Jedes Jahr im buddhistischen siebten Monat feiert die alte Königsstadt Kandy in Sri Lanka eine Reliquie ihrer Gottheit mit zehn Nächten Straßentanz.

Die Vorzeichen sind düster. Der Himmel ist wolkenlos, der Monsunregen seit Monaten spärlich. Die Zahl der Elefanten ist auch in diesem Jahr knapp. Ein Wunder müsste her. Doch das lässt auf sich warten.

Allmählich wird Pradeep Nilanga Dela Bandara nervös. Der Tempelvorsteher, Verwalter der Mysterien, zuständig für das Management der Wunder. Mit brütendem Blick schleicht er umher, Sorge ins babyspeckweiche Gesicht gefaltet.

Als vor zweieinhalb Jahrtausenden Buddha ins Nirwana überging, konnten "aus der Asche seines Scheiterhaufens vier Zähne gerettet werden", so die Legende. Einer davon: Dens caninus sinister superior, ein Eckzahn, oben links. Eine indische Nonne schmuggelte ihn im vierten Jahrhundert nach Sri Lanka, verborgen in ihrer Frisur.

Heute ruht Buddhas Eckzahn in der alten Königsstadt Kandy im Herzen Sri Lankas, im Tempel des Heiligen Zahns, in der innersten von sieben goldenen Kammern. Und jedes Jahr im Monat Esala, dem siebten Monat in Sri Lankas buddhistischem Kalender, der zwischen Juli und August fällt, zieht eine Prozession zu seinen Ehren durch die Straßen von Kandy, zwischen Neu- und Vollmond, zehn Nächte lang, jede glanzvoller als die vorherige. Zehntausende kommen aus dem ganzen Land, um die Esala Perahera zu feiern.

Das größte Schauspiel seiner Art in Asien. Feuer! Trommeln! Elefanten! Überflutung der Sinne!

Für Pradeep Nilanga Dela Bandara, den Verwalter des Zahntempels, ist die Esala Perahera das Paradestück. Ein Millionen-Rupien-Projekt. Monate kostet ihn die Vorbereitung. Jeden Tänzer prüft er persönlich, jeden Routenmeter legt er fest. Früher gehörte der Tempelverwalter zum königlichen Hofstaat, der im trockenen Norden saß, in Anuradhapura, und war zuständig dafür, dass zur richtigen Zeit Regen fiel im ganzen Reich und die Ernte gesichert war. Sein Titel, einst wie heute: Diyawadana Nilame, Hüter des Wassers.

Regen soll auch diese Esala Perahera bringen, möglichst viel. Wird das Ritual korrekt durchgeführt, ist es groß und glanzvoll und geregelt, dann bewirkt der Zahn Wunder, das ist sicher.

Pradeep Nilanga Dela Bandara ist ein Mann mit Verbindungen. Sein Vater ein Schulfreund des Staatspräsidenten, sein Bruder Diplomat. Ein Karrieremann, stets nur aufgestiegen, seit man ihn auf seinem buddhistischen College zum Schulsprecher ernannte. Ein Mann, der einen Ruf zu retten hat.

Als man ihn 2005 mit großer Mehrheit zum 19. Vorsteher des Zahntempels wählte, war Pradeep Nilanga kaum über 30 und der jüngste Amtsinhaber aller Zeiten in der 200-jährigen Tradition der Tempelverwalter, die zu Kolonialzeiten begann. Seitdem hat sein Ruf gelitten, ramponiert durch eine Sammlung an Vorwürfen. Vetternwirtschaft und Veruntreuung hat man ihm nachgesagt. Von einer Schwäche fürs Glücksspiel und für schnelle Autos wird geraunt, Stoßdämpfer und Türgriffe seines Sportwagens, Modell Mini John Cooper, habe er mit Tempelgold überziehen lassen, angeblich, und Firmen als Sponsoren für die Perahera gewonnen. Dabei ist es die ureigenste Aufgabe des Zahntempels, den Umzug zu finanzieren. "Bettelgelder!", schäumten die Zeitungen, "Welch Schamlosigkeit!".

