In diesen Tagen beginnt in Myanmar eine neue politische Ära. Wer kann, sollte die Schönheit des Landes jetzt entdecken

Frauen auf dem Weg zum Markt, die Wangen bestrichen mit heller Thanakapaste zum Schutz gegen Sonne – und der traditionellen Mode folgend. Arbeiter, die schon morgens rote ­Betelnüsse kauen. Kleine Gruppen kahlköpfiger Mönche, die forschen Schrittes Richtung Mahagandayone-Kloster eilen. Dazwischen ein paar Urlauber auf der Suche nach dem besten Fotomotiv zum Sonnenaufgang. Und unten im Wasser die Fischer, die mit freiem Oberkörper ihre Netze in Stellung bringen.

Noch vor einer halben Stunde lag tiefe Dunkelheit über der längsten Teakholzkonstruktion der Welt. Doch jetzt, kurz nach Tagesanbruch, zeigt sich, wie viel Betrieb auf und an der 1,2 Kilometer langen, zwischen mehr als 1000 Stützpfählen gezimmerten ­U-Bein-Brücke am Taungthaman-See schon um diese frühe Uhrzeit herrscht. 1850 erbaut und in Teilen längst etwas morsch und wacklig, ist die Holz­brücke nach wie vor eine wichtige Verbindung für die lokale Bevölkerung. Und beileibe nicht das einzige erstaunliche Relikt, das uns auf dieser Reise in ein noch immer ein Stück weit aus der Zeit gefallenes Land begegnet.

Ashin Kelasa ist 49 Jahre alt, schon mehr als die Hälfte davon lebt er als Mönch dem weltlichen Leben entrückt. Dennoch weiß natürlich auch der ehemalige Mathematikstudent sehr genau, welche Stunde in Myanmar – das viele noch als Burma kennen – geschlagen hat. Erst als 2011 die jahrzehntelang mit harter Hand herrschende Militärregierung Teile ihrer Macht abgab und ein Demokratisierungs­prozess begann, der im Wahlsieg der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi im vergangenen November gipfelte, herrscht Aufbruchstimmung am Ayeyarwady (früher: Irrawaddy), politisch wie wirtschaftlich. In diesen Tagen soll nun endgültig der Machtwechsel hin zu den einstigen Regimegegnern erfolgen.

In Ballons geht es über Pagoden der alten Königsstadt Bagan

Kelasa hatte uns gegen 5.30 Uhr schon kurz begrüßt – da waren wir noch Zaungäste des morgendlichen Frühstücksrituals. Wie an jedem Tag dampfte der Reis in großen Kesseln, genug für die rund 1000 Mönche und Novizen des Klosters. Kaum ertönte ein Gong, stellten sich die in weinrote Kutten gehüllten Jungen und Männer in Zweierreihen auf, um – völlig wortlos – ihre Schüsseln füllen zu lassen und dann im Speisesaal wieder zu leeren. Das Essen war wie immer gespendet, diesmal von einer Familie aus dem nahen Mandalay, die deshalb auch bei der Ausgabe half. Dieses Prozedere, das sich um 10.30 Uhr noch einmal wiederholt, dann allerdings unter den Augen zu vieler Touristen, ist eine gut orga­nisierte Variante jener Bettelprozes­sionen, mit denen buddhistische Mönche sonst durch viele Orte oder über Märkte ziehen. Denn nur was sie geschenkt bekommen, dürfen sie verspeisen, eigenes Vermögen haben sie nicht. Später, bei einer kleinen Fragestunde, versucht der Gelehrte, den Gästen aus Deutschland die buddhistischen Grundtugenden etwas näherzubringen. Wir hocken auf Knien oder im Schneidersitz auf dem Boden vor dem Mönch und achten darauf, die nackten Füße weder in seine noch in Buddhas Richtung zu halten, denn das wäre eine ungeheure Respektlosigkeit.

