Jaén. Jungbauern der andalusischen Provinz Jaén gehen neue Wege. Sie wollen mit dem Öl der grünen und schwarzen Früchte Touristen anlocken

Das Flugzeug durchbricht die Wolken, am Boden sind endlos grüne Felder zu erkennen. Langsam formieren sie sich zu akkurat gepflanzten Baumreihen, die Ebenen und Berghänge übersäen. Als wäre ein riesiger Kamm durch die Landschaft gefahren. Tierra peinada, sagt man in Andalusien, gekämmtes Land. Im geometrischen Teppich scheint hier ein Dorf auf, dort eine Straße. Sonst sieht man Grün, Olivgrün, Olivenbäume bis zum Horizont, wo sich die geschwungene Mágina-Bergkette erhebt.

Von oben offenbart sich das Ausmaß einer Leidenschaft, der sich ein ganzer Landstrich hingibt: dem Olivenöl. Ohne den trüb-grünen Extrakt ist das Leben ohne Wonne, haben Dichter schon gedichtet. Auf ihm fußen im Mittelmeerraum die Küchentraditionen ganzer Länder, auch die spanische. Seit Menschengedenken gehört es zum Leben wie das tägliche Brot. Nur musste man nie darüber reden. Das ist jetzt anders.

Denn ein frischer Wind weht durch das gekämmte Land. Eine Generation querköpfiger Jungbauern bürstet gegen die Tradition. Sie haben die Ölkultur der Väter umgekrempelt. Nicht mehr die reife Olive soll zu Öl werden, sondern die unreife. Aus Schwarz mach Grün lautet die Devise – sie gehen diesen Weg mit stoischer Unbeirrbarkeit.

In der Region Jaén kommen auf jeden Einwohner 1000 Ölbäume

Die Renaissance-Paläste und Kirchen von Jaén, den Unesco-Perlen Baeza und Úbeda sind unter Kulturreisenden lange bekannt. Jetzt will sich die Provinz als Ziel für Genussmenschen profilieren. Unter dem Namen Oleotour Jaén haben sich Ölmühlen, Restaurants, Gutshöfe, Museen und Geschäfte zusammengeschlossen, um Besuchern das Universum der Olive bekannt zu machen. Sie können Ölmühlen besuchen, auf dem Oliven-Wanderweg Vía Verde del Aceite 55 Kilometer laufen oder radeln, in Spas wie dem Balneario San Andrés in Canena kann man in Olivenöl baden.

Überhaupt scheint die Provinz im Öl nur so zu schwimmen. Nirgendwo in Spanien wird mehr gepresst als hier – rund eine halbe Million Tonnen pro Jahr. Das ist etwa die Hälfte der spa­nischen und ein Fünftel der weltweiten Produktion. In der Tiefebene des Guadalquivir-Flusses wachsen gut 66 Millionen Exemplare der knorrigen Kulturpflanze. Kornfelder sind fast vollständig verschwunden. Längst besitzt die ­Region mehr Ölbäume als Einwohner: Auf jeden einzelnen kommen 1000. Die Stadt Jaén hat sich zur „Welthauptstadt des Olivenöls“ ausgerufen.

In ihrem Umfeld glänzen überall silbrige Olivenblätter in der Sonne. Die Arme der Bäume winden sich wie Tentakel um drei, vier Stämme, die sich vor Langem verknoteten, aufbrachen und wieder ausschlagen – ein römisches Importgut, einige von biblischem Alter wie sie in traditionellen Hainen stehen, die noch nicht so sauber „gekämmt“ sind wie Neupflanzungen, weil bis vor Kurzem per Hand geerntet wurde.

Ab Ende Oktober werden Oliven gepflückt und gepresst

Die Plantage gehört zur Almazara Soler Romero, der Ölmühle bei Alcaudete. „Wir sind wenige, werden aber immer mehr“, sagt Júlio Diaz, einer der jungen Wilden. Im Betrieb ist er für Qualität zuständig und spricht gern über den Bewusstseinswandel. „Früher hieß es: je später die Ernte, desto mehr Öl“, sagt der 36-Jährige auf dem Hof inmitten von 100.000 Olivenbäumen der Sorte Picual, die als die beste gilt. Soler Romero produziert Olivenöl in der sechsten Generation, inzwischen mit Bio-Zertifikat.

Lag die Ernte früher zwischen Dezember und April, wird bei Diaz ab Ende Oktober gepflückt und gepresst. Das Resultat sei eine Qualitätsrevolution wie vor ein paar Jahren beim Wein, so Diaz. Acker und Keller wurden mit modernsten Technologien wie Kaltpressen und Edelstahltanks aufgerüstet. „Die meisten Bauern verstehen uns nicht; sie setzen noch auf Quantität“, sagt Diaz. Drei Kilo im März geerntete Oliven bringen ihnen einen Liter Olivenöl. Diaz benötigt dagegen für einen Liter sieben Kilo grüne Früchte.

