Sollten Babys auf Kreuzfahrt gehen? Unbedingt. Wir machten den Test auf einer Fahrt durch das östliche Mittelmeer von Athen bis Venedig.

Unser Kapitän ist sechs Monate alt, und obwohl sein Wortschatz recht überschaubar wirkt ("Bababa!"), sind seine Befehle eindeutig. Eine Art anschwellendes Löwengebrumm kombiniert mit stark rudernden Ärmchen bedeutet: "Los! Ich will was erleben! Tragt mich durch einen weiteren Tag in meinem jungen Leben, in dem ihr zwei meine Animateure seid! Hopp, hopp! Oder muss ich erst laut werden?" Die zwei sind wir, seine Eltern, die sich fühlen, als würden sie seit der Geburt unseres Sohnes eine unendliche Premiere erleben. Alles ist ständig neu, nie zuvor erlebt, nie zuvor gefühlt. Überwältigend, wunderschön, anstrengend. Schläft das Baby abends glücklich ein, möchte man sich selbst applaudieren. Geht natürlich nicht, das permanente "Pssst!" in unserem Kopf ist unüberhörbar.

Seit fünf Tagen jedoch wird es von einem schönen Geräusch überlagert: dem Rauschen des Meeres. Mit der "Crystal Serenity" kreuzen wir von Athen über Israel bis nach Venedig, insgesamt 2399 Seemeilen, sechs verschiedene Häfen, und - um hier gleich die Spannung rauszunehmen, denn darunter leiden junge Eltern genug - wir haben die ideale Reiseform für Babys entdeckt. Anhand ihrer wichtigsten täglichen Programmpunkte - Schlafen, Essen, Spielen - ist das leicht zu beweisen.

Schlafen: Unser Sohn Jesse hält im Allgemeinen nicht viel davon. Zu langweilig. Er könnte etwas verpassen. Hier auf dem Schiff holt er nun all die Stunden nach, zu denen er bislang nicht gekommen ist. Die Bewegungen durch das Wasser kombiniert mit den warmen Temperaturen bilden eine ideale Gebärmutter-Kopie. Am besten jedoch ist das bei jeder Kreuzfahrt umsonst eingebaute "weiße Rauschen", wie unser Lebensretter Dr. Harvey Karp es nennt. Sein Buch "Das glücklichste Baby der Welt. So beruhigt sich Ihr schreiendes Kind, so schläft es besser" war in Jesses ersten Lebenswochen unsere Bibel. Ohne Dr. Karp wäre ich zum Zombie geworden. Mit "weißem Rauschen" meint er ein sehr lautes "Schhhhhhhhhhh...", das den Beruhigungsreflex des Kindes auslöst, eine Art Anti-Schrei. Das Geräusch ahmt den Lärm nach, den das Baby im Mutterleib gehört hat. Man kann also entweder selbst "Schhhhhhhh" zischen oder zu technischen Hilfsmitteln wie Staubsauger oder Föhn greifen. Ein fahrendes Kreuzfahrtschiff ist "weißes Rauschen" in Vollendung. Sobald Jesse unruhig wird, schieben wir ihn im Kinderwagen zum Heck der "Serenity", dort ist das Meer am lautesten. Es braucht maximal zwei Minuten, bis aus dem brüllenden Jungen ein schlummernder Engel wird.

Das funktioniert übrigens bei jedem Seegang. Babys werden nicht seekrank, hatte mir mein Lieblings-Apotheker daheim in Hamburg versprochen. Und auch die Krankenschwester an Bord der "Serenity" bestätigt, noch nie seekranke Neugeborene gesehen zu haben. Ihr Gleichgewichtssinn muss sich erst noch ausbilden. Sie sind also geradezu prädestiniert dazu, auf See zu sein; zumal ihnen das Schwanken vertraut vorkommt. "Ein Baby muss sich fühlen wie ein Matrose auf Landgang, wenn es auf die Welt kommt", erklärte mir Cruise Director Gary Hunter bei der obligatorischen Sicherheitsübung, die Jesse schlafend in seiner Baby-Rettungsweste absolvierte.

Ob die Kreuzfahrtbranche ahnt, was für eine riesige Zielgruppe sie bislang übersehen hat? Gut, Babys sind noch nicht geschäftsfähig, aber sie haben Eltern, die nach ein paar Monaten Stillen, Wickeln und Kinderwagenschieben gerne mal etwas anderes erleben würden bzw. das gleiche Programm in zumindest einer anderen Umgebung. Die ändert sich bei einer Kreuzfahrt mit jeder Seemeile. Vorgestern schaute ich beim Stillen auf griechische Inseln, heute blicke ich auf Haifa in Israel. Zu Hause sehe ich lediglich einen Wäscheständer, der fast zusammenbricht. Das kann an Bord allein deshalb nicht passieren, weil die Passagiere kostenfrei Waschmaschinen und Trockner benutzen können. Ein Trockner! Absolutes Luxusgerät für junge Mamis, das ich zu Hause aus Platzmangel vermisse und jetzt geradezu exzessiv nutze. Ich werde mit dem saubersten Kofferinhalt aller Zeiten zurückkehren, was auch unseren Wäscheständer freuen dürfte.

Essen: Jesses Lieblingsbeschäftigung. Gerne mit Händen und Füßen, weshalb wir die Breimahlzeit lieber in unserer Kabine einnehmen anstatt in einem der Restaurants. Auf den Service müssen wir dennoch nicht verzichten. Die Köche bereiten jeden Tag einen Brei aus Möhren und Kartoffeln für Jesse zu, serviert auf einem Silbertablett. Mit Haube. Ich verdränge den Gedanken, wie ich den Mini-Feinschmecker nach dem Urlaub wieder an lieblos aufgewärmte Pastinake aus dem Glas gewöhnen soll. Um Fläschchen und Schnuller zu reinigen, verstoßen wir zugegebenermaßen gegen eine Schiffsregel. Wasserkocher sind eigentlich aus Sicherheitsgründen in den Kabinen verboten.

