Peking. Mit der 6300 Kilometer langen Mauer und der Terrakotta-Armee hat China zwei Attraktionen, die jegliche Vorstellungskraft sprengen.

Wir könnten jetzt den Berg raufkraxeln – es sind nur 1000 Stufen und dauert 45 Minuten“, sagt der freundliche Herr Cai grinsend. „Oder wir nehmen die Seilbahn, das wird entspannter.“ Gesagt, getan. Dass seine Gäste obendrein just jene Gondel erwischen, in der Präsidentengattin Michele Obama sanft nach oben schwebte, sieht der Reiseleiter als gutes Omen. Und selbst das Wetter spielt mit: Die Sonne lacht, der Himmel strahlt blau, die Bergluft ist frisch – all das im smoggeplagten China keineswegs selbstverständlich.

Schon beim kurzen Aufstieg jedenfalls wächst der Respekt rapide, als sich rechter Hand der erste Abschnitt der Großen Mauer fotogen ins Blickfeld schiebt. Wie um alles in der Welt hat man seinerzeit diese irren Massen an Material hier heraufbekommen – ohne Treppen, durch dichten Wald, bei Gluthitze im Sommer, bei klirrender Kälte im Winter? „Und das hier ist ja nur ein klitzekleiner Klacks“, bemerkt Herr Cai, „wir reden über ein Bauwerk von sage und schreibe 10.000 Li Länge, das sind 5000 Kilometer“. Luftlinie wohlgemerkt, denn die „Lange Mauer“, wie die Chinesen sie nennen, folgt akkurat dem Landschaftsprofil und ist damit sogar 6300 Kilometer lang.

Die Mauer wurde unter den Ming-Kaisern zum Schutz vor Mongolen ausgebaut

Die ersten Teile von Chinas antibarbarischem Schutzwall entstanden vor über 2000 Jahren. Doch so, wie man die großartig restaurierten Abschnitte in Badaling und Mutianyu heute besichtigen kann, sieht die Große Mauer erst seit ungefähr 500 Jahren aus – unter den Ming-Kaisern wurde sie zum Schutz vor Mongolen und ­Nomaden zum Bollwerk gen Norden ausgebaut. Wie ein steinerner Lindwurm windet sich der Wall seither über Bergrücken, Pässe und Gipfel und passt sich perfekt dem Gelände an. Die Mauer ist zwischen drei und acht Meter hoch, an der Basis sechs bis sieben Meter breit, an der Krone vier bis sechs. Die Außenseiten sind gemauert, innen ist sie mit Erde aufgefüllt und allerlei ­anderem Material. Einschließlich ­vieler Toter – immerhin schufteten beim Bau der Anlage Hunderttausende zwangsverpflichtete Bauern, Straf­gefangene und Soldaten bis zum bitteren Ende.

Markant auch die zwölf Meter hohen Wach- und Vorratsspeichertürme, die in Sichtabständen gebaut wurden. Denn in erster Linie diente die Mauer der Kommunikation. Von Turm zu Turm wurden durch Rauchzeichen, Signalfeuer und Flaggen Botschaften übermittelt, und Soldaten konnten zu Pferd auf der Krone sehr viel schneller zur bedrohten Stelle gelangen als der Gegner im unwegsamen Gelände.

Ein paar Stunden hat man im Normalfall Zeit, dieses Weltwunder in all seinen Facetten auf sich wirken zu lassen. Seine eleganten Bögen und sanften Schwünge zu bestaunen und ihnen zum Beispiel hier in Mutianyu auf 14 Kilo­meter Länge zu folgen. Kein ganz ein­facher Spaziergang, denn das ständige Auf und Ab strapaziert Haxen und Waden enorm, und manches Steilstück wird ­sogar zum echten Härtetest. Doch jeder Meter ist es wert: An allen Ecken und Enden gibt es fabelhafte Panoramen und fantastische Blicke auf den Hauptdarsteller, der sich optisch manchmal zum Kreis verdreht, zum Knoten schlingt, zum Knäuel verdichtet – der helle Wahnsinn! Als Herr Cai ganz zum Schluss den Irrglauben ausräumt, man könne die Große Schlange sogar vom Mond sehen, juckt das folglich niemanden die Bohne – das nahe Erlebnis ist das wahre Wunder und durch absolut nichts zu ersetzen.