Nach der Ernte beginnt für die Olive das Leiden

Wer will, kann auf der Plantage bei der Ernte mitmachen. Dann donnert ein wendiger gelber Panzer auf zwei Traktorreifen wie aus einem Fantasyfilm mit geöffneten Greifarmen unter die Olivenbäume, packt den Stamm und erzeugt für Sekunden erdbebenähnliche Stöße. Eine Wolke aus Feinstaub quillt heraus, in der die bebrillten Erntehelfer mit Stöcken aufs Geäst einschlagen – eine Tätigkeit, die von der traditionellen Arbeit übrig geblieben ist.

Solange die Olive am Baum hängt, ist die Welt in Ordnung. „Sobald sie geerntet ist, fängt sie an zu leiden“, erklärt Diaz. Dann beginnt der Wettlauf mit der Zeit. Licht, Wärme und Oxidation sind Gift für feine Aromen. Weiter nördlich in der Ebene von Villanueva de la Reina liegt das Landgut Oro Bailén. Tradition sei wichtig, sagt José Galvez González in seiner Ölmühle. Deshalb mache er Olivenöl – aber natürlich aus grünen Oliven.

Den Familienbetrieb hat er auf feinste native Öle umgestellt. Ihn interessiert nur die Frage, was er verbessern kann. Galvez ist ein Mann mit feinem Humor und idealistischem Ernst. Sein Stolz ist leise, wenn er sagt: „Es gibt noch viel zu tun.“ Denn seine nativen Olivenöle rangieren bei renommierten internationalen Verkostungen schon lange weit oben, und Spitzenöle aus Spanien werden bereits mit denen des Branchenprimus Italien verglichen.

In den Restaurants gibt es zur Vorspeise bis zu sechs Ölsorten

Wer noch mehr über Oliven und ihren Saft wissen will, fährt nach Mengíbar nördlich der Stadt Jaén. Dort wurde vor zwei Jahren Terra Oleum eröffnet, ein supermodernes, interaktives Museum, eine Art Science Center, das Fragen von der Pflanzung bis zum Pressvorgang über die Ökologie zum Welthandel beantwortet. Man erfährt, dass weltweit 262 Olivensorten iden­tifiziert sind, dass rund 2000 nicht-identifizierte existieren und dass es in Jaén fünf geschützte Herkunfts­bezeichnungen gibt. Im Verkostungsraum können Interessierte an einer Geschmacksschulung teilnehmen.

Professionelle Verkoster wie Fran Rodrigues lehren, fruchtige, bittere, ­pikante und milde Öle zu unterscheiden. Rodriguez führt die Hobby-Sommeliers in die Welt der Sinne, erst die Nase, in der Aromen wie Bananenschale oder frisch geschnittenes Gras auszumachen sind, im Gaumen Minze, Mandel oder Birne. Auch Fehlnoten sind feststellbar, etwa Gurke, Stroh oder womöglich Lampenöl, das gefürchtete ranzige „lampante“.

Sechs Ölsorten stehen zur Vorspeise auf dem Tisch

Die größten kulinarischen Über­raschungen erlebt man in den Restaurants. Denn in Jaén sind viele Chefköche vom kultigen Ölvirus befallen. Sie experimentieren mit unterschied­lichen Sorten, entwerfen neue Kreationen, sogar Desserts, und denken sich Öl-Degustationsmenüs mit mehreren Gängen aus. Wie im Casa Antonio. ­Inhaber Antonio del Moral Fernández verfolgt seit Langem das Motto der „glücklichen Küche“ – regional, langsam gereift, handwerklich perfekt.

Zur Vorspeise stehen manchmal sechs verschiedene Ölsorten auf dem Tisch. Die Gäste tunken frisches Brot in die ­grünen Flüssigkeiten, die die Sinne sensibilisieren. Zufrieden schaut Moral den Gästen zu. „Guter Geschmack ist so einfach“, sagt er und faltet die Hände über seinem Bauch: „Von allem stets nur das Beste.“

Tipps und Infos

Anreise: z. B. mit British Airways über London oder mit Iberia über Madrid nach Granada. Weiter mit dem Mietwagen nach Jaén.

Übernachten: z. B. im Parador Jaén, DZ ab 160 Euro, www.parador.es;
Santa Beatriz de Silva in Mengibar - Jaén, DZ/F ab 70 Euro,
www.hotelsantabeatrizdesilva.com

Ölmühlen: Oro Bailén, Ctra. Plomeros, Villanueva de la Reina, www.orobailen.com; Soler Romero, N-432, Alcaudete, www.soler-romero.com;
Castillo de Canena, Remedios 4, www.castillodecanena.com

Via Verde del Aceite: Der 55 Kilometer lange Radwanderweg auf einer stillgelegten Eisenbahnstrecke von Jaén bis Alcaudete führt durch Olivenhaine und über Viadukte, www.viasverdes.com

Museum: www.terraoleum.es

Auskunft: www.spain.info,
www.oleotourjaen.es

(Die Reise wurde unterstützt vom Fremdenverkehrsamt Spanien.)