Tampa. Ybor City in Tampa war eins Zentrum der amerikanischen Zigarrenproduktion – und es birgt eine kubanische Enklave.

Wer Wallace Reyes zuhört, spürt schnell den Enthusiasmus, mit dem der ­62-Jährige über seine Heimat Ybor City spricht, einen 5000-Einwohner-Stadtteil im Osten Tampas an Floridas Westküste. „Die Geschichte Tampas kann man einteilen in die Zeit BC und AC – ‚before cigars‘ und ‚after cigars‘“, sagt Wallace Reyes scherzend in Anlehnung an ‚BC‘ und ‚AC‘, mit dem im Englischen eigentlich die Zeit vor Christus ‚Before Christ‘ von der Zeit ‚After Christ‘, also nach Christus abgegrenzt wird.

Doch ähnlich einschneidend war das Auftreten von Vicente Martinez Ybor, einem spanischen Zigarrenproduzenten, 1885 an der Westküste des amerikanischen Bundesstaates. Vicente Martinez Ybor kaufte Land und baute hier 1886 eine Zigarrenfabrik – der Grundstein für eine Industrie, die zu ihren Glanzzeiten in den 20er-Jahren Zehntausende Menschen beschäftigte.

Ybor City und Kuba wetteiferten um längste Zigarre der Welt

„Damals gab es hier mehr als 200 Fabriken, in denen fast 600 Millionen Zigarren im Jahr handgefertigt wurden“, sagt Wallace ­Reyes, den viele nur „Wally“ nennen. Wally ist die Seele der Zigarrenproduktion in Ybor City. Er, dessen Familie vor vier Generationen aus Puert­o Rico an Floridas Westküste kam und die bis heute die Zigarrenproduktion als ihr ‚family business‘ ansieht, mimt das Geschichts­buch von Ybor City, den Stadtführer und den Zigarrenproduzenten in Personalunion. Und Wally ist neben seiner Ehefrau Margarita, dem Puerto Ricaner Patricio Pena und dem Kubaner José Castelar einer von weltweit vier „Grand Master Cigar Maker“, die sich in besonderer Weise um die Belange der Zigarrenherstellung verdient gemacht haben.

Am 18. November 2006, während des Tampa Cigar Heritage Festivals, verdiente sich Wally Reyes seinen Titel, als er gemeinsam mit einem 14-köpfigen Team die längste Zigarre der Welt herstellte: 30,78 Meter lang, 24 Kilo schwer, mit ausgewählten Tabakblättern aus Honduras, Ecuador und aus der Domini­kanischen Republik. Als die Zigarre nach 76 Stunden fertig war, hatten sie Materialien im Wert von 3500 US-Dollar verarbeitet.

Doch der Weltrekord hielt nur drei Monate – bis Patricio Pena in Puerto Rico eine 41,2 Meter lange Zigarre rollte und José Castelar auf Kuba noch ein paar Monate später eine 45-Meter-Zigarre nachlegte. Was der Kubaner nicht ahnte – Wally Reyes plante schon längst seinen zweiten, den ultimativen Weltrekord. Ende 2009 war es schließlich soweit. Diesmal scharte Wally Reyes 98 Freiwillige um sich, sein Team benötigte 24 Tage. Am Ende stand wieder die längste Zigarre der Welt – 59,82 Meter lang, 50,8 Kilo schwer. „Doch ich hatte mich mit einem Kubaner angelegt. Das wollten die nicht auf sich sitzen lassen“, sagt Wally Reyes schmunzelnd beim Blick zurück auf den Wettkampf mit José Castelar. Inzwischen hat er den Rekord ausgebaut auf 90 Meter, im Sommer 2016 zu Fidel Castros 90. Geburtstag rollte er die bis heute längste Zigarre der Welt.

Nur noch vereinzelt gibt es Shops, in denen Zigarren gedreht werden

In Ybor City, das Wally Reyes beim Rundgang „meinen Spielplatz“ nennt, sind nur noch vereinzelte Shops geblieben, in denen ein paar wenige Zigarrendreher ihrer Berufung nachgehen. „Im vergangenen Jahr waren es noch 60.000 Zigarren, die hier hergestellt wurden“, schätzt der Grand Master Cigar Maker, dessen Familie ihr Hauptgeschäft 2008 weg von Ybor City nach Honduras verlagert hat. Die glorreiche Zeit der Zigarrenproduktion ist hier längst Vergangenheit – eigentlich endete sie schon mit dem Kollaps der Weltwirtschaft im Oktober 1929. Das Erstarken der Gewerkschaften, die Mechanisierung der Produktion – viele Faktoren führten dazu, dass die einst wichtigste Zigarrenproduktion der Vereinigten Staaten zugrunde ging – und Ybor City über Jahrzehnte gleich mit dazu.