Doch Jesse versteht sich zum Glück gut auf das Flirten mit blonden Frauen, sodass das Zimmermädchen ihm mittlerweile jeden Wunsch erfüllt. Genauso wie Maja aus Kroatien, die abends im Crystal Dining Room bedient. Sie hat festgestellt, dass Jesse abends nicht länger als 30 Minuten Lust hat, seinen Eltern beim Essen zuzugucken. Also bringt sie alle drei Gänge gleichzeitig. Bei Maja genießen wir neben dem Baby- den Hamburger-Bonus. Als die "Crystal Serenity" mal zwei Wochen im Trockendock bei Blohm + Voss lag, ist sie jeden Abend mit ihren Kollegen auf den Kiez gegangen. "Was für eine Stadt. Beim Einlaufen gucken so viele Leute zu, und auf St. Pauli wird die Nacht gefeiert."

Wer sein Dinner ohne Nachwuchs einnehmen oder abends eine der Shows besuchen möchte, dem bleiben nur zwei Möglichkeiten: getrennt und nacheinander zum Essen zu gehen oder einer Babyfon-App auf dem Smartphone zu vertrauen. Der Babysitter-Service gilt erst für Kinder ab einem Jahr, und normale Babyfone funktionieren auf den Schiffen selten. Selbst die Smartphones haben nicht immer Empfang, und Telefonkosten auf See sind hoch. Einige Kreuzfahrtlinien bieten aber spezielle Babyfone zum Ausleihen an, und in manchen Internetforen (zum Beispiel www.kids-on-cruise.de) werden Walkie-Talkies empfohlen. Verhungern wird man in keinem Fall, dies ist auf Kreuzfahrtschiffen ausgeschlossen. "Egal welche Essenswünsche Sie haben, ob koschere Speisen, eine bestimmte Diätmarmelade oder eben Babybrei - wenn wir es vorher wissen, besorgen wir alles", sagt Hotel Director Christian Krempl. Den 47-jährigen Österreicher schaut Jesse inzwischen fast genauso versessen an wie seine Quietsch-Giraffe, denn Krempl ist von Kopf bis Fuß in strahlendes Weiß gekleidet, kombiniert mit goldenen Schulterstreifen. Hoffentlich überlegt sich unser Sohn nie, wie toll diesem Anzug eine Portion ausgespuckte Karotte stehen würde.

Spielen: Babys brauchen noch kein spezielles Programm wie viele Kreuzfahrtlinien es inzwischen für Kinder anbieten. Sie haben ihre Animateure ja immer dabei: Mama, Papa und die eigenen Hände, um Dinge in den Mund zu schieben oder vom Tisch zu werfen. Ein großer Spaß. An Bord dieses Schiffes befinden sich allerdings 740 weitere Animateure. Jesse ist der jüngste Passagier und - ohne etwas dafür getan zu haben - inzwischen der bekannteste. Wer ungern mit anderen Menschen in Kontakt kommt, darf niemals mit seinem Baby eine Kreuzfahrt unternehmen. Auf folgende Fragen sollten Sie vorbereitet sein: Wie alt ist er? Wie heißt er? Bei internationalem Publikum wählen Sie am besten einen Namen, der auf Englisch gut auszusprechen ist. So wurde aus unserem norddeutschen Jesse innerhalb von zwei Tagen ein alter Cowboyheld, "Jesse, like Jesse James". Die meisten Gäste begrüßen ihn inzwischen mit: "Hello, happy Baby!" Viele von ihnen haben bereits Enkelkinder, und so lernen wir jeden Tag neue Fingerspiele und viele amerikanische Kinderlieder.

Diesen Text kann ich nur deshalb in Ruhe schreiben, weil mein Sohn am Pool alle fünf Minuten von einem Passagier oder "Serenity"-Mitarbeiter mit Grimassen, Singen oder Hebefiguren bespaßt wird. (Da lobe ich mir die zahlreichen Spender mit Desinfizier-Mittel, die auf dem Schiff angebracht sind!). Bin ich mal alleine auf dem Schiff unterwegs, werde ich fast vorwurfsvoll gefragt: "Wo ist Jesse?" Und vor der Klagemauer in Jerusalem rief plötzlich ein Mann aus einer Gruppe von mir unbekannten Japanern: "Da! Das Baby von unserem Schiff!"

Landgänge sind sehr unterhaltsam, allerdings eher für die Eltern. Auf Ausflüge, die länger als sechs Stunden dauern, sollte man verzichten, und gerade mittelalterliche Städte sind nicht besonders geeignet für Kinderwagen. Ausgerüstet mit einer Babytrage und einer Handvoll Beißringen schafften wir es aber sogar bis nach Bethlehem, das wir unbedingt sehen wollten, schließlich lebte dort einst der biblische Jesse, der Vater von David.

Während ich dies schreibe, weiß ich noch nicht, dass wir bei unserem Ausflug in Venedig die Babytrage vergessen werden, was meinem Mann ein unerwartetes Krafttraining verschaffte. Er musste Jesse im Kinderwagen über 19 Brücken heben.

Alles in allem: Schiffe und Babys vertragen sich blendend. Und nicht nur das. Wenn ich so aufs unendliche Wasser blicke, verstehe ich meinen Sohn plötzlich besser: Auf dem Ozean werden wir alle wieder klein.