In der westligurischen Provinz Imperia mit ihrem 40 Kilometer breiten Küstenabschnitt kann man perfekt auf Entdeckungstour gehen.

Ligurien. Vielleicht liegt es ja ausgerechnet an der spektakulären Küstenautobahn von Genua über San Remo nach Ventimiglia (und weiter nach Monte Carlo und Nizza), dass die Provinz Imperia trotz ihrer attraktiven Lage zu den eher unbekannten Reisezielen Italiens gehört. Vielleicht liegt es auch an den vielen Gewächshäusern, die hier an der Blumenriviera nicht wenige der Hügel verschandeln, jedenfalls die erste Kette zum Meer hin. Dieser Anblick kann abschreckend wirken. Vielleicht aber liegt es auch an der verschnarchten Tourismuswerbung, die dafür sorgt, dass dieser westliche Teil Liguriens selbst in der Hochsaison von Juni bis Oktober weitgehend nur von den Italienern selbst zum Urlauben genutzt wird - vor allem im August. Dann wird es voll.

Wer sich jedoch dazu entschließen sollte, eine der beiden Ausfahrten der Provinzhauptstadt Imperia zu nehmen und ein paar Kilometer auf der Via Aurelia, der Küstenstraße, zu fahren, um dann irgendwann mal rechts auf gut Glück in die Berge abzubiegen, könnte sich sehr schnell in diese Gegend verlieben, in der es, ja, einfach unverfälscht italienisch zugeht und sich ein zauberhaftes, mittelalterliches Bergdorf ans andere reiht, umgeben von Olivenhainen, so weit das Auge reicht.

In und rund um Imperia sind die Preise in den Strandbuden, Bars und Restaurants zwar recht hoch, wie in Urlaubsgebieten üblich, aber noch bezahlbar. Und wer gar das Glück hat, eine der besseren Lokalitäten in einem der Dörfer zu finden, bekommt für gewöhnlich eine fantastische Küche geboten, ohne zu verarmen.

Finden ist das Schlüsselwort.

Nun ist die Provinz Imperia weit davon entfernt, ein weißer Fleck auf der touristischen Landkarte zu sein, aber für diejenigen, die im Italien-Urlaub auf Krawall und Remmidemmi à la Adria, Bustourismus wie in der Toskana oder Schickimicki wie auf Capri verzichten und statt dessen lieber auf Entdeckungstour gehen wollen, ist dieser gut 40 Kilometer breite Küstenabschnitt wahrscheinlich perfekt.

Busse fahren allerdings selten bis überhaupt nicht, vor allem nicht ins Landesinnere, und so sollte man ein Auto mit einer intakten Hupe besitzen und keine Furcht haben, über enge, kurvige Berg- und Passstraßen zu fahren, auf denen nicht nur Lieferwagen und - ganz sporadisch - auch mal ein Bus entgegenkommen können, sondern selbstverständlich auch andere Entdecker und erstaunlich viele Radfahrer und Mountainbiker, die sich keuchend die steilen Hügel bergauf quälen; jetzt im Herbst sind die Temperaturen allerdings angenehmer als im Hochsommer, wo es beinahe konstant 30 Grad heiß werden kann - und mehr.

Einer der bekannteren Orte ist Dolcedo, etwa fünf Kilometer entfernt vom Stadtrand der Provinzhauptstadt Imperia am Flüsschen Prino gelegen, der dieses touristische Zentrum auf breiter Front durchschneidet.

Insgesamt fünf mittelalterliche Brücken führen über das Flüsschen, dessen Ufer zu beiden Seiten dicht bewachsen ist und das wohl größte und facettenreichste Froschorchester des Landes beheimatet. Das setzt regelmäßig mit dem Sonnenuntergang ein, und wer meditieren möchte, stellt sich am besten auf die größte der heute noch begehbaren Brücken, die "Ponte dei Cavalieri di Malta", die 1282 von den Rittern des Malteserordens gebaut wurde. Und guckt dann einfach nur. Und lauscht. Und freut sich, irgendwie.

Etwas früher als die Malteser waren bereits die Benediktiner-Mönche am Zug gewesen, die 1119 die alles überragende Kirche San Martino gründeten und den Anbau von Olivenbäumen in Dolcedo kultiviert haben. Heute soll hier das beste Öl der Gegend, Italiens, ach was, der ganzen Welt gepresst werden, und es sei schön, sagen die Stammgäste von Dolcedo, dass es jetzt endlich auch ein Restaurant vor Ort gibt, dessen Koch dieses Öl nicht bloß auf Pizzen träufelt. Nichts gegen die robusten, anständigen Pizzerien auf der Piazza von Dolcedo, aber etwas Feines wie das Casa de la Rocca von Tina und Peter Dosot in der Via Ripalta, ein paar Treppen überm Dorfzentrum gelegen, hat in Dolcedo gefehlt. Man kommt in der ganzen Gegend fast ausschließlich und am besten privat in Ferienwohnungen oder -häusern unter. Die Bandbreite - von einfach bis luxuriös mit Pool - ist groß. Es geht familiär zu, individuell und vor allem ziemlich entspannt.

