Lübbenau. Mit Glühwein auf romantischer Tour durch ein Reich der Stille: Die Abgeschiedenheit der kalten Jahreszeit nutzen Fährleute für Fahrten.

Sein übliches Arbeitsoutfit, die blaue ­ärmellose Weste, hat Volker Buchan aus gutem Grund gegen eine dick wattierte Jacke eingetauscht. Die Temperaturen sind auf Talfahrt, und mit klammen Fingern zieht der Fährmann die Plastik­abdeckung von seinem Kahn. Schon bald sind auf den Tischen Häkeldeckchen samt niederschlagsresistenter Blumendeko zurechtgerückt, genügend Wolldecken auf den gepolsterten Bänken verteilt und Glühwein wie heißer Tee in Stellung gebracht.

Für den wetterbedingten Notfall liegen Regenschirme und Körbe mit Schnapsfläschchen unter der Picknickgarnitur bereit. Durchaus beruhigend. Ist alles gerichtet, kann das halbe Dutzend Leute, das sich heute für die 11-Uhr-Fahrt an Lübbenaus Großem Spreewaldhafen eingefunden hat, einsteigen und es sich im Wohnzimmerambiente des etwa neun Meter langen Kahns gemütlich machen.

Mit einer Holzstange, dem Rudel, stößt sich Fährmann Buchan vom Boden des niedrigen Wassers ab und setzt das kiellose Flachboot allein mit Muskelkraft in Bewegung. Schlag für Schlag. Ohne Hast. Seine Gäste erwarten 75 unvergessliche Minuten auf einer Reise in eine der schönsten Flusslandschaften Europas, die hier im Südosten Brandenburgs seit 1991 als Biosphärenreservat unter dem Schutz der Unesco steht. Es war die letzte Eiszeit, die die Naturlandschaft des Spreewalds geschaffen hat. Und es waren die Sorben als erste slawische Siedler, die dem waldreichen Gebiet, in dem einst Wölfe und Bären hausten, sein landwirtschaftlich geprägtes Gesicht gaben.

Der Kahn gleitet vorbei an Weiden und Gurkenfeldern

Die Schönheit dieses 1500 Kilometer langen feinmaschigen Netzes aus Fließen und Kanälen lockte schon im 19. Jahrhundert Touristen in die Region. Inzwischen sind es jährlich Hunderttausende, die den Spreewald zum beliebten Sommerreiseziel auserwählen und in Lübbenau, Burg und anderswo in Kähne und Kanus steigen. Doch nun im Winter ist alles anders. Da hat die Kälte die verschlungene Welt der Spree in ihren Krallen und in tiefe Einsamkeit gehüllt.

Einzig der Kahn von Fährmann Buchan scheint an diesem Vormittag rund um Lübbenau unterwegs zu sein. Dunkle, mit Regen oder Schnee gefüllte Wolken liegen mit melancholischer Schwere über der Landschaft und malen die Fließe grau. Lautlos taucht unser brandenburgischer Gondoliere das Rudel ins Wasser und gleitet vorbei an Weiden, Wald und Feldern, auf denen die berühmten Spreewaldgurken wachsen. Häuser begleiten unseren Weg, in deren weitläufigen Gärten sich totes Laub zu braunen Teppichen entrollt.

Wie dürre Finger zittern die nackten Zweige der Sträucher im Wind. Alles ist still. Wo sommers die Kähne an kleinen Verkaufsbuden halten – dem „Spreewald McDonalds Drive In“, wie Buchan scherzt – herrscht jetzt Flaute. Auf ein Schmalzbrot für einen Euro oder den Gurkenmix hofft man vergeblich. Kein Mensch ist zu sehen. Und kaum ein Tier. Nur ein paar Enten liegen schläfrig an Land oder paddeln durchs Wasser.

Post kommt per Kahn

Irgendwann lässt uns ein gelbes Ortseingangsschild wissen, dass Lehde (oder auf Sorbisch Lédy) erreicht ist – ein noch recht ursprüngliches Dorf, zusammengesetzt aus zahllosen, von Spreewasser um­spülten Inselchen, deren Ufer niedrige Fußgängerbrücken verbinden. Ein Flecken fürs Bilderbuch mit seinen vielen typischen Spreewaldhäusern aus Holz und den oft schilf­gedeckten Dächern.

Kein Wunder, dass die „Lagunenstadt im Taschenformat“ schon Theodor Fontane, den großen Dichter der Mark, zum Schwärmen brachte, der vor langen Jahren in dem 140-Einwohner-Ort ­Station machte. ­Damals kam man nach Lehde nur mit dem Boot, und selbst heute haben nicht alle Höfe einen ­Zugang zum Straßennetz. Entsprechend ist hier neben Feuerwehr und Müll­abfuhr auch die deutschlandweit einzige Postkahnfrau auf dem Wasser unterwegs.

