Fort-de-France. Ökotouren sollen auch das Bewusstsein der Touristen schärfen. Denn Martinique bietet Tradition und Natur, die es zu bewahren gilt.

Links, rechts. Immer schön das Paddel im Takt ins Wasser tauchen. Unter dem transparenten Kajak wiegt sich das Wassergras. Der Wind bläst und trägt die Richtungsanweisungen von Gérald Cagnet davon. Einige Hundert Meter entfernt türmt sich eine Brandung auf. Dahin? Guide Gérald Cagnet fährt mit dem Motorboot voraus, wir hinterher wie kleine Küken der Mutter. Hinweg über dunkle Korallen, weißen Sand und kleine Krebse. Die Brandung sah gefährlicher aus, als sie ist. Durchs Wasser zu pflügen und alles da unten durch den transparenten Rumpf zu sehen, erzeugt Nähe zum Meer und seinen Bewohnern.

Genau das ist es, was Fleur d’O mit den Ökotouren an der Baie des Mulets im Südosten der Insel Martinique bezweckt. „Wir wollen aufklären“, sagt Gérald Cagnet. Wer das Paradies kennt, der schützt es. Erster Stopp auf dem offenen Meer. Das türkisblaue Wasser platscht gegen die Boote. „Was habt ihr gesehen?“ „Was fällt euch an der Vegetation auf den Felsen auf?“ Mit solchen Fragen schärft Gérald Cagnet das Bewusstsein für das Ökosystem. Der Fischer wünscht sich, dass Martinique wieder eine so reiche Fischvielfalt hat wie vor 20 Jahren. Allein der Seeigel sei durch Raubfischerei verdrängt worden. „Viele wissen die Natur nicht zu schätzen“, sagt Cagnet.

Produktionsweise macht Rum von Martinique einzigartig

Wir haben uns im Frage-Antwort-Spiel offenbar gut geschlagen und werden belohnt: mit einem Picknick aus Hähnchenspießen, Fischfingerfood und selbst gemachter Knoblauchcreme von Géralds Mutter auf der kleinen Insel Trou Cochon. Als Aperitif: Planteur aus Rum, Sirup und Saft. Was in Frankreich der Wein ist, ist in Martinique der Rum. Eine Spezialität: der Ti-Punch (vom französischen petit punch, kleiner Punsch, abgeleitet) aus Rum, Zucker und Limone. Die Einheimischen trinken den Rum morgens, mittags, abends – wann immer es passt. Sie sparen auch nicht mit Superlativen. Einzigartig sei er, der beste der Welt. Besonders schön formuliert es Guide Laurent Brival: „Es schadet der Gesundheit, den Rum nicht zu trinken.“

Zeit für einen Besuch der Destillerie Depaz in der Nähe der Küstenstadt St. Pierre im Nordosten der Insel. Die Dampfmaschine schnauft. Ein schwerer süßlicher Geruch liegt in der Luft. Was den Rum von Martinique so einzigartig macht, ist seine Produktionsweise. Die Inselbewohner produzieren den Rum Agricole aus frischem Zuckerrohrsaft. Alle anderen Destillerien stellen aus dem Saft zunächst Zucker her und aus der Melasse den Rum. Es gibt zwei Sorten des Rum Agricole. Rhum blanc (weißer Rum) und Rhum vieux (alter Rum), der mindestens drei Jahre in Eichenfässern reift. Depaz produziert drei Millionen Liter Rum pro Jahr. 70 Prozent gehen in den Export, der Großteil nach Frankreich. Es existieren noch sieben Destillerien auf Martinique. Kaum einer weiß besser, welcher Rum gut ist, als Guy Ferdinand. Der groß gewachsene, dunkelhäutige Mann mit den blonden Locken in Hotpants und Fußballstutzen betreibt das Le Petibonum, ein Beach-Restaurant mit Bar und Loungeliegen am Strand von Carbet, einem der Hotspots der Insel.

Mangroven gelten als Ökosystem zwischen Wasser und Land

Während die Sonne langsam verschwindet und den Himmel in goldgelbes Licht taucht, führt Guy Ferdinand ins Einmaleins der Rumverkostung ein: kleine Kreise mit dem Glas ziehen, den Geruch einatmen, viel später nippen, den Rum im Gaumen wandern lassen, schlucken. Der Rest aus dem Glas landet im Strandsand. Das Siegel Appellation d’Origine Contrôlée (AOC) für einzigartigen Rum, vergleichbar mit dem für erlesenste Weine, hält, was es verspricht. Wie Guy Ferdinand Nuss, Petersilie oder Traube herausschnüffelt, bleibt für manche jedoch ein Geheimnis.

Martinique steht meistens für weißen Strand und Rum. Doch die Insel ist mehr und hat mehr. Zum Beispiel das 388 Hektar große Naturschutzgebiet der Halbinsel Caravelle. Die Sportschuhe schnüren, und los geht’s auf eine zweistündige Wanderung durch das Natur­reservat bis zur Baie du Trésor (Schatzbucht). Die Tour startet an den Ruinen von Schloss Dubuc, einer ehemaligen Zuckerrohrplantage aus dem 18. Jahrhundert. Der Weg führt in den Trockenwald. Seltene Tiere wie das Weiß­kehlchen und die Karettschildkröte wohnen auf der Insel. Auf der Tour passieren wir ausgetrocknete Seen, aus denen abgestorbene Baumstämme ihre verstümmelten Äste in den Himmel recken. „Der Salzgehalt ist so hoch, dass viele Pflanzen nicht überleben können“, sagt Pascal Vatblé. Für die Mangroven hingegen ist das Salz kein Problem. Links und rechts des Stegs erhebt sich ein Dschungel aus Luftwurzeln der Mangroven. Sie sind Brutstätte für Fische und Krebse. Sobald man sich nähert, verschwinden die Krabben blitzschnell in kleinen Erdlöchern.

