Die zehn besten Strände der USA kürt jährlich der US-Wissenschaftler Stephen P. Leatherman - und rät den Amerikanern, wo sie baden gehen sollten.

Wer Dr. Stephen P. Leatherman sieht, könnte vieles vermuten, nicht aber unbedingt, dass er hauptberuflich Wissenschaftler ist. Braun gebrannt steht der Mann mit dem vollen, braunen Haar und dem trainierten Körper vor einem - in Shorts und rotem Polohemd. Barfuß. Seinen Stuhl hat er ans Wasser gerückt. Er liebt die pralle Sonne und das klare Wort. Seinen großen Zeh gräbt er in den feucht-warmen Sand ein. Sand ist ganz, ganz wichtig für Leatherman. Er ist Teil seines Forschungsgebiets. Denn Stephen P. Leatherman testet Amerikas Strände. Und zwar nach wissenschaftlichen Kriterien. Sein Urteil wird jährlich ähnlich gebannt erwartet wie die Namen, die vom Nobelpreiskomitee in Stockholm verkündet werden. Daher ist er in Amerika bekannt als "Dr. Beach". Stranddoktor, besser noch: Strandpapst.

Sonne muss der Professor für Umwelttechnik mögen, denn die knallt gewaltig im Sunshine State Florida, wo er lebt und lehrt. Leatherman ist Direktor der Abteilung Küstenforschung. Er arbeitet im Laboratory for Coastal Research an der Florida International University in Miami. Dort hält er Kurse, die "Strände und Wellen" heißen und mehr nach Feierabend am Strand klingen als nach harter Forschungsarbeit.

Seit über 20 Jahren gibt er jedes Jahr die Liste der Top-Ten-Strände heraus. Strände sind das Lebensthema von Stephen P. Leatherman: 16 Bücher hat er geschrieben, Tausende Aufsätze dazu verfasst. Alle drehen sich um das eine: seine Küstenwissenschaft. Dass seine Datenerhebung auch praktischen Nutzen abwirft, zeigt seine neu geschaffene Website ( www.beachfinder.org ), mit deren Hilfe Strandliebhaber lohnenswerte Strände finden können - je nach Vorlieben für Surfer, Naturliebhaber oder Familien mit Kindern.

+++Auf der Sonnenseite des Lebens+++

Leatherman und der Beach: Diese Verbindung ist wie eine langjährige, sehr harmonische Ehe. Vielleicht nahm der Herr Professor es deshalb nicht krumm, als ihn einmal ein Student "Dr. Beach" nannte. Der Student, so sagte er später entschuldigend, sei in dem Moment nicht auf seinen richtigen Namen gekommen. Wie es manchmal im Leben so ist: Was einmal in der Welt ist, kann nicht mehr zurückgenommen werden. Der Spitzname verbreitete sich rasant. Heute kennen ihn mehr Amerikaner unter dem Namen "Dr. Beach" als unter seinem richtigen.

Ungewöhnlich ist dieser Mann in vielfacher Hinsicht. "Meine Konferenzen finden nicht in Hotels in Miami statt, sondern am Meer. Meine Freizeit verbringe ich auch am Strand." Um solche Sätze werden ihn viele seiner Kollegen beneiden. Geschätzt die Hälfte des Jahres, erzählt er, sitze er nicht hinterm Schreibtisch, sondern am Meer, um seine Forschung zu betreiben. Gerade ist er einige Autostunden vom Atlantik entfernt an der anderen Seite von Florida: in Pinellas County.

Diese Region liegt um die Städte St. Petersburg und Clearwater herum und ist eine Halbinsel mit 26 Gemeinden, kilometerlangen weißen Sandstränden und mehr als 20 vorgelagerten Inseln entlang des Golfs von Mexiko. Als die spanischen Seefahrer 1528 im Westen Floridas an Land gingen, nannten sie den Flecken "punta pinal", also "Ort der Pinien". Heute lebt der Landstrich überwiegend vom Tourismus und vermarktet sich als "Floridas Beach". Sonne ist reichlich vorhanden. Sie scheint im Schnitt 361 Tage im Jahr - und geht meist spektakulär unter. Das ist jeden Abend ein Ereignis, das von der populären Pier 60 in Clearwater wunderbar zu beobachten ist.

