Hamburg. Eiskalt von der Bora erwischt oder doch heiße Luft aus der Sahara? Am Mittelmeer gibt es viele verschiedene Winde. Ein Überblick.

Wenn die Bora, ein eiskalter Wind aus dem Norden, die Adriainsel Pag heimsucht, bleibt kein Auge trocken. Die Skipper der Motor- und Segelyachten in den Buchten an der Ostküste wissen, dass sie so schnell wie möglich an die dem Wind abgewandte Westseite flüchten müssen. Von der Vegetation an der Ostküste der beliebten Insel zwischen Rijeka und Zadar ist längst so gut wie nichts übrig geblieben, von der Bora abrasiert, die es im Winter auf weit höhere Windgeschwindigkeiten schafft als je vor Kap Hoorn gemessen wurden.

Ein anderer Fallwind, ein paar Hundert Kilometer weiter westlich, hat es zuletzt während der Fußball-EM in Südfrankreich in die Schlagzeilen auch außerhalb der Sportseiten geschafft: Weil der Mistral besonders heftig das Rhonetal hinunter bis nach Marseille fegte, blieb die Fanmeile am Prado-Strand geschlossen; 80.000 Zuschauer wurden für die Übertragung in geschlossene Räumen umdirigiert. Wie die Bora ist auch der Mistral ein kalter stürmischer Wind aus dem Norden.

Ganz anders der Meltemi. Griechenland-Urlauber freuen sich, wenn dieser für die Ägäis typische Sommerwind die Hitze kühlt. Er steht für blauen Himmel und klare Sicht. Zwar kann auch der Meltemi, vor allem über Nacht, Stärken bis sieben auf der Beaufortskala erreichen. Dann schaukeln selbst große Fähren, und in den Meerengen zwischen den Kykladeninseln stehen auch erfahrene Segler einigen Herausforderungen gegenüber.

Zwischen Gibraltar im Westen und der Levante-Küste im Osten, zwischen Südeuropa und Nordafrika müssen sich Einhei­mische wie Touristen, Bauern wie Camper, Freizeitskipper wie Kapitäne großer Frachter den Wind um die Nase wehen lassen, wie er kommt: so beständige Schönwetterlüftchen mit Überraschungspotenzial wie der Meltemi, so kalte wie die Bora, so heiße wie der Scirocco aus der Sahara.

Kontinentale Luftmassen, die über die Gebirge ans Meer drängen, sind für die vielschichtigen Windsysteme verantwortlich. Sie haben viele Namen und sind seit der Antike bekannt. Eine Übersicht der zehn wichtigsten mediter­ranen Windsysteme:

Die Bora (in Kroatien Bura, in Istrien Kvarnero)

Sehr kalter, oft stürmischer Fallwind im nördlichen Adriabereich. Tritt meistens plötzlich auf, vorwiegend im Winter, nicht selten aber auch im frühen Frühjahr. Die Bora kündigt sich nicht durch charakteristische Wolken an, wohl aber manchmal durch eine Staubwalze kurz vor Einsetzen eines heftigen Sturms.

Der Cers

So heißt der Mistral in Katalonien und in Teilen der Provence. Er ist meistens trocken, im Winter kalt, im Sommer warm. Die Böen erreichen oft Windstärke 10. Der Himmel ist fast immer klar und die Luft relativ trocken. Ein ähnlicher nördlicher Wind wird in Spanien auch Cierzo genannt. Kündigt sich gern mit schönen roten Sonnenuntergängen am Abend vorher an.

Der Chamsin

Auch Khamsin oder Ghibli genannt: ein gefürchteter, glutheißer Wind an der östlichen Mittelmeerküste, im März und April besonders ausgeprägt in Ägypten und Israel. Der Name bedeutet „fünfzig“ und meint, dass dieser Sturm nicht selten 50 Tage und länger das küstennahe Land mit Wüstensand und Staub so traktiert, dass die Sonne kaum zu sehen ist. Er stört zuweilen den Flugverkehr und macht die Menschen schlapp oder leicht erregbar.

Der Meltemi

Der Name aus dem Türkischen – „sanfter Wind“ – hat sich auch in Griechenland durchgesetzt. Dort war dieses sympathische Windsystem im Altertum als Etesiai bekannt – „jährliche Winde“. Sie beginnen im Frühsommer als Prodromi, sozusagen das Vorprogramm, dem kurz darauf der eigentliche Meltemi folgt, ein angenehmer Hitze-Cooler.

Der Mistral

Seine Einflugschneise ist vor allem das Rhonetal, durch das er auf den Golf von Lyon braust: böig, stürmisch, kalt, oft über Tage anhaltend. Saison hat der Mistral im Winter und im frühen Frühjahr. Manchmal gibt er auch Gastspiele im Frühsommer.

Der Scirocco

Wird als warmer, trockener und stau­biger Wüstenwind in der Sahara geboren, nimmt aber über dem Mittelmeer viel Feuchtigkeit auf und kommt oft in Südeuropa als regnerischer, nebliger, feuchtwarmer Wind an, vorwiegend im späten Frühjahr und im Herbst. In Spanien und auf Malta wird dieser unbeliebte Wind Leveche genannt.

Der Levante

So heißt in Spanien ein angenehm warmer Ost- oder Nordostwind, der durch das Frühjahr und den Sommer über warme Luft verströmt und selten stärkere Geschwindigkeiten als 4 oder 5 auf der Beaufortskala erreicht. Surfer und Kiter an der Costa de la Luz lieben ihn.

Der Libeccio

Ein Südwestwind, bekannt vor allem in Italien, wo er im Sommer und im Herbst häufig von Gewittern begleitet wird. In Kroatien und Südfrankreich wird der Wind ­Garbin, in Griechenland Garbis genannt.

Der Poniente

Das kühle Gegenstück zum Levante. An der Südküste Spaniens und in Nord­marokko außerhalb des Winters wird er als leichter, nicht unangenehmer Westwind geschätzt, an der spanischen Ostküste verbreitet er dagegen im Sommer zuweilen eher heiße Luft.

Die Tramontana

Ein kalter Nord- oder Nordostwind, der nach Süden weht. Urlauber in Italien, Kroatien, Südfrankreich und Nordspanien kennen ihn und freuen sich. Oft fegt er im Frühjahr und im Herbst zwei, drei Tage lang „über die Berge“, das bedeutet sein Name. Wie alle Fallwinde ist er böig und launisch, mal kurz und in leichter Form, mal heftig und andauernd. Immer aber ist die Tramontana, anders als etwa die Bora, trocken. Mit ihrem Abklingen ist Fernsicht und blauer Himmel garantiert.