im „1477“. Schnupper-Spezial: ab 184 Euro p. P./Nacht inklusive Golfgebühr.

Ausflüge Girona Food Tours, auch auf Deutsch, ab 69 Euro, gironafoodtours.com; Tel. 0034/629 850 709; Museen im Dalí-Dreieck, www.salvador-dali.org; ab 8 Euro. Costa-Brava-Strände, z. B.
bei Cadaqués, Begur, Tossa de Mar; www.goeuro.de.

Reiseführer Costa Brava von Thomas Schröder, Michael Müller Verlag, detailliert und aktuell, 16,90 Euro.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Catalunya Resort.)