Matautu. In Polynesien erleben Urlauber ein Land mit üppiger Natur. Die Einwohner sind so mit sich im Einklang, dass man neidisch werden könnte.

Um zu verstehen, warum sich Samoa anders anfühlt als der Rest der Welt, guckt man am besten an einem Donnerstag im Return to Paradise Resort in Matautu an der Nordküste vorbei. Der feine Südseestrand? Die tief über dem türkisfarbenen Wasser hängenden Palmen? Die Felsenbecken, in denen man geborgen wie in einem Minipool im Wasser hockt und Riesenschildkröten beim Dösen zuguckt? Geschenkt.

An jedem Donnerstagabend verrät der Ort sein Geheimnis in der Gary-Cooper-Lounge des Resorts: Auf einer Leinwand läuft dort jener Hollywoodfilm aus den 50ern, dem das Resort ­seinen Namen verdankt. Personal und Gäste verteilen sich auf Stühlen und schauen andächtig zu, wie Gary sich in die schöne Samoanerin Moira verliebt. Zimmermädchen Lona seufzt, auch Kellner William hat Tränen in den Augen, Hotelmanagerin Emma ist sichtbar bewegt. Die allwöchentliche Rührung hat einen Grund: Samoas Familien sind riesig, im Fall von Matautu machen sie fast das ganze Dorf aus. Und: Familie geht den Samoanern über alles.

Die Häuser sind offen – ohne Türen und Schlösser

Weil alle Dorfbewohner einst bei dem Film mitspielten, wurde er ein Stück Familiengeschichte. Mit Gary und Moira mittendrin. Erinnerungen, für die man kein Fotoalbum durchblättert, sondern einen Kinofilm guckt. Oder für die man einen Schrein baut. Wie in Matautu: Das kleine Dorf beschloss, ihrem Matai, einer Art Clanoberhaupt, seinen letzten Wunsch zu erfüllen und ein Resort am Bilderbuchstrand zu errichten. In einer Fale, einem der traditionell offenen Häuser, die aussehen, als hätte ein Architekt die Wände vergessen, waren sie zusammengekommen, der neue ­Matai hatte die Abstimmung geleitet: Emma, die Enkelin des verstorbenen Patriarchen.

„Das Land gehört auf Samoa keinen Einzelpersonen, sondern zu 75 Prozent den Großfamilien“, erzählt sie. „Der Matai ist für alle verantwortlich. Dass sie etwas zu tun haben, dass sie nicht hungern, dass sie sich aufgehoben fühlen.“ Die Hotelidee fanden alle gut. Schon, weil sie allen Arbeit gab. Die einen kochten oder bedienten die ­Gäste, die anderen bauten, reparierten, putzten. „Auch die abendliche Musikunterhaltung, die Ukulelenspieler – ­alles Familie“, sagt Emma lachend. „Und wir sind nicht das einzige Resort, das so funktioniert.“ So wurde das ­Hotel ein Denkmal. Für die Familien­geschichte. Aber auch dafür, dass die Dinge anders laufen auf Samoa. Dass die Menschen in diesem pazifischen Inselreich ziemlich glücklich sind.

Traumstrände, glasklares Wasser, immergrüne Regenwälder, leuchtende Blumen. Das gibt es auch anderswo auf der Welt. Nur wohnen dazwischen oft die Armut und der Neid auf Menschen, die mit Flugzeugen ankommen und sich in Hotels ausländischer Investoren breitmachen. Das kleine Samoa verkaufte sich nicht an den Meistbietenden. Die Deutschen hatten ihre Südseekolonie schon 1914 aufgegeben, die neuen Herren kamen aus Neuseeland, bis die ­Matai der Insel 1962 beschlossen, jetzt müsse mal Schluss sein mit der Fremdherrschaft. Damit leben sie seitdem ziemlich gut. In offenen Häusern, ohne Türen oder Schlösser, vor allem aber ohne wirkliche Existenzsorgen. In Badelatschen und Lavalava, einem locker um die Hüften geschwungenen Tuch. Und meistens, zumindest was die Frauen ­angeht, mit einer Blume im Haar. Mit dem Neid läuft es da eher andersrum. Die leuchtend grünen Bananenplantagen, die riesigen Banyanbäume, dicke Mango- und Papayafrüchte, die in der ­Sonne glänzen, Sträucher, die wahre Blütenmeere sind, und nicht ein einziges giftiges oder gefährliches Tier in den Regenwäldern: Samoa hat schon verdammt viel Paradies abgekriegt.

Tu Sua Trench im Süden ist das vielleicht schönste Wasserloch der Insel

Und die Insulaner leben auch fast so unbekümmert wie im Garten Eden: Bei einer Regenwaldwanderung entlang des Lalotalie-Flusses hangelt man sich an grünen Palmblättern und Ästen entlang, balanciert über kippelige Steine, immer dem Guide Jacko hinterher. Der plötzlich bis zur Hüfte durchs Wasser zum anderen Ufer hinüberwatet. Und sich wundert, warum der Besucher fragt, ob er Badeklamotten anziehen sollte, und wo er dann, bitteschön, Hose und Schuhe lassen könne. Trocknet doch alles, bei knapp 30 Grad, wo ist das Problem? Wenn die Straße vor der Hauptstadt Apia überschwemmt ist, weil es in der Nacht in Strömen gegossen hat, warten die Einheimischen eben ein bisschen, bis das Wasser abgeflossen ist. Zeit ist keine ernstzunehmende Größe auf Samoa, eine Uhr trägt hier ­sowieso keiner. Samoan time, samoa­nische Zeit, sagen die Insulaner. Und meinen: ungefähr morgens, mittags oder abends. Bloß nicht hetzen, immer mit der Ruhe. Läuft ja nichts weg. Das Wichtigste ist, dass immer irgendein Wasserfall, ein natürlicher Schwimmteich oder eben der glasklare Pazifik in der Nähe sind, um Spaß zu haben.

