Madison. 80 Jahre nach Veröffentlichung des Klassikers „Vom Winde verweht“ zieht Madison in Georgia Touristen noch mit Südstaatenromantik an.

Das Gerücht hält sich hartnäckig: Madison sei einfach zu schön gewesen, um zerstört zu werden – selbst für General Sherman. Unter seiner Führung hinterließen die Yankees im amerikanischen Bürgerkrieg eine Spur der Verwüstung. Nur Madison, mit 4400 Einwohnern irgendwo im Nirgendwo zwischen Atlanta und Savannah, wurde von den Truppen verschont – und ist deshalb noch heute als holz- und steingewordene Südstaatenromantik Pilgerziel für „Windies“ aus aller Welt.

Nur wenige Filme und Bücher haben einen solchen Status erlangen können, dass ihre Fans eine eigene Bezeichnung haben. Doch „Win­dies“ – analog zu den „Trekkies“ – gibt es auf der ganzen Welt: im Iran und im Libanon, in ­Japan und China, in Italien und Deutschland. Schließlich wurde Margaret Mitchells Bestseller „Vom Winde verweht“ in über 40 Sprachen übersetzt. Und bis heute, 80 Jahre nach der Erstveröffentlichung, hat der Klassiker nichts von seiner Faszination eingebüßt. „Es geht ums Überleben, das ist das Erfolgsgeheimnis“, sagt die Autorin selbst. Hin und wieder sieht man sie noch in Atlanta, wie sie mit Hut und Handschuhen die Peachtree Street herunterspaziert. 1949 wurde Mitchell hier von einem Auto angefahren und tödlich verletzt. Doch Atlanta lässt die verstorbene Schriftstellerin im Rahmen einer „Movie Tour“, die zu den Schauplätzen ihres Lebens führt, gerne durch ein Double wieder auferstehen.

Madison besitzt nichts dergleichen.Glanz und Gloria aus dem alten Europa wurden kopiert

Die „Schönste Kleinstadt Amerikas“ liegt am 160 Kilometer langen Ante­bellum Trail, mit prächtigen Villen aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg, zwischen den Orten Athens und Macon. Vielleicht hatte Margaret Mitchell hier die Idee, dass Scarlett sich ein Kleid aus Gardinen schneidern soll – die Einrichtung des ehrwürdigen Boxwood Hauses legt das nahe. Vielleicht aber auch nicht. Denn das „Vom Winde verweht“, das alle suchen, die Nostalgiker und Romantiker, die Leseratten und Kinofans, das liegt genau hier, inmitten der endlosen Weiten Georgias. Kopiert wurde alles, was im alten Europa für Glanz und Glorie stand: Pompöse Häuser mit griechischen Säulen, gotischen Ornamenten und viktorianischen Geländern stehen auf riesigen Grundstücken, deren Zufahrten von Pekannussbäumen flankiert sind. Flaggen säumen die Straßen. 1860, ein Jahr vor dem Bürgerkrieg, flanierten hier noch 3000 Gentlemen und Ladies, während 7000 Sklaven in ihren Stadthäusern schufteten.

Diese Gesellschaftsordnung ist ein wichtiger Teil der Südstaatenromantik, wie sie noch heute von Reisebüros verkauft wird. „,Vom Winde verweht‘ hat die Wahrnehmung des Südens für immer verändert“, sagt Jessica Van Landuyt vom Atlanta History Center. „Margaret Mitchell fängt in ihrem Roman die Per­spektive ihrer Familie ein, von Menschen, deren Herzen nach dem Verlust ihrer Lebensart gebrochen sind – nicht die der vier Millionen Schwarzen, für die das Kriegsende Freiheit bedeutete.“ Bis heute hält die Rassismuskritik an dem Werk, für das Mitchell ­sogar mit einem Pulitzer-Preis geehrt wurde, an. Unterwürfige, naiv-glückliche Sklaven auf der einen Seite, der Ku-Klux-Klan zur heroischen Verteidigung der weißen Ladies auf der anderen.

Obwohl „‚Vom Winde verweht‘ ein Buch über Georgia und die Menschen ist“, wie Mitchell stets betonte, gibt es in dem Bundesstaat keine echten Drehorte. Als Scarlett O’Hara vor den Yankees aus dem brennenden Atlanta flieht, steht in Wahrheit eine King-Kong-Kulisse in Flammen. Selbst ihr geliebtes „Tara“, die Plantage ihrer Eltern, ist nur eine nachgebaute Hollywood-Variante. Wohl deswegen wird in Georgia jedes noch so kleine „Vom Winde verweht“-Überbleibsel bewahrt – drei Museen, die im Umkreis von 30 Meilen dem Klassiker und seiner Schöpferin gewidmet sind, sind Touristenmagnete.