Holzgebäude charakteristisch für Martinique

Mangroven, ein Ökosystem zwischen Wasser und Land, reagieren sensibel auf jede Veränderung. Darum passt Pascal Vatblé vom Naturreservat auf wie ein Schießhund. Zwar dürfen Besucher in den Badebuchten schwimmen, doch als Vatblé einen Mann entdeckt, der unter Wasser im Schlamm wühlt, stellt er ihn zur Rede. „Die Bucht darf nicht versanden“, sagt Vatblé. Der Mann vom Naturpark stammt vom Volk der Kariben ab. Damit zählt er zu den wenigen drei Prozent der indischen Bevölkerung von Martinique.

Insgesamt hat die Insel 400.000 Einwohner. Die meisten leben in der Hauptstadt Fort-de-France, mit fast 100.000 Einwohnern eine der größten Städte der kleinen Antillen. Gebäude in Holzkonstruktion sind charakteristisch für das Bild der Stadt, die an New Orleans erinnert. Fort-de-France lebt vom französisch-karibischen Lebensstil und weist mit der Bibliothèque Schœlcher, dem Rathaus und der Kathedrale Denkmäler aus der französischen Kolonialzeit auf. Ein dunkles Kapitel in Martiniques Geschichte. In dieser Zeit wurden viele Sklaven auf die Insel verschleppt. Daher ist ein Großteil der Bevölkerung afrikanischer Herkunft. Das Mémorial Cap 110 in Anse Caffard erinnert an die Opfer des letzten Sklavenschiffes von Martinique, die auf tragische Art und Weise ums Leben: Sie waren am Rumpf des zerschellten Schiffes angekettet.

Nach dem Verbot der Sklaverei 1848 verkauften die Großgrundbesitzer schwer zugängliche Felder an die Sklaven. Sie waren nur über kleine Pfade zu erreichen und konnten nicht mit Maschinen bearbeitet werden. Dort entwickelten die Menschen Lasoté. Eine landwirtschaftliche Tradition Martiniques, die seit wenigen Jahren auf den Hängen von Fonds-Saint-Denis wieder aufkeimt. Dank Annick Jubenot, Direktorin des Verbands Lasoté.

Felder in Hanglagen werden traditionell mit der Hand gepflügt

Die Frau mit Strohhut, in grünem Shirt und Jeans schleppt einen Kanister den Hang in Fonds-Saint-Denis hinauf und befüllt einen Riesentopf auf einer Feuerstelle mit Wasser. Erste Vorbereitungen für das spätere Festmahl. Der Boden qualmt. Es riecht nach verbranntem Holz, altes Wurzelwerk, das später als Asche unter die Erde kommt und als Dünger dient. Das Feld füllt sich mit Menschen, die den Hang geschäftig rauf- und runtergehen. Langsam ordnet sich die Menschen­traube. An einem Ende positionieren sich Arbeiter in Gummistiefeln. Basecap, Tuch oder Strohhut auf dem Kopf und Hacke in der Hand. Am anderen Ende stellen sich drei Musiker auf. Die Instrumente: ein Bambusrohr, eine Trommel, eine Muschel. Im Takt zum Trommelschlag rammen die Arbeiter ihre Hacken in die Erde. Den linken Fuß nach vorn und federnd in den Knien. So durchpflügen sie schrittweise das Feld. Erdbrocken fliegen ihnen ins Gesicht. Macht nichts. Immer weiter. „Die Musik hilft den Leuten, über sich hinauszuwachsen“, erläutert Annick Jubenot.

So schaffen es die Arbeiter, ein zwei Hektar großes Feld in zwei Stunden zu durchpflügen. Diese Technik war bis 1960 sehr verbreitet. Doch dann setzte die Landflucht ein, so dass die Tradition fast ausgestorben wäre. Um das zu verhindern, gründete Annick Jubenot 2008 den Verband Lasoté, dessen Kern die solidarische Arbeitsweise ist. Wenn das Pflügen anstand, wandten sich die Bauern an Nachbarn und Freunde, und gemeinsam verrichteten sie im Takt zur Musik die Feldarbeit. So ist es auch heute. Annick Jubenot zeigt auf einen Jugendlichen mit Käppi. „Morgen gehen wir zu ihm“, sagt sie. Die Woche darauf helfen sie seinem Nachbarn. Sie stehen füreinander ein. Für die Insel. Für ihren Garten Eden.

Tipps & Informationen

Anreise z. B. mit Air France über Paris. Ab 6. November fliegt Condor erstmals jeden Sonntag nonstop von Frankfurt nach Martinique.

Unterkunft z. B. Hôtel Le Bambou, La Suite Villa in Trois Îlets, bietet 132 Zimmer in unterschiedlichen Kategorien. Doppelzimmer ab 120 Euro. www. hotelbambou.fr; Hotel La Pagerie, Pointe Du Bout, Les Trois-Îlets, DZ/F ca. 126 Euro, www.hotel-lapagerie.com

Exkursionen Tour mit transparenten Kajaks mit Fleur d’O , www.fleurdo.com; Auskunft zu Besuchen der traditionellen Bodenbearbeitung Lasoté über www.martinique.org.bwil

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch das Comité Martiniquais du
Tourisme und Atout France.)