Bis in den 90er-Jahren die Renaissance des Stadtteils begann. „Dass Ybor City zu dem wurde, was es heute ist, war eigentlich nicht geplant. Aber die Mieten waren günstig, das hat viele Alternative angezogen“, sagt Kevin Wiatrowsky. Was aus den Glanzzeiten der ­Zigarrenproduktion geblieben ist, macht heute den Kern des hippen Ausgehviertels Ybor aus – die historischen Gebäude rund um die Sé­tima, die 7th Avenue East im Spanischen Viertel, damals wie heute wieder die pulsierende Lebensader von Ybor City. Das erste Hotel Floridas mit elektrischem Fahrstuhl, einst erbaut mit Finanzen von John D. Rockefeller, liegt gleich um die Ecke. Das 1905 mit 60 Sitzplätzen eröffnete Columbia Restaurant, heute Floridas ältestes Restaurant, ist direkt an der Sétima situiert.

600 Quadratmeter waren als kubanisches Staatsgebiet anerkannt

Hier finden in den um die Mittagszeit meist ausgebuchten, in ihrer Summe 52.000 Quadratmeter großen Gasträumen bis zu 1700 Menschen unter anderem den so ortstypischen Cuban Sandwich auf der Speisekarte. Und in der 1935 geschlossenen, einst mit 120.000 täglich von Hand hergestellten Zigarren größten Zigarrenfabrik in Ybor City, in deren Humidor damals bis zu fünf Millionen Zigarren lagerten, hat sich leider die Scientology Church eingenistet. Knappe fünf Millionen US-Dollar ließ sich die Organisation den Kauf des historischen Gebäudes kosten, mehr als dieselbe Summe steckte sie in dessen Erhalt.

Wally Reyes jedoch will in Ybor City unbedingt noch zu einem weiteren Ort. Vor den Toren eines von einem Gitter gesäumten, 600 Quadratmeter großen Parks hält er an: „Hier ist Kuba. Der einzige Ort in den Vereinigten Staaten, der vor der Wiedereröffnung der kubanischen Botschaft in Washington als kubanisches Staatsgebiet anerkannt war. Und das seit 1956“, berichtet der Stadtführer.

600 Quadratmeter waren kubanisches Staatsgebiet

Damals, vor der Revolution in dem karibischen Inselstaat, übergaben die Vereinigten Staaten den nach dem kubanischen Nationaldichter und Freiheitskämpfer José Martí benannten Park über den Property Protection Act an die Inselrepublik. „Aber niemand hatte in die Verträge geschrieben, was passiert, wenn sich die Beziehungen zwischen Kuba und den USA verschlechtern“, sagt Wally grinsend. Es kam, was kommen musste. Als Kuba und die USA 1961 ihre Beziehungen einfroren, wurde der Park geschlossen und verriegelt – über Jahrzehnte. Mittlerweile ist das kubanische Nationalgebiet auf US-Boden wieder frei begehbar – neun Stunden am Tag, und auch sonntags, wenn die großen Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Tampa anlegen.

Einen Pass benötigt indes niemand, der das kubanische Staatsgebiet mitten in den Vereinigten Staaten besuchen will, auf dem es eine Statue von José Martí, eine Mosaikkarte Kubas und einige Pflanzen zu sehen gibt. Und viel historischen Charme an einem Ort, an dem die kubanische Flagge und die des Staates Florida in friedlicher Eintracht nebeneinander wehen und nach 55 Krisenjahren zwischen den USA und Kuba auf gemeinsame Traditionen verweisen.

Tipps & Informationen

Anreise Lufthansa fliegt ab Frankfurt direkt nach Tampa.

Unterkunft Im Epicurean Hotel (www. epicureanhotel.com) im Hyde Park Dis­trikt steht neben 137 Zimmern die Kulinarik im Blickpunkt. Bekannte US-Köche nutzen das Atrium des Hotels für TV-Aufzeichnungen. Modern sind die Zimmer im Aloft Tampa Downtown Hotel (www. alofttampadowntown. com) in Tampas Innenstadt am Hillsborough River Walk.

Essen und Trinken Bern’s Steak House (www.bernssteakhouse.com) gehört zu den legendären Steakhäusern in den USA. Für kleinere Geldbeutel empfiehlt sich das Ulele (www.ulele.com) mit Burgern und Seafood am Hillsborough River. In Ybor City finden in den Speise-sälen des Columbia Restaurants bis zu 1700 Gäste Platz. Die Küche des ältesten Restaurants in Florida ist spanisch-kubanisch.

Empfehlenswert Die Bootstour mit Captain Larry (www.watertaxitampa. com) vorbei am Villenviertel und am Kreuzfahrtterminal in Tampa . Im Lowry Park Zoo (www.lowryparkzoo.org) sind auch Giraffen zu bestaunen. Das Ybor City Museum (www.ybormuseum.com) gibt Einblicke in die Zigarrenproduktion zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Auskunft www.visittampabay.com

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Visit Tampa Bay.)