Eine dieser 20 vorgelagerten Inseln in Pinellas County heißt Caladesi Island. Dr. Beach hat den Küstenstreifen im Jahr 2008 zur Nummer eins der USA gekürt. Und da er den Titel nicht zweimal in Folge vergeben darf, landete der Strand im Jahr darauf auf dem zweiten Platz. "Jeder Strand kann nur einmal gewinnen. Danach kommt er in eine Art Ruhmeshalle. Außerdem ändern sich Strände auch: sei es durch Naturkatastrophen, sei es, weil die Stadtverwaltung ein Rauchverbot einführt."

Was ist an Caladesi Island top? Dr. Beach: "Das kristallklare Wasser, der Reichtum an Vögeln, Delfine im Meer, weißer Pulversand, das macht diese Insel und diesen Strand schon sehr besonders. Außerdem kann man dorthin nur mit dem Boot gelangen." Am Strand finden sich keine Surfer, dafür sind die Wellen zu flach. Umso mehr tummeln sich hier Familien und Naturliebhaber. Aber auch andere Strände Floridas sind jedes Jahr aufs Neue in der Rangliste der Top Ten zu finden.

Die Lieblingssaison für den Professor ist der Herbst: "Da ist die Masse an Touristen weg und das Wasser noch immer angenehm warm." Der Strand sei für ihn ein magischer Ort, sagt er. Und dann klingt Dr. Beachs Sprache fast ein wenig wie Poesie: "Ich glaube sogar, dass es etwas damit zu tun hat, dass wir Salz in unserem Blut haben und deswegen Salzwasser uns magisch anzieht."

+++Sand in Sicht!+++

Amerikaner lieben Ranking-Listen. In den USA gibt es mehr als 650 ausgewiesene Badestrände, die das Team um Leatherman jedes Jahr aufs Neue testet. Wie viele der Strandkenner durch persönliche Anschauung kennt? "Mehr als 650." Also quasi alle. Alle Strände, die eine Chance haben, in die Top Ten zu kommen, sagt er, besucht er selbst.

Leatherman wäre nicht Wissenschaftler, würde allein das subjektive Gefallen entscheiden. Entscheidend sind harte Kriterien, 50 an der Zahl. Darunter physikalische Faktoren wie Körnigkeit des Sands und Anzahl und Größe der Wellen; biologische Aspekte wie Farbe und Sauberkeit des Wassers, Flora und Fauna sowie Schädlinge; nicht zuletzt der menschliche Einfluss: Liegt eine Autobahn in der Nähe? Wie sauber ist der Strandabschnitt? Wird dem Umweltschutz Rechnung getragen, gibt es genügend Mülltonnen? Wie sicher sind Strand und Wasser für die Badenden? Sind Strandwächter und Rettungsschwimmer vor Ort?

"Alles ist für sich wichtig", sagt der Stranddoktor, "am allerwichtigsten sind aber Wasser- und Sandqualität. Ist das Wasser nicht sauber, wird der Strand nicht gelistet." Dann klopft sein Zeigefinger auf den Kriterienkatalog. Dank dieser Werte berechnet er, ob es nun ein guter Strand ist oder ein schlechter. Nach dem Aschenputtel-Prinzip: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. "Bei 50 Kriterien vergebe ich Punkte von eins bis fünf. Wenn ein Kriterium, zum Beispiel die Farbe des Sandes, zur vollsten Zufriedenheit erfüllt wird, vergebe ich fünf Punkte, das ist sehr gut. Ein Punkt ist sehr schlecht."

Weißer Sand ist besser als dunkler, feiner besser als grober. Das Wasser muss warm sein, algenfrei und sicher. Zu starke Strömungen oder zu hohe Wellen bedeuten Punktabzug. Nicht unwichtig: die Infrastruktur wie Parkplätze, Toiletten und Duschen. Ist ein Strand besonders lang, gibt es Extrapunkte - das macht einen weiten Horizont. Auch ästhetische Kriterien fließen in die Bewertung ein.

Nicht alles sei auf den ersten Blick ersichtlich. Manches liegt unter der Wasseroberfläche: "Ob es scharfkantige Felsen gibt oder schnelle Strömungen. Und eben, ob das Wasser sauber ist, da müssen wir genauer hinschauen."

Ob es "den perfekten Strand" überhaupt gebe? Das ist wohl die am häufigsten gestellte Fragen an den Fachmann. "Ach wissen Sie, den perfekten Strand gibt es nicht, der müsste ja volle 250 Punkte bekommen. Diejenigen, die es unter die ersten zehn schaffen, liegen meist um die 230 Punkte, denn irgendetwas stimmt immer nicht." Aber nicht perfekt kann im Leben ja durchaus liebenswert sein.