Berlin. Berlins und Brandenburgs Flüsse, Seen und Kanäle laden ein zu romantischen Hausboot-Touren. Zeit? Die spielt hier keine Rolle.

Nein, zugegeben, wirklich windschnittig ist sie nicht, die „Plezier“. Auch in Sachen Schnelligkeit macht ihre Statur nur wenig Hoffnung. Und trotzdem ist es unsererseits Liebe auf den ersten Blick. Liebe für ein modernes Häuschen mit Dachterrasse auf einem Floß, das abseits des Köpenicker Straßenlärms am Spreeufer in den Wellen schaukelt und auf die Abfahrt wartet. Und endlich ist es dann soweit. Die Neuskipper sind in die Finessen des Hausbootfahrens eingeweiht, Verpflegung wie Gepäck an Bord, die Gewässerkarten für Berlin und das angrenzende Brandenburg an der richtigen Stelle aufgeschlagen und die Leinen gelöst.

Auch die Rollen in unserer Zwei-Mann-Besatzung sind schnell und ohne Meuterei verteilt. Während mein Leichtmatrose breitbeinig am Steuer steht, belege ich die Holzkiste auf der überdachten unteren Terrasse mit Beschlag und erkläre sie bis zu unserer Rückkehr zu meinem Lieblingsplatz.

Motor mit 15 Pferdestärken

Die 15 Pferdestärken ihres Motors lassen in der Tat nur ein bescheidenes Tempo zu, und so tuckert die „Plezier“ gemächlich auf der Spree Richtung Osten. Wir wundern uns, wie wenig großstädtisch sich Berlin, zumindest hier, aus der Flussperspektive gibt: Die Ufer sind grün, unterbrochen von Häusern und Stegen, an denen Boote ankern. Nicht lange, und in einiger Entfernung taucht der Turm des Köpenicker Rathauses auf, der wie eine Landmarke über der Altstadt von Berlins größtem Ortsteil thront und uns die Geschichte des Schuhmachers Wilhelm Voigt in Erinnerung ruft, der 1906 in einer Uniform vom Trödler und in Gesellschaft einer Truppe Soldaten als „Hauptmann von Köpenick“ den Bürgermeister verhaftete und sich die Stadtkasse unter den Nagel riss.

An der Altstadthalbinsel und dem Schauplatz dieser Köpenickiade angekommen, wechseln wir fast unbemerkt von der Spree in die Dahme, die hier mündet. Links, oder backbord, wie der Seemann sagt, gleitet der Schmuckgiebel des Rathauses vorbei, gefolgt vom Köpenicker Schloss. Ansonsten bleibt das Bild der Flusslandschaft wie gehabt, vorerst jedenfalls: Bäume, Stadthäuser, vertäute Boote. Hin und wieder ragen Stangen aus dem Wasser, die verraten: Es wird mit Reusen gefischt.

Stangen verraten, dass noch mit Reusen gefischt wird

Auf Höhe des Teltowkanals macht sich rechter Hand ­Grünau bemerkbar. Mit Segel- und Ruderklubs, mit Werften und kleinen Marinas. Die Dahme dehnt sich mehrfach wie ein geblähter Bauch und weitet sich zum Langen See. Die Wellen werden höher. Auch der Wind legt zu und macht den Platz um meine Holzkiste zu einem zugigen Ort. Ein Frachtschiff mit einer riesigen Ladung Sand schiebt sich uns entgegen. Surfer und Jollen kreuzen den Weg der „Plezier“. Und wir hören endlich auf, alle naselang in die Gewässerkarte zu schauen und geben uns ganz der Ferienstimmung hin.