Umso mehr muss die Perahera dieses Mal gelingen. Glanz sticht Schatten. Jeden Tag wird nun der Mond wachsen, jeden Tag der Umzug. In der zehnten und letzten Nacht der Feierlichkeiten, wenn das ganze Land auf Kandy schaut und der Präsident aus der Hauptstadt Colombo anreist, um aus seiner Residenz direkt an der Paradestrecke den Umzug zu inspizieren, wird der Tempel dutzendweise Elefanten aufbieten und Tänzer zu Tausenden.

Am Morgen vor der Nacht der Nächte liegt die Stadt im Fieber. Ganze Großfamilien haben sich im ersten Licht des Morgens an den Straßenecken entlang der Umzugsroute niedergelassen, Mütter mit Säuglingen im Arm, gebückte Greise, die Betelnüsse kauen.

Der Tag vor der letzten Nacht der Esala Perahera ist - wie jeder Vollmondtag - ein Feiertag in Sri Lanka, an dem die Händler keinen Alkohol verkaufen dürfen und die Fischer nicht fischen, weil alles Töten verboten ist. Den ganzen Tag über strömen die Gläubigen zum Tempel, entzünden Räucherstäbchen und breiten ihre Blütenopfer über die Altäre vor dem Schrein: Lotus und Wasserlilien, Frangipani und Jasmin.

Am Brunnen vor dem Tempeltor baden die Mahuts die Hauptdarsteller des Abends, sie duschen und schrubben borstiggraue Faltenhaut mit Kokosschalen. In einer Tempelhalle flicken zwischen schneeweißen Buddhastatuen Helfer den Paillettenschmuck der Prunkumhänge, die später die Elefanten zieren werden, prüfen jedes der Lämpchen auf seine Leuchtkraft und die Ladung der Autobatterien.

Der Rest ist Warten. Der Tempel beschallt die Gläubigen auf den Gehsteigen zum Zeitvertreib mit Volksliedern und Werbung und wabernden Gesängen in der heiligen Sprache Pali. Straßenhändler verkaufen Zuckerwatte, bunte Luftballons und blinkendes, quietschendes, klapperndes Plastikspielzeug.

Am Spätnachmittag kämpfen sich erste Touristen durch die belagerten Straßen zu ihren teuer bezahlten Balkon-Aussichtsplätzen im zweiten Stock von Ladengeschäften und Garküchen. Die Mönche leuchten orangefarben von einer eigenen Tribüne am Seeufer. Im Tempelgarten überprüfen herrische Sicherheitskräfte vor der Absperrung zu den Ehrenplätzen die VIP-Gäste auf ihren Sonderstatus. Das Filmteam, das die Liveübertragung auf sämtlichen Fernsehkanälen Sri Lankas sichert, segelt seinen Kamerawagen auf Testfahrt über eigens angelegte Schienen entlang der ersten Prozessionsmeter.

Am Tempeleingang hinter dem Wassergraben wird nun der Indi Raja, der Hauptelefant, in Gold und Samt gekleidet. Sechs Helfer hängen unter seinem Bauch und zurren den Ledergürtel fest, zwei sitzen auf seinem Rücken und sichern den Sattelsitz, auf dem der Reliquienschrein befestigt wird, der Mahut lehnt am linken Vorderbein. Von der Treppe schaut ein halbes Dutzend Veterinäre der Universität der Nachbarstadt Perideniya zu, ein jungdynamisches Team in himmelblauen Westen, auf denen "Tranquilizing Unit" steht, Betäubungseinheit.

Als sich draußen die Dunkelheit über die Straßen senkt, tritt im Innersten des Tempels Pradeep Nilanga Dela Bandara in vollem Kostüm in das gleißende Scheinwerferlicht der Kameras, die vor der Schreinkammer versammelt sind. Unter Trommeln und Polizeischutz trägt der Verwalter in einem Schauer von Jasminblüten ein kleines Goldgefäß hinaus in die Nacht.

Der Vollmond hängt leuchtend weiß über dem Tempel, als Indi Raja seinen Vorderfuß um Punkt 24 Minuten nach 20 Uhr - wie vom Astrologen als glückverheißend bestimmt - auf die oberste Treppenstufe des Tempelportals setzt. Ein Kanonenschuss rollt durch die Stadt. Die Nacht der Nächte beginnt mit Blitz und Donner, mit dem Knallfroschkrachen der Peitschen und dem Klimpern der Münzen, welche die Pilger der Prozession in den Weg werfen, mit flammenden Feuerrädern und den Klageklängen der Horanawa-Flöten aus Messing und Büffelhorn, die über den dumpfen Trommeln schweben.