Schloss Lübbenau lädt zu einer Einkehr ein

Lehde und sein sehenswertes Freilandmuseum liegen hinter uns, als der Fährmann seinen Kahn auf die breitere Hauptspree lenkt. Nur noch ab und zu pflastert ein Haus unseren Weg, mehr und mehr übernimmt die Natur die ­Regie in dem mystischen Auen- und Moorland, an dem wir uns kaum satt ­sehen können. Üppige Gräser trennen Fluss und Land.

Erlen und Birken stehen mit nassen Füßen am Ufer, während sich ihre Köpfe in der Höhe wie das Gewölbe einer Kathedrale über das Wasser neigen. Ein Reich aus Grün und Braun, dem Frost und Schnee vielleicht schon morgen einen weißen Anstrich geben. Schließlich ist es soweit: Der Große Spreewaldhafen taucht vor uns auf, wo die Kähne noch immer unter schützenden Folien sanft im Wasser schaukeln.

Wieder festen Boden unter den Füßen stellt sich schnell die Frage: Was nun? Auf dem gepflasterten Platz vor dem Hafenbecken, den Restaurants und Läden säumen, herrscht feiertägliche Ruhe. Ein verwaister Ort, an dem sich im Winter nicht der Hauch einer Ahnung vom üblichen Trubel wärmerer Monate einstellen will. Auch die Stände der „Gurkenmeile“, an denen die Spreewälder Gurkenbetriebe in der Saison ihre Waren präsentieren, stehen leer. Spuren des letzten Regens lassen die Ablagen glänzen, auf denen sich sonst neben Gurken jeglicher Machart Sauerkraut, Rotkohl, Kürbis, Meerrettich, Leinöl, Schlehenwein oder Honig von ortsansässigen Bienen in Gläsern und Flaschen türmen.

Renaissanceanlage lädt zur kulinarischen Einkehr

Die kleine Brücke im Hafen gibt schließlich Antwort auf die Frage nach dem weiteren Prozedere. Wer über ihre Holzstufen das andere Ufer erreicht, merkt bald, dass die „heimliche Hauptstadt des Spreewalds“ noch mehr zu bieten hat als Gurken und Kähne. In direkter Nachbarschaft zum Großen Spreewaldhafen verteilt der Schloss­bezirk als ältester Teil der Lübbenauer Altstadt seine Bauten in schönster Natur.

Darunter Schloss Lübbenau – im 16. Jahrhundert ursprünglich als drei­flügelige Renaissanceanlage erbaut –, das nach der winterlichen Kahnfahrt und einem Spaziergang durch den historischen Ortskern zur kulinarischen Einkehr lädt. Auf seiner „Zuckerseite“, die sich vor der Kulisse eines englischen Landschaftsparks zu einem großzügigen „V“ auffaltet, betritt man das herrschaftliche Haus, das heute Hotel ist. Und in dessen elegantem Restaurant man sich, je nach Tageszeit, mit Kuchen zum Kaffee oder Gänsekeule und Wildgulasch verwöhnen lässt.

Tipps & Informationen

Anreise Mit dem Auto von Berlin über A13 bis zur Abfahrt Lübbenau. Mit dem Regionalzug von Berlin Hbf bis Lübbenau, in ca. 10 Minuten zu Fuß vom Bahnhof zum Hafen.

Unterkunft z. B. im Schloss Lübbenau. Das Vier-Sterne-Hotel hat 44 Zimmer, ein Feinschmeckerrestaurant und Wellnessbereich. Ein Doppelzimmer mit Frühstück kostet ab 100 Euro. www.schloss-luebbenau.de; Alternativ dazu das Boutique Resort & Spa Hotel Strandhaus in Lübben, ein Doppelzimmer mit Frühstück kostet ab 128 Euro. www.strandhaus-spreewald.de

Winterkahnfahrten Großer Spreewaldhafen Lübbenau, Dammstraße 77 a, Tel. 03542/22 25. November bis März täglich um 11 und 13 Uhr (außer bei Eisgang und zu den Terminen der Spreewaldweihnacht (www.spreewaldweihnacht.de)), Dauer ca. 75 Minuten, Kosten: 11 Euro/Person, www.grosser-hafen.de;
Weitere Anbieter und Abfahrtsorte findet man unter www.spreewald.de/winterzeit/kahnfahrten

Infos www.spreewald.de; www.luebbenau-spreewald.com

(Die Reise wurde unterstützt von der Kahnfährgenossenschaft Lübbenau und dem Tourismusverband Spreewald.)