Santiago de Compostela. Mit dem luxuriösen Zug Transcantábrico geht es auf eine abwechslungsreiche Reise durch die Geschichte und Gastronomie Nordspaniens.

Santiago de Compostela macht ihrem Ruf, die regenreichste Stadt Spaniens zu sein, an diesem Tag keine Ehre. Als Pilgerscharen mit lauten Gesängen ihr ersehntes Wallfahrtsziel auf dem Praza do Obradoiro vor der Kathedrale erreichen, reckt das prächtige Gotteshaus seine Zwillingstürme erhaben in einen wolkenlosen Himmel. Vis-á-vis steht seit 500 Jahren das Parador Nacional Reyes Católicos. Das frühere Hospital ist heute eines der ältesten Hotels der Welt und Treffpunkt für die Zugtouristen. Im stilvollen Gewölbekeller wartet auf rund 50 Passagiere aus Europa, Südamerika, Russland und Australien ein Vier-Gänge-Menü. Der kulinarische Auftakt ist vielversprechender Vorgeschmack auf eine abwechslungsreiche Reise durch die Geschichte und Gastronomie Nordspaniens im Luxuszug Transcantábrico. Während Reiseleiterin Anna die Suiten einteilt, ist das Gepäck unterwegs zum Bahnhof in Ferrol. Ein Bus für tägliche Ausflüge ins Hinterland wird den Zug auf der fünftägigen Tour durch Galizien, Asturien und Kantabrien begleiten und fährt die Gruppe nach einem letzten Glas Rioja zum Bahnsteig.

Ein Glöckchen bimmelt die Passagiere aus dem Schlaf

Das graue schmucklose Betonambiente der tristen Bahnstation will so gar nicht zu dem 250 Meter langen spanischen Schmuckstück auf Schienen passen. Zwischen Tristesse und Noblesse liegt nur eine Wagenstufe. Neun creme-weiß-blaue Waggons mit eleganten Salon-, Restaurant- und Schlafwagen geben Reisenden das Gefühl, ein rollendes Nostalgiehotel zu betreten. Im Salon füllen Kellner die Sektgläser. Plüschige Vorhänge, dicke Teppiche und Art-déco-Leuchten vermitteln einen Hauch von anno dazumal. „Salud“, ruft Anna, wirbelt von Gast zu Gast und wirbt für das Abendprogramm im Tanzwagen.

Ruckelnd setzt sich der Zug in Bewegung. Vor den Fenstern ziehen Galiciens weitläufige Eukalyptuswälder, sattgrüne mit Ginster und Raps betupfte Wiesen, zauberhafte Buchten und Flusslandschaften vorbei. Den meisten Gästen entgeht allerdings diese erste Sinfonie in Grün, sie suchen ihre Zimmer. Die Schultern zur Seite gewendet, tapsen sie suchend durch die schmalen Gänge der Waggons. „Wagen 5, Suite Nr. 20?“ Aha, hier! Die holzgetäfelten Abteile passen sich den Maßen einer Schmalspurbahn an. Die Einrichtung auf sechs Quadratmetern besteht aus einem Schlafraum mit Kleiderschrank, Gepäckplatz, Telefon, Safe, einer Minibar, Klima- sowie Musikanlage und einem separaten Badezimmer mit Massagedusche und Dampfdüsen. Mit nur 1,20 Meter breiten Betten hat sich der Zug auch den Namen „Love Train“ verdient. Vor allem bei älteren Paaren hält sich die Begeisterung über die ein­geschränkte Bewegungsfreiheit jedoch in Grenzen.

Ein Glöckchen bimmelt am nächsten Morgen die Passagiere aus dem Schlaf. Klin-ge-linge-ling: Das heißt übersetzt „Buenos dias“, raus aus den Federn. Wäre ein Weckruf mit spanischer Gitarre nicht origineller? „No, no, Señor“, sagt ein Crewmitglied in schmucker blauer Uniform. Hier im keltisch geprägten Norden, wo Gläubige auf Pilgerpfaden und zu Kirchen unterwegs sind, sei das Signal mit der „Campanilla“ doch viel angebrachter. Stimmt. Mit aufgehender Sonne und bei einem opulent bestückten Frühstücksbuffet im Speisewagen zuckelt der Zug von seinem Nachtquartier auf einem Abstellgleis zurück in die Erlebnisspur.

Ein Spaziergang auf dem Kathedralenstrand ist nur bei Ebbe möglich

Gegen Mittag erreicht der Hotel­express an Galiciens Grenze zu Asturien den Küstenort Ribadeo. „Eine Kino­kulisse an Europas spektakulärstem Strand“, verspricht Anna. Wirklich? In charmant gebrochenem Deutsch bekräftigt die quirlige Enddreißigerin mit einem trillernden „jei, jei, ja“ den Superlativ, lässt die Passagiere in den wartenden Bus steigen und mahnt zur Eile.

