Neulich war ich auf meiner ersten Kreuzfahrt. Mein Mann hatte sich bislang geweigert. Nein, nein. Was solle an einer Schiffsreise lustig sein? Aber in einem schwachen Moment (die Geburt unseres Sohnes) war er eingeknickt und sagte: "Wünsch dir was, egal was!" Jetzt befand ich mich auf meinem Traum eines Schiffes, der "Crystal Serenity", und probierte, wie Kate Winslet in "Titanic" mit großer Würde über das Promenadendeck zu schreiten. Anschließend plante ich, die Tea Time zu besuchen und beim Earl-Grey-Nippen einen Finger abzuspreizen. Auf dem Weg dahin entdeckte ich jedoch Elitäreres: eine Tafel mit den Namen der Reisenden, die 100-mal mit der "Crystal Serenity" gereist waren. 100-mal! Mein Gefühl der Besonderheit versank schneller als die "Titanic".

Welche Menschen sich wohl hinter diesen Namen verbargen? Wer war zum Beispiel Mrs. Wachtstetter? Eine englische Adelige, die aus Liebe zu einem deutschen Kapitän auf alle Titel verzichtet hatte? Ich solle sie einfach fragen, schlug der Hoteldirektor vor, den ich mit meinen Fantasien nervte. Für gewöhnlich sitze sie nachmittags im Lido Café. Sie sei an Bord? "Natürlich", sagte der geduldige Hoteldirektor. "Immer."

"Hello Honey!", begrüßte mich Mrs. Wachtstetter, als ich kurz darauf wenig würdevoll an ihren Tisch stürmte. Sie war gekleidet in eine Seidenbluse mit Ankermotiven und stickte an einem Hasenbild. Voller Eleganz. Beeindruckend. Wer kann schon Hasen sticken und dabei Haltung bewahren. Es kam noch besser. Die 84-jährige Amerikanerin hat weit mehr als 100 Kreuzfahrten unternommen, nämlich seit 1962 ganze 311 Stück. Die anderen mit anderen Schiffen, aber dieses hier sei das Beste, daher habe sie es seit vier Jahren nicht verlassen. "Nur Gott kennt mein Check-out-Datum." Sie erzählte von ihrem verstorbenen Mann, ihrer Familie in Florida und warum sie lieber auf einem Boot als im Altenheim wohne.

Wir plauderten dann noch über Eintänzer, Poseidon und Hasen, als sie mit gedämpfter Stimme fragte, warum ich bei Bill W. gewesen sei. Im Programmheft über alle Aktivitäten an Bord stand täglich: "Friends of Bill W. meet at 5 pm ..." Zweimal hatte mich meine Neugierde zum angegebenen Treffpunkt geführt. Wer waren dieser Bill W. und seine Freunde? Ein Autor, dessen Fans sich zum Vorlesen treffen? Doch außer "Crystal Serenity"-Mitarbeitern, die mich mitleidig anschauten, kam niemand. Mrs. Wachtstetter fragte, ob ich noch nie von Bill Wilson und seiner Organisation gehört hätte. "Friends of Bill W. ist ein Code für das Treffen der anonymen Alkoholiker, Honey."

Er müsse seine Meinung revidieren, sagte mein Mann, als ich ihm mein Missverständnis beichtete - Kreuzfahrten seien ja doch sehr lustig.