Murs. Lange bevor in Südfrankreich der Lavendel blüht und die Touristen kommen, lockt der Frühling mit seinen Rapsfeldern in das Luberon.

Manchmal duftet der Frühling nicht. Dann leuchtet er nur. In strahlendem Gelb, enorm satt und ­intensiv. Als spiegelte sich die Sonne in den Blüten auf den Äckern. Zypressen säumen ­diese Felder in loser Folge wie vom Himmel gefallene Ausrufezeichen, Gehöfte aus auf­einandergestapelten hellen Natursteinen thronen auf sanften Hügeln inmitten all dieses Gelbs, als sei es nie anders. Das aber, was da so intensiv blüht und nicht duftet, erwartet hier keiner so recht – nicht in der Provence, nicht im Lavendel-Land: Raps. Bis hinter den Horizont. Endlose Felder bei Murs im Luberon zum Beispiel – und anderswo. Es ist das andere Gesicht der Provence, das des Frühlings. Das Land hat eine ­andere Farbe um diese Jahreszeit.

Ist die Gegend in zartes Lila getaucht, wird es hier teurer

Still ist es drumherum, fast kein Auto ist jetzt auf den schmalen Asphaltbändern unterwegs, die sich durch die Hügellandschaft 50, 60 Kilometer östlich von Avignon und anderthalb Fahrtstunden nördlich von Marseille von Dorf zu Dorf winden. Ein Lieferwagen vielleicht, ein Traktor mal – keine Wohnmobile, keine Campinggespanne, fast kein Wagen mit ausländischem Kennzeichen. In den Cafés haben die Kellner Zeit für einen Plausch, in den Restaurants sind die besten Plätze auf den Terrassen frei.

Das Violett des Lavendels ist eines der großen Markenzeichen der Provence.
Das Violett des Lavendels ist eines der großen Markenzeichen der Provence. © Helge Sobik | Helge Sobik

Wenn die Provence in Gelb blüht, ist es dort ruhig. Im Frühling scheint kaum ein Urlauber diese Region auf der Agenda zu haben. Erst im Sommer wird es wieder so richtig voll – und damit auch wesentlich teurer: wenn die ganze Gegend in zartes Lila getaucht ist und über allem ein inten­siver Blütenduft liegt. Das ist das ­Antlitz, für das diese Region so berühmt ist. Das Bild, das auf jedem Reiseführer­einband zu sehen ist und die Tourismuswerbung bestimmt. Ihr anderes Gesicht aber ist ebenso schön.

Das Violett des Lavendels ist zur Farbe der Provence geworden

Régine Liardet zuckt mit den Schultern. Sie ist ein wenig mitschuldig an dem Lila-Klischee. Die Frau ist Lavendelbäuerin in Sault. „Dabei blüht der Lavendel“, sagt sie, „frühestens von Mitte Juni bis maximal Ende August. Aber ­irgendwie ist sein Violett zu unserer Farbe geworden.“ Was sie vom Gelb der Rapsblüte hält? Vom Frühling? „Ach, das Schönste an all der Zeit außerhalb der Lavendelblüte ist doch, dass dann viel weniger los ist“, sagt sie. „Die ­Provence ist noch urtümlicher, unsere Dörfer liegen ruhig da. Und du kriegst überall einen Parkplatz.“ Jetzt lacht sie wieder. Régine Liardet ist hier zur Welt gekommen, hat im Alter von fünf Jahren zum ersten Mal ihrem Vater bei der ­Ernte geholfen und später gemeinsam mit ihrem Sohn den elterlichen Lavendelhof übernommen. Sie führt ihn bis heute, hat jedoch auch im Frühling ­geöffnet, verkauft in ihrem Hofladen Lavendelseife, Duftöle, Parfüm – und, anders geht es zur Zeit nicht, getrock­nete Lavendelsträuße. Weil Lila einfach dazugehört.

Etwa vier bis sechs Wochen ist die ­Vegetation hier der in Deutschland normalerweise voraus. Die Mitarbeiter von Bernard Voisin sind deshalb bereits im April im Hochbetrieb aktiv – auch ohne Lavendel. Der Mann ist einer der größten Arbeitgeber der Region. Für ihn sind über 19 Millionen Beschäftigte im Einsatz, die meisten davon Saisonkräfte. Sozusagen.

© Helge Sobik | Helge Sobik

Voisin ist „Chef“ von über 320 ­Stöcken mit jeweils gut 60.000 Bienen. Er ist Imker, und er verkauft den ­Geschmack der Provence im Glas – herrlich duftenden Lavendelhonig im Sommer. Und jetzt den Rapshonig. ­Seine Bienen sind nun tagtäglich in den Feldern und auf den Kirschplantagen bei Saint-Saturnin-les-Apt unterwegs, tanzen durch die Kelche, bis die Sonne im Westen hinter den Hügeln ­verschwindet.

