Luang Prabang. Aroun kam als Flüchtlingskind nach Deutschland. Heute bringt sie als Reiseleiterin Touristen den Zauber ihrer Heimat Laos ganz nah.

Fast das ganze Dorf ist gekommen. Die Bewohner von Ban Donekang sitzen auf dem Fußboden der überdachten Veranda, als wir eintreffen. Zu Hause bei Aroun. Sie ist unsere Reiseleiterin und hat zur Basi eingeladen. Eine spirituelle Zeremonie, die in Laos häufig prak­tiziert wird. Bei einer Geburt, einer Hochzeit, oder wenn jemand seine Heimat verlässt. Heute gilt die Basi uns. Wir sind auf der Reise, und da könnte es passieren, dass uns einige Schutzgeister verloren gehen. Das soll die Basi verhindern.

Erst mal hinsetzen, zu den Dorf­bewohnern. In unserer Mitte steht ein silbernes Tablett, darauf türmt sich ein Gesteck aus Blumen und Bananenblättern. Es ist gespickt mit dünnen Stäbchen, daran hängen weiße Baumwoll­fäden. Rundum verstreut liegen Kekse, Nudeln und ein totes Huhn. „Jetzt berührt alle das Tablett“, sagt Aroun, „damit wir miteinander verbunden sind.“

Baumwollfäden am Handgelenk halten die Geister zusammen

Der Dorfälteste verfällt in leises Murmeln. Er ruft unsere Geister herbei. Jeder Mensch, so glaubt man hier, besitzt 32 Schutzgeister. Das Problem ist, sie schweifen gerne umher, statt zusammen zu bleiben. Eine alte, sehr dünne Frau erhebt sich. Sie nimmt ein paar der Baumwollfäden in ihre zittrigen Hände und beginnt uns diese ums Handgelenk zu binden. Es ist dunkel geworden. Das Konzert der Grillen schwillt an, vermischt mit Gequake. Unterhalb der Veranda liegen zwei Teiche, sie gehören zu Arouns Reich: Ein zwei Hektar großer wilder Tropengarten nahe der Stadt Luang Prabang mit zwei kleinen Häusern. Wir sind inzwischen gut mit Baumwollfäden versorgt. Die Bändchen werden die Schutzgeister an uns binden. Nach der Zeremonie beginnt das Mahl, grüne Bananenblätter dienen als Tischdecke. Reis wird gereicht, dazu gebra­tenes Gemüse.

Spät am Abend fahren wir zurück nach Luang Prabang. Die alte Königsstadt, seit 20 Jahren Unesco-Welterbe, liegt auf einer Halbinsel am Zusam­menfluss von Nam Khan und Mekong. Einst war sie Mittelpunkt des mächtigen Lan-Xang-Reiches, das bis in den ­Norden Thailands reichte. Der Charme der nur 30.000 Einwohner ­zählenden Stadt liegt ­heute in der ­Mischung: ­Königspalast und goldglänzende Tempelbauten, buddhistisches Leben in mehr als 30 Tempeln und Klöstern, ­dazu alte Häuser aus der französischen Kolonialzeit sowie ein großer Nachtmarkt. Es sind erst wenige Touristen die Laos entdecken, fast alle reisen nach Luang Prabang.

Auf dem Fahrrad zeigt uns Aroun am nächsten Tag die Stadt. Luang Prabang hat eine überschaubare ­Größe, und die Tuk-Tuks, die vielen ­Mopeds, ein paar wenige Autos, alle pflegen einen sanften, zurückhaltenden Fahrstil. Trotzdem mahnt uns Aroun mit einem Lächeln auf den Lippen: „Liebe Gäste, fahrt vorsichtig!“ Kaum gesagt, tritt sie kräftig in die Pedale – und weg ist sie.

Lichterfest Boun Ok Phansa heißt das Ende der Regenzeit

Geduld ist Arouns Sache nicht. Sie ist eine zier­liche Person, steckt voller Energie. Wir eilen hinterher. Rauch zieht uns in die Nasen, er steigt überall von den kleinen Garküchen am Straßenrand auf. Aroun radelt flott vorneweg, das lange dunkle Haar hat sie unter einen rot leuchtenden Fahrradhelm gepackt. Sie ist ein Kölner Mädchen mit laotischen Wurzeln, ihre Geschichte ist die eines Flüchtlingskindes: Gerade mal zwei ­Jahre alt war Aroun, die eigentlich Arounothay heißt, als ihre Eltern Ende der 70er-Jahre aus Laos flohen.

Nachdem die Kommunisten an die Macht gekommen waren, hatten für die Familie unruhige Zeiten begonnen – weil der Großvater im Dienste des letzten laotischen Königs stand. So durfte Arouns Vater nicht als Lehrer arbeiten, die Familie wurde schikaniert, entschied sich zur Flucht. Über ein Lager in Thailand kam Aroun nach Deutschland. Jetzt ist sie 40 Jahre alt.