Der Zug wälzt sich durch die Straßen, gesäumt von Fackelträgern, die Oberkörper nackt, die Köpfe gegen die Gluthitze der brennenden Kokosschalen in rote Tücher gehüllt, die nur schmale Augenschlitze frei lassen. Den Zunder schleppen ihnen Lastenträger körbeweise hinterher.

Stelzengänger und Tellerjongleure, Trommler und Tänzer mit schwerem Silberschmuck und rasselnden Schellenbändern, barfuß im Straßenstaub, eine wirbelnde, hüpfende, stampfende Masse. Die Elefanten schaukeln mit Wiegeschritten durch die Straßen, glitzernd und funkelnd, jeder rechts und links einen turbangekrönten Mahut neben sich.

Das örtliche Gefängnis lässt die mustergültigsten seiner Häftlinge als Fahnenträger aufmarschieren, in Viererreihen, einen Wärter zu beiden Seiten. Schweigende Ruhepole in der Prozession, Hemden und Sarongs blütenweiß, die Augen geradeaus, die Gesichter in feierlichem Ernst erstarrt, gegen die Brust gestemmt die buddhistische Fahne in den Farben des Regenbogens und die bronzenen Banner und bestickten Flaggen der Provinzen des vergangenen Königreichs.

Beißend steigt der Rauch der Fackeln in den Nachthimmel, die Luft vibriert von Trommelschlägen. Die Hitze des Feuers zieht empor bis zu den Touristenbalkonen. Noch auf den Hausdächern sitzen Zuschauer als schwarze Schatten.

Der Elefant Indi Raja stapft mit gelassener Würde durch die Straßen, den Reliquienschrein auf dem Rücken. Entlang seines Weges erheben sich die Zuschauer mit gefalteten Händen und drängen gegen die Absperrgitter unter den prüfenden Blicken der Polizisten, die alle paar Meter der Prozession den Rücken zukehren, Funkgeräte griffbereit, Maschinenpistolen geschultert.

Im Schatten des Zahns und seines Trägers schreitet gemessen Pradeep Nilanga Dela Bandara unter einem weißen Baldachin, bauchig und breitschultrig im traditionellen Kostüm, gewickelt aus meterlangen Stoffbahnen: kein bisschen besorgter Manager mehr, nur noch Amt und Würde.

Ihm folgen die Hinduschreine, bunter, lauter und ausgelassener als die geordneten Reihen der buddhistischen Zahntempel-Prozession. Ihre Tänzer, maskenhaft bunt geschminkt und in schillernden Pfauenkostümen, tanzen, als würden sie, Marionetten gleich, an den Fäden eines Puppenspielers hängen.

Stundenlang windet sich der Zug durch die dunklen Straßen. Der Mond hat sich blassgelb hinter Wolken verschleiert, als weit nach Mitternacht die letzten Tänzer des letzten Hinduschreins wieder im gold glühenden Tempelgarten stehen. Hinter der letzten Polizeieskorte der Prozession ergießt sich die Zuschauermenge in die Straßen, und später fegen die Straßenkehrer zusammen, was übrig ist vom Spektakel: verlorene Flipflops, glimmende Asche oder dampfende Haufen Elefantenmist. Und dann, endlich, geht die Stadt ihr Fieber ausschlafen.

Gegen Mittag schleppt sich noch einmal eine allerletzte Prozession durch die Straßen, sie wirkt klein und blass, nun, da es Tag ist. Dann kann Pradeep Nilanga Dela Bandara dem Staatspräsidenten das erfolgreiche Ende der Esala Perahera melden und auf dem Rasen vor der Residenz zum Gruppenfoto Platz nehmen, lächelnd. Einen Tag später ziehen die ersten dunklen Regenwolken über Kandy auf. Ein Wunder braut sich zusammen.

Der (gekürzte) Text stammt aus der aktuellen Ausgabe von "GEO Special", die ab sofort zum Preis von 8,50 Euro im Handel ist