Morgens im Mahagandayone-Kloster
Morgens im Mahagandayone-Kloster © Georg J. Schulz | Georg J. Schulz

Morgens im Mahagandayone-Kloster
Morgens im Mahagandayone-Kloster © Georg J. Schulz | Georg J. Schulz

Zwar sind wir schon einige Tage im Land und haben bereits eine Reihe von Heiligtümern besucht, wirklich durchdringen konnten bislang aber nur die wenigsten von uns, was diese Religion ausmacht und was Myanmar in diesem Punkt von anderen asiatischen Ländern unterscheidet. Doch spätestens am Ende der Reise, nach einem sprachlos machenden Abend an der Swedagon-Pagode in Yangon (Rangun), hat wohl auch der Letzte verstanden: In Burma huldigte man bis zum 11. Jahrhundert „Nats“ genannten Geistern (an die mancher heute noch glaubt), seitdem ist der Buddhismus Staats­religion. Heute werden vier Buddhas verehrt, ein fünfter und letzter namens Metteyya wird noch erwartet. Damit grenzt sich die hier vorherrschende Theravada-Lehre vom Mahayana-Buddhismus Chinas und Koreas ab, der weitaus mehr Buddhas kennt.

Die alte Königsstadt Bagan, drei­einhalb Autostunden südlich von Mandalay gelegen, ist einer der eindrucksvollsten Orte Myanmars, selbst wenn man sich nicht so sehr für religiöse Feinheiten interessieren sollte. Denn hier stehen auf gerade mal 36 Quadratkilometern Steppe mehr als 2000 Sakralbauten, manche noch gut erhalten oder etwas ungelenk restauriert, die meisten jedoch schon ziemlich verfallen. Die früheren Herrscher, so heißt es, haben ihre Stadt dereinst dem ­buddhistischen Bild des Kosmos folgend in neun Abschnitte geteilt, im Zentrum der Königspalast von Anawrahta und der Mahabodhi-Tempel.

Geblieben sind bis heute die Gebäude aus Stein, während sich die Behausungen der normalen Bevölkerung – sie bestanden aus Holz und Bambus – längst in alle Winde verstreut haben. Besucher, die sich mit Pferdekutschen oder Ochsenkarren durch die staub­trockene Landschaft chauffieren lassen, staunen nicht nur über die Menge an Pagoden, sondern lieben auch das warme Rot der Ziegel, das sich in voller Pracht erst kurz vor der Dämmerung zeigt. Dann allerdings wird es höchste Zeit, auf einen der großen, ­öffentlich zugänglichen Tempel zu klettern und der Sonne für die nächsten Stunden Lebewohl zu sagen.

Den Moment, wenn das Licht den neuen Tag erhellt, kann man dann alleine irgendwo genießen – oder sich mit einem guten Dutzend anderer auf wenigen Quadratmetern in luftiger Höhe teilen. Das ist zwar kein billiges Vergnügen, aber ein echtes Einmal-im-Leben-Erlebnis. Es beginnt schon mit dem Transfer, der in einem unbequemen, aber stilecht renovierten Uralt-Kleinbus der Marke Chevrolet erfolgt. Solche Busse prägten nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang das Straßenbild, sind nun aber fast überall von modernen, zweckmäßigeren Vehikeln aus Japan oder China abgelöst worden.

Ashin Kelasa im Mahagandayone-Kloster
Ashin Kelasa im Mahagandayone-Kloster © Georg J. Schulz | Georg J. Schulz

Nach 15 Minuten holpriger und ­zugiger Fahrt – es ist draußen noch ­immer stockdunkel und kühl – hält der Bus irgendwo am Rande des Ortes auf einem Feld. Dort stehen, nur schemenhaft im Schein von Taschenlampen zu erkennen, weitere Bus-Oldtimer, vor denen sich umgekippte Körbe mit Gasbrenner, Riesenventilatoren und jede Menge rotbraunes Tuch befinden. ­Etwa ein Dutzend Heißluftballone werden heute aufsteigen, die meisten sind von Balloons over Bagan, der am längsten hier ansässigen Firma, für die auch wir uns entschieden haben.