Das Hausboot müht sich redlich gegen Wind und Strömung in dem elf Kilometer langen Rinnensee, passiert die berühmte Regattastrecke und das Strandbad von Grünau, lässt sich von Wald, Bootshäfen und großzügigen Wassergrundstücken hofieren. Am Seenkreuz bei Schmöckwitz verlässt der Steuermann die Dahme und lenkt das Hausboot auf den Seddinsee: eine weite Wasserfläche zwischen bewaldeten Ufern, wo sich die Bäume zu bauschigen Wogen formen, als wollte die Silhouette ihrer Wipfel das Steigen und Fallen der Wellen imitieren. Davor Schilfgürtel, die weizenblonde Farbakzente in das Landschaftsgemälde tupfen und die wenigen Häuser in den Hintergrund drängen. Mittendrin begrünte Inselchen, die friedvoll im Seenblau ruhen. Ein Motorboot ankert an einem lauschigen Platz, anderswo liegt mit gestrichenen Segeln eine schneeweiße Yacht, deren Besitzer auf Deck ein Sonnenbad nehmen.

Gepflegte Grundstücke mit Bootssteg

Nur ungern verlassen wir diesen schönen Ort, aber wir wollen bis zum frühen Abend am Werlsee sein. Also beenden wir unsere kurze Rast und setzen die Reise fort. Der Dämeritzsee ist unser nächstes Ziel, zu dem der Gosener Kanal eine knapp drei Kilometer lange, fast gerade Schneise durch die Landschaft schlägt. Dicht rücken die Ufer hier beschützend ans Boot. Der Wald links und rechts ist so nah, dass man meint, die Stämme der Bäume berühren zu können, deren Kronen sich weit über das spiegelglatte Wasser beugen. Zum ersten Mal schweigt der Wind, und es ist so leise, dass wir Vogelgesang im Blättermeer hören. Eine malerische Szenerie, die sich, wie wir bald erleben werden, ein Stück weiter nochmal steigern lässt.

Doch erst müssen der Dämeritzsee, der halb in Berlin, halb in Brandenburg liegt, durchfahren und der Flakensee gestreift werden, bis wir erneut die Welt der Flüsse betreten. Mit Biegungen und Kurven schlängelt sich die Löcknitz, die schon den großen Dichter der Mark, Theodor Fontane, ins Schwärmen brachte, durch die Idylle des Oder-Spree-Seenlandes. Wo nicht gerade Wald auf vielen Metern den grün schimmernden Flusslauf begleitet, sind es gepflegte Grundstücke mit Badeleitern und Bootssteg, die erst an der Wasserkante enden. Fischreiher stehen wie einsame Wächter auf toten Baumstümpfen und erheben sich mit weiten Schwingen in die Luft beim Näherkommen der „Plezier“. Was die Enten wiederum gar nicht stört. Die halten weiter Siesta in fremden Gärten und heben höchstens träge den Kopf.

Hausboot wie ein komfortables Ferienhaus

Dort, wo sich Löcknitz und Werlsee berühren, machen wir an der Anlegestation von Nautilus Hausbootcharter, unseres Bootsverleihs, fest für die Nacht. Auf der kleinen Terrasse auf dem Vordeck steht wärmend die Abendsonne. Schnell ist ein Tisch aufgebaut und ein Stuhl für den Käpt’n davorgerückt, während ich auf meinen angestammten Platz auf der Kiste beharre. Ein Grill und etwas für drauf wären jetzt nicht schlecht.

Stattdessen gibt’s bereits Fertiges: Bouletten und Kartoffelsalat aus Eigenproduktion, dazu einen edlen Barolo, den wir aus Wassergläsern trinken. Wie wunderbar unperfekt! Wir essen, genießen schweigend die Stille und beobachten glücklich die Schwalben, die unser schwimmendes Zuhause umkreisen. Erst wenn die Dunkelheit diesen traumhaften Tag beschließt, wechseln wir ins Innere unseres Hausboots, das mit Küche, bequemen Schlafplätzen, Dusche und Toilette, mit Fernseher und Radio alle Ansprüche an ein komforta­bles Ferienhaus erfüllt. Müde fallen wir ins Bett, werfen einen letzten Blick durch das große Panoramafenster, vor dem die Landschaft in Grau- und Schwarztönen verschwimmt, und lassen uns vom leisen Schaukeln des Bootes sanft in den Schlaf wiegen.