Peter Dosot, zunächst Deutscher aus Aachen, dann nach 25 Jahren Küchendienst in den besten eidgenössischen Hotelküchen naturalisierter Schweizer, ist in die Gegend zurückgekehrt, aus der seine Familie mütterlicherseits stammt. An ihm und seinem Restaurant lässt sich das eher zufällige touristische Konzept, wenn es denn für die Provinz Imperia überhaupt so eins gibt, gut festmachen.

Auch die Casa de la Rocca muss man nämlich erst mal finden, und vorher muss man natürlich auch noch wissen, dass sie überhaupt da ist. Mund-zu-Mund-Propaganda ist daher das zweite Schlüsselwort. Und wenn man dann von dem sechsgängigen Menü für 35 Euro, das jeden Tag anders ausfällt und italienisch-ungewöhnlich pünktlich um 19.30 Uhr serviert wird, begeistert ist, darf und soll man es ruhig weitererzählen. "100 Gramm Liebe, eine Prise Leidenschaft, ein Esslöffel Zeit, 300 Gramm Geschmacksknospen, ein Becher geschärfte Sinne und 50 Gramm Muße", sagt der Koch über sein Grundrezept, dem er nur noch frische Zutaten aus der Region hinzufügen müsse.

Nach getaner Arbeit setzt er sich mit seiner Frau Tina an den Tisch und schickt seine neugierigen Gäste auf Entdeckungsreisen noch tiefer ins Land hinein. In diesem Fall auf die "Strada di Oliva" Richtung Vasia, wo Pamela Kranz-Gardini das bemerkenswerte Resort San Damian geschaffen hat, eine kleine Hotelanlage aus einem Dutzend individuell eingerichteter Appartements, umgeben von einem üppigen Garten. Das alles dient einzig und allein dem Streben nach innerer Ruhe und Frieden.

"Slowly Living in Liguria" lautet die These, oder besser der Befehl: Denn die Küchen in den Appartements sind zwar funktionstüchtig, aber dienen eher der Staffage. "Natürlich können unsere Gäste sich Tee oder Kaffee oder auch mal einen Salat zubereiten, aber sie sollten bitte schön nicht kochen!", sagt Pamela Kranz-Gardini. Im Übernachtungspreis von 140 bis 160 Euro sei sowieso ein opulentes Frühstück inbegriffen, Traumblick bis herunter zum Mittelmeer inklusive.

Die clevere Hoteliersfrau weiß, dass sie mit ihrer luxuriösen Oase der Stille ein Alleinstellungsmerkmal in der Provinz besitzt: Denn obwohl es hügelauf, hügelab zwischen den Olivenhainen noch eine Menge alter Gemäuer gibt, aus denen solche Garni-Unterkünfte entstehen könnten, wird es einfach nicht gemacht. Und vielleicht ist es ganz gut so, dass die Individualtouristen auf diese Weise unter sich bleiben dürfen. Auch Pamela Kranz-Gardini beherrscht das Spiel der Mundpropaganda, ohne die man in der Provinz Imperia verloren gehen könnte.

Oder das Dorf vor lauter Kirchen nicht mehr sieht: Und so geht es zum Abendessen weiter nach Lucinasco, in die Trattoria dalla Etta, wo bereits der Einfluss der piemontesischen Küche deutlich zu schmecken ist. Tippweise tastet man sich von Dorf zu Dorf vor, von Kirche zu Kirche, kulinarisch und kulturell.

Wer wirklich entspannt entdecken will, sollte sich mit anständigem Insektenspray einnebeln, vor allem nachts. Denn die ligurischen Mücken sind winzig klein, aber echt fies. Das Mittel kauft man am besten in Imperia, dieser ebenso liebenswerten wie brummenden Stadt mit rund 40 000 Einwohnern. Hier gibt es eh alles zu kaufen, was das Herz begehrt, wirklich alles, zur Not auch schicke italienische Mode. Vor allem aber gibt es viel zu erkunden und zu sehen, man muss nur fragen und finden, doch das ist eine andere Geschichte.