Mit dem Heißluftballon über Bagan
Mit dem Heißluftballon über Bagan © Georg J. Schulz | Georg J. Schulz

Nach einem Instantkaffee und einer kurzen Sicherheitseinweisung mit Schwerpunkt auf dem Verhalten beim Landen geht die Show der Gasbrenner auch schon los. Die bis eben lediglich durch die Riesenlüfter angeblasenen Ballone füllen sich nun stoßweise mit heißer Luft, wobei die Flammen im Morgengrauen die Hüllen so erleuchten, dass sie riesigen Lampions gleichen. Nur wenige Minuten später sind alle Mann an Bord. Vielen, die noch nie in einem Heißluftballonkorb standen, ist die Erleichterung darüber anzusehen, dass Flug- und Höhenangst kaum aufkommen wollen. Es hat etwas sehr Beruhigendes, von warmer Luft getragen mit dem Wind dem Sonnenaufgang entgegenzuschweben.

Eine knappe Stunde lang ziehen wir in wechselnden Höhen über die Pagoden von Bagan. Und erleben eine Szenerie, die es mehr als wert wäre, auch offiziell als Weltkulturerbe zu gelten – was bislang an Formalien scheiterte. Zum Schluss macht der Pilot noch ein Selfie mit einer an einem Seil hängenden Digitalkamera, dann geht es auch schon wieder runter. Alle müssen sich hinsetzen und gut festhalten, so wie es anfangs erklärt wurde. Kaum unten, springen wie aus dem Nichts vier, fünf kräftige junge Kerle von außen an den Korb und halten uns am Boden.

Dann dauert es nur wenige Minuten, bis uns auch ein paar Souvenir­verkäufer umringen, die am frühen Morgen auf zahlungskräftige Kunden hoffen. Dass die Erwartungen der Einheimischen zunehmen, an den Tou­risten ein paar Dollar oder ein paar Tausend Kyat – so heißt die hiesige Währung – zu verdienen, kann nachvollziehen, wer weiß, was für niedrige Löhne hier sonst gezahlt werden. Erst vor Kurzem wurde für Arbeiter in ­Fabriken ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt: 3600 Kyat, umgerechnet ­etwa 2,50 Euro am Tag. Damit liegt das buddhistische Land auf einem ähnlich kläglichen Niveau wie Bangladesch, mit dem Unterschied, dass es dort kaum Urlauber gibt.

Am Inle-See wohnt man in Pfahlhäusern
Am Inle-See wohnt man in Pfahlhäusern © Georg J. Schulz | Georg J. Schulz

Schwimmende Gärten und ganze Dörfer auf dem Inle-See

Auch Daw Min Mar, die am Inle-See lebt und arbeitet, verdient pro Tag nicht mehr als drei US-Dollar. Dafür muss die 55-Jährige täglich rund 700 Cheroot-Zigarren von Hand rollen. Hierbei handelt es sich nicht um normalen Tabak, sondern um ein Gewächs, das einem Haselnussstrauch ähnelt. Erst werden die hellgrünen Blätter im Ofen getrocknet und gepresst, später noch mit einigen Aromen wie Tamarinde oder Palmzucker versetzt. Die Endfertigung findet dann in einem Pfahlhaus statt, nicht selten unter den Augen fremder Besucher, die sich die vorindustrielle Lebens- und Arbeitsweise der Menschen anschauen wollen. Was wie ein Ausflug ins Freilichtmuseum wirkt, ist jedoch keine Folklore, sondern bis heute der Alltag am Inle-See: Mit teils jahrhunderte­alten Methoden werden dort auch Garne aus Lotuspflanzen gesponnen und Stoffe gewebt.