700.000 Zwangsarbeiter mussten das Mausoleum anlegen

Das zweite epochale Mysterium dieser Reise liegt gut 1000 Kilometer von Peking entfernt. In Xi’an führt die reizende Frau Chiang deutsche Gäste in die 2200 Jahre alte Welt – oder besser Unterwelt – des gleichermaßen genialen wie größenwahnsinnigen ersten Kaisers Qin Shihuangdi. Ließ dieser doch von mehr als 700.000 Zwangsarbeitern ein Monumentalmausoleum anlegen, das von 7278 lebensgroßen Krieger- und Pferdefiguren aus Ton bewacht wurde. Diese Terrakotta-Armee – 1974 bei Brunnenbohrarbeiten entdeckt – ist eine von Chinas größten Sensationen.

Schon in der ersten gigantischen Halle steht man einigermaßen fassungslos vor einem Teil dieser einzigartigen militärischen Formation. Zu sehen sind etwa 1000 Krieger, die – angeführt von 204 Bogenschützen – in elf von dicken Wänden getrennten Korridoren dicht bei dicht in Schlachtordnung stehen. Und das Ganze so frappierend lebensecht, dass man meint, es genüge ein Wink mit dem imaginären Zauberstab, um Kommandos erschallen, Pferde wiehern, Pfeile sirren und Soldaten abmarschieren zu lassen.

Keine zwei Terrakotta-Soldaten mit dem gleichen Gesicht

Alle Krieger haben individuelle Züge, auch Nasen, Ohren, Haare und Bärte unterscheiden sich. Ein Eindruck, den Frau Chiang bestätigt: „Bis heute haben wir in der Tat keine zwei Figuren mit dem gleichen Gesicht gefunden.“ Abgesehen von diesem finalen Feinschliff entstand die Tonkriegerarmee in einer Art Fließbandverfahren. So sind Basisplatten und Unterschenkel stets aus massivem Ton geformt, die Uniform entstand aus Tonwülsten und -platten. Die Arme wurden separat hergestellt, acht verschiedene Menschen- und alle Pferdeköpfe in Hohlformen produziert.

Schließlich brannte man die Figuren, malte sie in leuchtenden Farben an und verpasste ihnen Speere, Schwerter, Bögen und Armbrüste. Davon ist nichts mehr zu sehen – verrottet sind die hölzernen Waffen, und auch alles ursprüngliche Weiß, Schwarz, Rot, Grün, Blau, Violett, Gelb oder Braun verblasste erschreckend schnell, als die Krieger nach mehr als zwei Jahrtausenden Grabesmuff mit Licht und Luft in Kontakt kamen. Ein Verfahren zum Schutz des Farbüberzugs wurde erst 2004 ent­wickelt – unter maßgeblicher Beteiligung bayerischer Experten übrigens.

Bis heute ist gerade mal ein Viertel der Anlage freigelegt. Des Kaisers Grabhügel blieb bislang unangetastet, in dessen Innerem der Legende nach Tausende Perlen und Edelsteine den Sternenhimmel symbolisieren und alle Seen und Flüsse Chinas aus Queck­silber nachgebildet sein sollen. Aber selbst, wenn dort eines Tages neue Funde ans Tageslicht träten – die Welterbe- und Weltklassearmee der Tonkrieger wird wohl durch nichts zu schlagen sein.

Tipps & Informationen

Anreise: z.B. mit Lufthansa und Air China über Frankfurt oder mit Emirates über Dubai nach Peking; zur Einreise ist ein Visum zwingend erforderlich, das vorab besorgt werden muss (bei
Gruppenreisen läuft das über den Veranstalter).

Übernachtungen: In Peking zum Beispiel im Qianmen Jinguo Hotel, DZ/F ab 104 Euro; in Xi’an z.B. im Grand New World Hotel, DZ ab 55 Euro

Pauschal: z.B. Acht-Tage-Privatreise „Impressionen im Reich der Mitte“ gibt es bei Gebeco ab 1750 Euro.

Beste Reisezeit: Spätes Frühjahr (Mai/Juni) und Herbst (Sept./ Okt.).

Währung: Die chinesische Währung nennt sich Renmimbi und wird in Yuan gezählt (1 Euro = aktuell 7 Yuan).

Auskunft: www.china-reiseinfos.com

Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Gebeco.