Vielleicht das schönste Wasserloch der Insel: Tu Sua Trench im Süden der Insel. Eine gewaltige, grün von Farnen eingewachsene Lavahöhle, direkt vor der wildfelsigen Südküste. Eine steile, schmale Holztreppe führt vom Rand aus ins smaragdfarbene Wasser, gut zehn Meter in die Tiefe. Tropfen lösen sich von den Steilwänden, scheinen in Zeitlupe zu fallen. Adam- und Eva-Gefühle. Und die perfekte Illusion: Das Leben kann so leicht sein. Ach ja, diese einfach gestrickten Naturvölker? Mitnichten. Die Samoaner leben nicht hinterm Mond, nur einfach weit weg von allem anderen. Viele haben zeitweise in Neuseeland gearbeitet, sind aber nur zu ­gerne wieder zurückgekehrt auf ihre Inseln. Sie wissen einfach, was sie daran haben. Und dass sie gut daran tun, ihr Paradies nicht zu verkaufen, allenfalls an ein paar Connoisseure zu verleihen.

Natürlich, auch das Paradies hat seine schlechten Tage, wie sich ein Stück weiter, am berühmten Lalomanu Strand, zeigt. Der Tsunami im September 2009 hatte dem einstigen Schönheitskönig der Südseestrände arg zugesetzt, ganz erholt hat er sich noch nicht. Auch auf Samoa gibt es Unglück. Doch in einer festen Gemeinschaft fällt es leichter, den Kopf oben zu halten.

Traditionelle Tätowierungen zu Ehren des Familienclans

Stolze Menschen seien die Samoaner, notierten die Entdecker, die 1769 mit Captain Cook die Südsee erforschten. Und bemerkten verblüfft, die Männer trügen alle bunte Strümpfe. Tatsächlich waren die Samoaner an den Beinen schlichtweg tätowiert. Und auch das hat natürlich, wie alles auf der Insel, mit der Familie zu tun. Das Pe’a, das Traditionstattoo, wird auch heute oft noch mit ­gefeilten Schweinezähnen gestochen, „und diese höllischen Schmerzen erträgt keiner nur für sich, sondern immer für seine Familie“, sagt Chris Solemona vom Cultural Heritage Center von Apia. Der 45-Jährige entblößt seine Beine, den Bauch, den Rücken, „nur meinen Po ­zeige ich nicht!“, sagt er grinsend. Muster schlängeln sich darüber, Symbole, Mantras aus Zeichen. „Mein Großvater war Matai auf der Nachbarinsel Savai’i, ich wollte so sein wie er“, erzählt Chris. „Er beschwor mich: Mach es nicht! An sechs Tagen werden die Tattoos gestochen, wer vorzeitig aufhört, bringt Schande über seine ganze Familie.“ Chris schlich sich heimlich zum Tätowierer. Jammerte, schrie, heulte, zit­terte. Aber er hielt durch. „Danach bist du ein anderer. Du weißt: Wenn du das durchgehalten hast, kann dich nichts mehr erschüttern. Dann erst bist du ­fähig, für einen Clan einzustehen, Verantwortung zu tragen.“

Chris zieht zwei Kinder unter einer Palme weg, „nie unter gelbbraunen Kokosnüssen sitzen“, warnt er sie. „Da könnt ihr erschlagen werden!“ Samoaner passen aufeinander auf. Nur in einer Hinsicht nicht; dick gilt in den meisten Familien immer noch als gesund. Sie essen eben auch gern. Aber leider zu viel. Jeder Vierte ist zuckerkrank, Folgen der Diabetes sind Haupttodesursache.

In Matautu zündet Kellner William auf der Terrasse die Windlichter an, dann überlässt er den Sonnenuntergang den Gästen. Er hat zu tun. Opa gucken in der Gary-Cooper-Lounge. Es bleibt ja in der Familie. Glückliches Samoa.

•Tipps & Informationen

Anreise: z.B. ab Berlin mit Etihad über Abu Dhabi nach Brisbane, weiter nach Apia mit Virgin Australia.

Unterkunft: Drei sehr schöne, von weib­lichen Matai-Clanchefs geführte Hotels: Das Return to Paradise Resort in Matautu auf der Hauptinsel Upolu – legendärer Ort mit schönem Strand, an dem sich schon mal Schildkröten sonnen. DZ ab 200 Euro (www.returntoparadiseresort. com); oder das Sinalei Reef Resort mit Holzbungalows in wunderschöner Natur. Nur 30 Minuten von der Hauptstadt Apia und 45 Minuten vom Flughafen entfernt. DZ ab 250 Euro (www.sinalei.com); und das Le Lagoto auf der Zweitinsel Savaii. Hübsche Bungalows, wunderbarer Strand. Die Insel ist für Naturschauspiele für die Blowholes, wo durch zerklüfteten Lavaboden am Ufer Meerwasserfontänen in die Luft schießen, bekannt. DZ ab 180 Euro (www.lelagoto.ws).

(Die Reise wurde unterstützt von Samoa Tourism – Auskunft: www.samoa.travel)