Wir erreichen den Tempel Wat Xieng Thong, erbaut von König Settha­thirat im 16. Jahrhundert. Es ist der älteste Tempel Luang Prabangs. In einer Ecke des großen Geländes steht ein schmales Boot aus Bambus. Es ist umhüllt von rot-blau-gestreiften Stoffbahnen, die Farben der Nationalflagge. Kerzen stehen hintereinander aufgereiht. Bald werden sie entzündet, das Boot zum ­Leben erweckt. Für das Lichterfest Boun Ok Phansa. Im ganzen Land wird das Ende der Regenzeit gefeiert, die Rückkehr des Lichts, und für die buddhistischen Mönche endet damit eine drei Monate dauernde Rückzugsphase.

Die Bootsprozession ist der Höhepunkt des Festes

Unter Ficus-Bäumen basteln junge Mönche gerade die letzten Papiersterne, während andere auf Leitern klettern, um Lampions an Bambusstangen zu befestigen. An den Booten werden bunte Fähnchen angebracht. Später, bei Einbruch der Dunkelheit, beginnt der Zauber: Wir ziehen von Tempel zu Tempel, tauchen ein in das Lichtermeer aus Hunderten von Sternen, Laternen und Papierdrachen. Aroun begleitet uns. Seit 2012 lebt sie wieder in Laos, auch ihre Mutter ist zurück. In Deutschland hat Aroun Betriebswirtschaft studiert, sie ist Englischkorrespondentin und Fotografin. Warum die Rückkehr nach Laos, nach all den Jahren Deutschland? „Die Sehnsucht nach Spiritualität hat mich geführt“, antwortet Aroun. „Re­ligion, Mystik und Spiritualität sind in Laos zu Hause – und ich trage all dies auch in mir.“

Leider verpassen wir tags darauf den Höhepunkt des Festes, die Bootsprozession. Wir müssen weiter. Nach Norden, zum Nam-Ou-Fluss. An seinen Ufern hält sich der Nebel. Nur zögerlich gibt er die Landschaft frei: steil aufra­gende Karstfelsen mit tropischen Wald. Der Norden von Laos ist wild und schön, doch mancherorts ­klaffen hässliche Löcher im grünen Dschungelteppich. Kahlschlag wird ­betrieben für Teakholz, Kautschuk oder Reis, die laotische Regierung vergibt ­billige Landrechte etwa an vietname­sische Kautschukkonzerne. Die Plan­tagen bedrohen nicht nur die Natur, Kleinbauern werden vertrieben, und die Regierung versucht, einige Bergvölker umzusiedeln.

Schiffchen aus Bananenblättern tragen Wünsche über den Fluss

Für das Symboltier von Laos sieht es nicht gut aus: Lan Xang, wie Laos früher hieß – Land der Mil­lionen Elefanten. Das war einmal. Heute existieren nur noch drei- bis vierhundert wild lebende Tiere, sie sind die Verlierer im Kampf um Lebensraum. Dickhäuter bekommt man fast nur noch in Gefangenschaft zu Gesicht, oft werden sie als Reittiere für Touristen missbraucht.

Gegen Abend erreichen wir unser Ziel, Nong Khiao am Nam Ou-Fluss. Die Silhouette der Berge schimmert geheimnisvoll bläulich, Menschen ver­sammeln sich am Flussufer. Zum Lichterfest haben sie kleine runde Schiffchen aus Bananenblättern geformt, sie mit lila- und orangefarbenen Blüten geschmückt, mit Kerzen bestückt. Begleitet von Gesängen werden die Schiffchen behutsam aufs Wasser gesetzt. Dann sehen wir die Lichter auf den Wellen tanzend in Richtung Mekong treiben. Zu den heiligen Höhlen von Pak Ou. Sie sind die Heimat der Flussgeister sowie Hunderter Buddha­figuren. Auch Aroun hat ein Schiffchen auf die Reise geschickt, dazu ihren Wunsch: „Ein kleines Gästehaus zu eröffnen, das ist mein Traum!“

Am nächsten Tag führt sie uns zu Tham Phatok, einer der Höhlen, in der die Menschen während des Vietnamkrieges Schutz vor dem Bombenhagel der Amerikaner suchten. In der Nähe verlief der legendäre Ho-Chi-Minh-Pfad, die Nachschubroute des Vietcong. Aroun zeigt uns einen Krater: „Nirgendwo sonst fielen so viele Bomben wie auf Laos!“, sagt sie entrüstet, und das sanfte Lächeln verschwindet aus ihrem Gesicht. Aroun hat sich mit diesem wenig bekannten Kapitel des Vietnamkrieges beschäftigt und einen kurzen Film über das Schicksal eines jungen Mannes, ein Landminenopfer, gedreht. „Siegreiche Kämpferin“ bedeutet das Tattoo, das Aroun auf ihrer Schulter trägt. Klingt wie ein Lebensmotto.

Tipps & Informationen

Anreise: Thai Airways fliegt von Frankfurt über Bangkok nach Luang Prabang oder Vientiane.

Pauschal: „One World - Reisen mit Sinnen“ bietet Gruppen- und Individualreisen an. www.reisenmitsinnen.de

Auskunft: www.tourismlaos.org