Morgens Katzenwäsche und Frühstück mit frischen Brötchen

Tag zwei beginnt mit Katzenwäsche, gefolgt von einem Gang zum Tante-Emma-Laden in Marinanähe, der uns frische Brötchen fürs Frühstück verkauft. Der Tee in der Tasse ist noch warm, als wir die Leinen lösen. Mit der „Plezier“ umrunden wir einmal die Liebesinsel im Werlsee, wo wir frühe Badegäste sehen, die ihr Ruderboot aufs Trockene gezogen haben, und fahren dann zurück, wie wir gekommen sind.

Über Löcknitz, Flakensee, Flakenfließ, Dämeritzsee. Dort aber ändern wir die Route. An einer Einfahrt in ein Fließ informiert ein Schild: „Müggelspree, Richtung Großer Müggelsee“. Also da lang. Als hätten wir eine „Schöner Wohnen“-Zeitschrift aufgeschlagen, präsentieren sich die Anrainer dieses Müggelspree-Abschnitts. Teuer und exklusiv. Schöne Häuser, in deren Gärten hohe Laubbäume Schatten und ein wenig Sichtschutz spenden. Aber auch Datschen sind zu sehen. Und mittendrin die Siedlung Neu Venedig, die im Hinterland der Müggelspree mit ihren Inseln, Brücken, Kanälen eine zauberhafte Lagunenlandschaft bildet.

Schon wenig später sind wir im Müggelsee, dem mit 7,4 Quadratkilometern größten der Berliner Seen. Bevor uns an seinem entgegengesetzten Ende das letzte Stück der Müggelspree zurück zum Köpenicker Anleger bringt, verlassen wir die Fahrrinne und zögern das Ankommen noch ein wenig hinaus. Machen den Motor aus und lassen uns treiben. Beobachten die lautlos dahingleitenden Segler, die Ausflugsschiffe und sprintstarken Boote, die unser Hausboot beim Vorbeifahren in kleine Turbulenzen bringen. Sind einfach nur froh, dieses romantische Reich der Seen, die über Flüsse, Fließe und Kanäle miteinander verwoben sind, wenigstens ein Stück weit erlebt und die Langsamkeit des Reisens für uns entdeckt zu haben.

Tipps & Informationen

Hausbootverleih z. B. Nautilus Hausbootcharter, Boote mit modernem Design und Komfort. In Berlin und Brandenburg führerscheinfrei. Charterstationen sind Berlin-Köpenick und Grünheide am Werlsee. Nautino mini (bis vier Personen): Woche ab 900 Euro, Wochenende ab 500 Euro. Nautino maxi (bis sechs Personen): Woche ab 1100 Euro, Wochenende ab 650 Euro, Preise zzgl. Nebenkosten wie Kaution, Endreinigung, Treibstoff. www. nautilus-hausbootcharter.de

Marina Lanke, Hausboot für bis zu sechs Personen, je nach Saison ab 1973 Euro/Woche, Wochen-ende ab 1223 Euro, Preise inklusive aller Nebenkosten, ohne Führer-schein zu fahren, www.marina-lanke.de

Luxus-Hausboot Käthe, mit Führerschein, bis fünf Personen, ab 1500 Euro pro Woche je nach Saison, Preis plus Nebenkosten, www.mobile-hausboote.de

Pénichettes Classique für drei bis fünf Personen, ab 910 Euro/Woche je nach Saison, ohne Nebenkosten, www.locaboat.com

Hausboot für Gruppen und Events, www.hauptstadtfloss.de

Infos www.dahme-seen.de; www.seenland-oderspree.de.

(Die Reise wurde unterstützt von der Nautilus Hausbootcharter.)