Die Produktionsmethoden im Land sind teilweise noch mittelalterlich
Die Produktionsmethoden im Land sind teilweise noch mittelalterlich © Georg J. Schulz | Georg J. Schulz

Textilfabrik am Inle-See
Textilfabrik am Inle-See © Georg J. Schulz | Georg J. Schulz

Ihr großes Konterfei auf einem Kalender hinter dem Tresen unterstreicht, dass auch die Menschen abseits der großen Städte viele Hoffnungen in die „Lady“ setzen, wie Aung San Suu Kyi oft genannt wird. Die Inle-Region lebt bereits gut mit und vom Tourismus und gilt neben Yangon, Bagan und Mandalay als eines der Hauptziele Myanmars, weil es hier mal nicht vorrangig um Pagoden, Tempel und Buddhafiguren geht, sondern um das Leben mit und auf dem Wasser.

Wer sich eine mühsame Anreise per Bus oder Auto sparen will, fliegt mit einer der inländischen Turboprop-Maschinen nach Heho. Von dort aus ist es nicht mehr weit bis nach Nyaungshwe, Ausgangspunkt der organisierten oder individuell gebuchten Touren mit dem Longboat. Laut knatternd und erstaunlich schnell schneiden diese schlanken, mit zwei bis vier Passagieren besetzten Boote durchs glatte Wasser. Über einen Stichkanal geht es auf den offenen See, wo bereits mehrere der berühmten Einbein-Fischer warten. Sie hoffen aber nicht auf den großen Fang, sondern auf Ausländer, die fürs Fotografieren bezahlen. Deshalb hatte unsere Reiseführerin schon vorher gesagt: „Am besten lässt man die Kamera noch unten. Echte Fischer sieht man später auch noch.“

An der Shwegadon-Pagode in Yangon
An der Shwegadon-Pagode in Yangon © Georg J. Schulz | Georg J. Schulz

Wer hätte gedacht, dass es auf dem See auch Bauern gibt? Sie hegen und pflegen schwimmende Gärten, wo auf Teppichen aus Wasserhyazinthen tatsächlich Gurken, Bohnen, Blumen und Tomaten gedeihen. Ernten kann man diese nur per Boot, verkauft wird das meiste dann auf einem der manchmal ebenfalls schwimmenden Märkte.
875 Meter über dem Meer gelegen und selbst an vielen Stellen nur wenige Meter tief, ist der Inle-See vor vielen Jahren zur neuen Heimat der Inthas („Kinder des Sees“) geworden. Etwa 70.000 von ihnen, einst vertrieben aus anderen Provinzen, leben heute in den Städten und Dörfern am Ufer oder über dem Wasser. Die meisten ihrer Stelzenhäuser sind aus Bambus und Holz gebaut, manche sogar mit kleinem Schweinestall. Wer kurz mal bei den Nachbarn reinschauen möchte, muss sich ein Kanu schnappen, nur selten gibt es gezimmerte Verbindungswege. Auch die Kinder in ihren grün-weißen Schuluniformen werden mit Booten zum Unterricht gebracht.

Was ihnen die neue Ära im Land wohl bringen wird? Das weiß heute niemand so genau. Aber das schöne, wundersame Land hinter den goldenen Pagoden, von dem schon so berühmte Schriftsteller wie George Orwell, Rudyard Kipling und W. Somerset Maugham schwärmten, wird sich stark verändern, und das wahrscheinlich sogar sehr schnell. Also vergessen wir nicht, was uns der Mönch im Kloster prophezeit hat: „Wer Burma in seiner Ursprünglichkeit kennenlernen will, der muss sich wirklich beeilen.“

Mehr Infos:

Anreise: z. B. ab Frankfurt mit Singapore Airlines und Silk Air via Singapur nach Yangon.

Rundreise: Wer Yangon, Bagan, Mandalay und den Inle-See besuchen will, kann das neuerdings auch in Kombination mit einer Asienkreuzfahrt buchen: Erst eine Woche Tui Cruises „Mein Schiff 1“ ab/bis Singapur (mit Malaysia, Thailand oder Vietnam), dann eine Woche Myanmar mit Gebeco: gesamt 17 Tage, ab 3095 Euro.

Buchtipps: „Burma“ von Dirk Bleyer und Jakob Strobel y Serra (Knesebeck Bildband). „Myanmar/Burma“ von Bernd Schiller (Picus Lesereisen).

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Gebeco, Tui Cruises und Singapore Airlines.)