Picasso sah hier aus seinem Atelierfenster – und malte

Morgens hängt derweil noch Nebel in den Pinien hinter den Häusern und taucht die Nachbargebäude in geisterhaftes Licht. Von irgendwoher bellt ein Hund, kühl ist es noch, es duftet nach Pinien und Kräutern, etwas nach Halsbonbon. Sobald sich der Vorhang zu lichten beginnt, setzt das Vogelkonzert ein – eine halbe Stunde später gibt es keine Spur mehr von diesem Schleier. Wieder klettert das Thermometer auf 22 Grad, wieder ist der Himmel sattblau, wieder leuchten alle Farben.

Es ist dieses besonders intensive Licht, das seit jeher Künstler zum Malen in diese Region gelockt hat – im Frühling und im Herbst mehr noch als im Sommer. Erst van Gogh weiter südlich nach Arles, dann Cézanne immer wieder an die Montagne Sainte-Victoire mitten in der Provence, schließlich Pablo Picasso. Der hat sich vor fast 60 Jahren das trutzige Schloss von Vauvenargues bei Aix-en-Provence gekauft, dort sein ­Atelier eingerichtet, einfach aus dem Fenster geschaut, sich mit dem Licht und den Farben aufgeladen – und ­gemalt. Weil er nie zuvor so viele Landschaftsbilder in so kurzer Zeit vollendet hat, sprechen Kunsthistoriker über seine Zeit mitten in der Provence als ­„Picassos grüne Periode“. Vor dem Portal des Schlosses ist er bestattet.

© Helge Sobik | Helge Sobik

Wie unterdessen der Frühling hier schmeckt? Nicht nur nach Honig, auch nach dem ersten frischen Gemüse der Saison, nach knackigem Salat aus der Region, nach Radieschen und Tomaten, nach selbst gemachtem Käse vom Bauernhof. Und nach einem Gläschen Rosé auf einer Restaurantterrasse mit Weitblick über diese irgendwie archaische Landschaft, all diese in die Gegend gesprenkelten Dörfer, denen noch niemand eine Fabrik neben die Dorfkirche gepfropft und ein Hochhaus vor die Stadtmauer gepflanzt hat. Die Provence – gerade hier im Luberon – ist noch so stimmig, so unverdorben. Und was zerstört war wie das Dorf Gordes, ist wieder aufgebaut. Es macht Spaß, über die Märkte zu bummeln, in kleinen Geschäften Zutaten einzukaufen. Und am Ende schmeckt die Provence nach allem, was das Rezeptbuch an herzhafter Landküche mit mediterranem Einschlag hergibt – ob am Herd des Ferienhauses oder im Lokal.

Wenn man später zu Hause eines dieser mitgebrachten Honiggläser aufschraubt und probiert, ist das Provence-Gefühl auf einen Schlag wieder da. Was tun, wenn der Honig alle ist? Wieder hinfahren. Am besten im Frühling.

• Tipps & Informationen

Anreise z. B. mit KLM und Air France über Amsterdam, mit Lufthansa über Frankfurt/Main oder Brussels Airline über Brüssel nach Marseille.

Leihwagen gibt es z. B. bei Sunny Cars (www.sunnycars.de) ab 190 Euro/Woche.

Übernachtung z. B. im Hotel Le Crillon in Murs (über www.booking.com, Doppelzimmer ab 75 Euro). Es gibt auch mehrere Ferienwohnungen und -häuser auf der Domaine de Saint-Jean bei Saint-Saturnin-les-Apt zu Preisen ab 110 Euro/Nacht (www.ledomainesaintjean.com).

Zahlreiche Ferienhäuser in der Provence haben auch die großen internationalen Anbieter wie Novasol (www.novasol.de) und Interhome (www.interhome.de) im Programm. Preise zwischen 400 und mehr als 1500 Euro pro Woche.

Lavendelhof Der Betrieb von Régine und Guillaume Liardet, Aroma’plantes, ist auf die Produktion aromatischer Produkte spezialisiert. In Sault,
Tel. 0033/490 64 14 73, Internetseite mit Online-Shop: www.dist illerie-aromaplantes.com

Literatur „Provence“, Ralf Nestmeyer, Michael Müller Verlag,
192 Seiten, 14,90 Euro / „Die Provence – eine Landschaft und ihre Maler“ von Philippe Cros, Verlag Belser, 19,95 Euro.

Auskunft Französisches Fremdenverkehrsbüro, www.france.fr bzw. speziell für die Region gibt es die Seiten www.tourismepaca.fr, www.provenceweb.fr und
www.bienvenueenprovence.fr.