Zur Filmpremiere 1939 säumten Tausende Menschen die Straßen von Atlanta

Margaret Mitchell, 1900 in Atlanta geboren, wuchs mit den Geschichten der Kriegsveteranen in einer von Rassentrennung beherrschten Gesellschaft auf. Davon erzählt das Margaret Mitchell House in Atlanta – die „Müllhalde“ wie die Autorin selbst sagte, in der sie wohnte, schrieb und stapelweise Manuskriptseiten versteckte. Noch als junge Studentin weigerte Mitchell sich an einer Vorlesung teilzunehmen, in der eine schwarze Kommilitonin saß. „Sie war eine kleine Rebellin, die nicht den sozialen Erwartungen entsprach – ganz wie ihre Romanheldin Scarlett“, sagt Mitchell-Expertin Van Landuyt. Und nach ihrem Erfolg – das Buch hatte sich innerhalb der ersten sechs Monate eine Million Mal verkauft, der Film gilt bis heute als kommerziell erfolgreichster Streifen der Kinogeschichte – nutzte Mitchell ihr Vermögen, um Bildung und Gesundheitsversorgung der schwarzen Bevölkerung zu verbessern.

Zur Filmpremiere 1939 säumten Tausende Menschen die Straßen von Atlanta, als die Stars vom glamourösen Georgian Terrace Hotel zu Fuß zum Loew’s Theatre gingen, der Gouverneur erklärte den Tag zum offiziellen Feiertag. Doch Hattie McDaniel, die als erste schwarze Schauspielerin für ihre Rolle als Hausmädchen Mammy sogar einen Oscar bekam, durfte damals an der Filmvorführung nicht teilnehmen. Auch das „Gone with the Wind Museum“ in Marietta mit seiner millionenschweren Privatsammlung von Erstausgaben, Originalkleidern und Szenenentwürfen aus dem Film thematisiert solche Episoden. Ebenso wie das „Road to Tara Museum“ in Jonesboro, Heimat der wahren O’Hara-Plantage – auch wenn das Vorbild, das Farmhaus ihrer Urgroßeltern, längst nicht mehr steht.

Erst 20 Jahre später begann Atlanta sein Image zu verändern: Den Slogan „The city too busy to hate“ („Die Stadt, die zu beschäftigt ist, um zu hassen“) verbreitete man in den 60er-Jahren, eine Dekade nachdem Atlanta mit Martin Luther King Jr. zu einem bedeutenden Zentrum der Bürgerrechtsbewegung geworden war. Heute ist die Hauptstadt und einzige Metropole des Bundesstaates Georgia ein kosmopolitisches Geschäftszentrum: Coca Cola und der Nachrichtensender CNN haben hier ihren Sitz, das Jimmy Carter Center wirbt für Demokratie in der Welt. Selbst auf dem weitläufigen Oakland Cemetery, der mit kunstvollen Denkmälern und konservierter amerikanischer Geschichte als eine Art Freilichtmuseum gilt, liegt Margaret Mitchell zwischen Konföderierten und Sklaven begraben.

Hier weht noch der alte Südstaatenwind

Durch Madison dagegen scheint immer noch der alte Südstaatenwind zu wehen. Gentlemen stoppen ihre Trucks für Ladies, die ohne Eile die Straße überqueren. Abends trifft man sich in alter Picknicktradition mit Liegestühlen im Kleinstadt-Open-Air-Kino, der Museumsführer ist natürlich Missionarssohn, vor dem kleinen Seniorenwohnheim fächeln sich betagte Damen Luft zu, für einen kleinen Plausch ist immer Zeit. Und die legendäre Gastfreundschaft der Südstaatler lebt in den prächtigen Herrenhäusern fort, die teils als historisch möblierte Bed-and-Breakfast-Unterkünfte dienen. Ein Viertel der Touristen kommt aus Übersee. Einige Gäste des Georgian Terrace Hotels in Atlanta behaupten, der Geist von Clark Gable gehe noch heute in Zimmer 221 um, wo der Schauspieler zur Filmpremiere gewohnt hat. „Die Fanbasis scheint sich einfach ständig zu erneuern“, bemerkt Connie Sutherland, die als Leiterin des Museums in Marietta auch zum 80. Geburtstag des Buchs noch gut besuchte Events organisiert – zuletzt mit Daniel Selznick, dem Sohn des „Vom Winde verweht“-Produzenten David O. Selznick. Selbst Vivian Leigh, die einst Scarlett O’Hara verkörperte, sei bei einer Jubiläumsvorführung 100 Jahre nach dem Beginn des Bürgerkriegs so aufgeregt gewesen, als hätte sie den Film zum ersten Mal gesehen: „Sie umklammerte meinen Arm und wisperte nur: Oh Clark, du siehst so jung aus.“

Tipps & Information

Anreise z. B. mit KLM über Amsterdam nach Atlanta.

Übernachten: z. B. The Georgian Terrace in Atlanta, thegeorgianterrace.com; Brady Inn in Madison, bradyinn.com

Auskunft Museen und historische Gebäude visitmadisonga.com; historicaljonesboro.org; atlanta.com; marietta.com; margaretmitchellhouse.com; Movie Tour: atlantamovietours.com ; exploregeorgia.org

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung von Georgia Tourism.)