Nicht ohne Grund. Zehn Kilometer weiter erheben sich auf feinem weißen Sand bizarr ausgehöhlte Felsformationen wie Strebebögen einer gotischen Kathedrale. Ein Spaziergang zwischen den Kolossen auf dem 400 Meter langen „Kathedralenstrand“ ist aber nur bei Ebbe möglich. Rauscht die Flut heran, ist Land unter, und die bis zu 30 Meter hohen von Brandung und Wind geschichteten Sandsteinriesen gehen auf Tauchstation. Im Sommer spazierten zuletzt bis zu 20.000 Menschen pro Tag zwischen den Naturmonumenten, traten dabei aber auch Fauna und Flora mit Füßen. Das veranlasste die Regierung, den Touristenströmen eine Obergrenze zu verpassen. Zwischen Juli und September ist der Zugang von der steilen Felswand hinab zum Strand nur noch mit Tickets für 4800 Besucher erlaubt.

Auf der Fahrt bis Avilés blinzelt die Sonne in den Salonwagen mit Bar und Bibliothek. Selten schneller als mit 50 Kilometern pro Stunde kurvt der Zug vorbei an stillen Dörfern sowie durch Buchen- und Eschenwälder, in denen sogar noch Braunbären leben. Auf dem Tisch stehen Snacks, Obst und Schaumwein – entspannter kann Eisenbahnfahren nicht sein. Genießen können Passagiere die Kreuzfahrt seit 1984. Damals stellte die Ferrocarriles Españoles de Vía Estrecha (FEVE) den Touristenzug mit zunächst bescheidenem Komfort, ab 2001 mit Luxusambiente auf die schmalen Gleise. Heute gönnen sich jedes Jahr rund 2000 betuchte Passagiere das Vergnügen auf Schienen.

Den Ort Avilés ließen Reisende bisher allerdings links liegen. Dem strukturschwachen Städtchen mit seinen Industriebrachen und scheußlichen Hochhausbezirken haftet ein Imageproblem an, das Oscar Niemeyer im hohen Alter von 99 Jahren lösen sollte. Auf einer künstlichen Insel zwischen Industrieschrott und Altstadt ließ der brasilianische Stararchitekt 2011 ein Kulturufo landen. Von der futuristischen kurvigen Architektur des Kulturzentrums erhofften sich die Stadtväter einen Bilbao-Guggenheim-Effekt. Der lässt aber immer noch auf sich warten. Allzu provinzielle Konzerte und Ausstellungen sowie das Fehlen von Weltstars machen das blendend weiße extravagante Architekturensemble zur beliebigen Spielwiese und letztendlich doch grauen Kulturmaus. Mehr Flair verspricht die Altstadt, in der ein Rosado oder Sidra auf einem der arkadengesäumten Plätze am besten schmeckt.

Ein kantabrischer Fischeintopf macht Appetit auf mehr

Zu Hause ist der Apfelwein Sidra unter den Picos de Europa, wo sich Asturien von seiner wilden schroffen Seite zeigt. Auf Serpentinen schraubt sich der Bus hinauf in das verkarstete Kalkstein­massiv. Über 2000 Meter hoch ragen in dem Nationalpark die Gipfel Europas in das Reich der Nebel. Zwischen einsamen Bergdörfern grasen Kühe und Schafe. Tobender Wind pfeift den Ausflüglern entgegen, als sie am tiefblauen Lago de la Ercina den Hügel zu einer Alphütte emporsteigen, in deren Regalen ein Dutzend grüner Flaschen mit Apfelwein stehen.

Im Zugrestaurant bereiten kreative Hände das Dinner vor. Caldeirada, ein kantabrischer Fischeintopf, wird als erster Gang und Vorgeschmack auf die mediterrane Küche in Kantabrien serviert. Anna zeigt aus dem Fenster. Auf der Strecke bei Llanes zwängt sich El Transcántabrico zwischen harschen Gebirgsklippen hindurch Richtung Santander. Bevor die ersten Passagiere in dem Seebad mit eleganten Promenaden, mondänen Belle-Époque-Bauten und weiten Stränden den Zug vor seiner Weiterfahrt über Bilbao bis León verlassen, steigen sie hinab in einen millimetergenauen Nachbau der 20.000 Jahre alten Altamira-Höhle. Die 1879 von einem Jäger entdeckten Tiermalereien adelten Kunsthistoriker mit dem Titel „Sixtinische Kapelle vorgeschichtlicher Kunst“.

Das nur wenige Minuten entfernte Santillana del Mar liegt weder am Meer (el Mar), noch ist es flach (llana). Für Jean Paul Sartre war das hügelige Bilderbuchdörfchen mit seinen stattlichen Herrenhäusern dennoch kein Ort im Irgendwo. Er feierte das mittelalterliche Gesamtkunstwerk als „das schönste Dorf Spaniens“.

Tipps & Information

Pauschalreise Die achttägige Bahn­reise von Santiago de Compostela bis León kostet bei Ameropa 3150 Euro (www. ameropa.de). Der Zug verkehrt in zwei Richtungen in diesem Jahr noch bis zum 22. Oktober.

Info www.transcantabrico.feve.es; www.spain.info.de

(Die Reise des Autoren wurde unterstützt von Ameropa.)