Ein Herbstspaziergang in Eißendorf mit Bernd Schulze, Hamburgs dienstältestem Revierförster. Dort gibt es 50 Kilometer Wanderwege.

Hamburg. Bernd Schulze, 59, wird seinen Gästen heute die Geschichte von "Olympia" erzählen. So heißt die Douglasie, die in seinem Revier in der Försterei Eißendorf im Süden Hamburgs westlich der A 7 steht. Der prächtige Baum misst heute noch etwa 26 Meter. Vor 20 Jahren war "Olympia" der größte Baum Hamburgs. Doppelt so hoch wie heute. Doch dann kam "Wiebke". Und der Orkan mit dem harmlosen Namen halbierte die Douglasie kurzerhand, die sich nun langsam wieder von dem Sturmtief erholt.

Bernd Schulze ist Revierförster. Man sieht dem schlanken Mann mit dem vollen Haar seine 59 Jahre nicht an. Und das wird damit zusammenhängen, dass der studierte Forstwirt die meiste Zeit seines nunmehr 32 Jahre langen Arbeitslebens im Wald und an der frischen Luft verbringt.

In diesen Tagen ist Bernd Schulze ein gefragter Mann. Denn vor allem im Herbst suchen die Hamburger Ruhe und Erholung in ihren Wäldern. Und dabei haben sie eine große Auswahl. Knapp 5000 Hektar Wald mit mehr als 40 Baumarten gibt es in der Hansestadt, davon sind 3400 Hektar, meist seit mehreren Hundert Jahren, Eigentum der Stadt. Und in den Randlagen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen stehen den gestressten Städtern weitere 1600 Hektar zur Verfügung. Um sich zu erholen. Und um in diesen Wochen das prächtige Farbenspiel der herbstlichen Blätter zu bewundern.

Peter Elsasser vom Institut für Ökonomie hat in einer Untersuchung 1994 herausgefunden, dass gut eine Million Hamburger, also rund 80 Prozent der Einwohner, Waldbesucher sind. Und 70 Prozent der Waldfreunde gaben an, mindestens einmal pro Monat die grünen Lungen der Stadt zu besuchen. Die meisten Menschen zieht es in die Harburger Berge (20,3 Prozent), gefolgt von Duvenstedt und Wohldorf (12,6), dem Niendorfer Gehege (11,1), dem Volksdorfer Wald (9,5) und dem Klövensteen (9,2).

Spazierengehen und Wandern sind die Hauptgründe für einen Waldbesuch, gefolgt von Hund ausführen, Fahrradfahren und Joggen. Dass die Menschen im Wald vor allem Erholung suchen, weiß auch Bernd Schulze. Und dass sie die dort auch finden, hat mehrere Gründe. "Der Wald sieht zu jeder Jahreszeit anders aus", sagt der Baumexperte. Im Frühjahr, wenn die Buchen austreiben. Im Herbst, wenn sich die Blätter des Ahorns verfärben. Im Winter, wenn Langläufer auf Skiern die weiße Stille im Eißendorfer Sunder genießen.

50 Kilometer Wanderwege und zehn Kilometer Reitwege stehen den Erholungssuchenden dort zur Verfügung. Genug Platz für alle inmitten einer halben Million Bäume. Auf diese Zahl schätzt Schulze den Bestand in seinem 520 Hektar großen Revier. "Rund 1000 Bäume pro Hektar, genau nachzählen kann das sowieso keiner", sagt er. Die Hälfte sind Laubbäume, davon rund 35 Prozent Buchen, die andere Hälfte sind Nadelhölzer.

Wenn Bernd Schulze heute die Besuchergruppe drei Stunden lang durch den Wald führt, muss er viele Fragen beantworten. Am häufigsten wollen die Menschen wissen, warum Bäume gefällt werden müssen. Er wird ihnen erklären, wie wichtig Lichtschächte für die Verjüngung des Waldes sind. Er wird den Kindern erklären, warum es nötig ist, Rehe zu schießen. Und dass es sich dabei nicht um eine Trophäenjagd handelt, sondern dass es darum geht, das Gleichgewicht und die Artenvielfalt im Ökosystem Wald zu erhalten. Und da die natürlichen Gegenspieler der Rehe, Wölfe oder Bären, hierzulande nicht mehr vorhanden sind, muss der Mensch diese Rolle übernehmen.

Er wird den Besuchern den 500 Quadratmeter großen Teich zeigen, der vor drei Jahren angelegt wurde, und in und an dem sich Fische und Grasfrösche, Teichmolche und Erdkröten, Libellen, Wasserkäfer und Eisvögel tummeln. Er wird ihnen auch das Geheimnis von Rana, dem Grasfrosch, verraten.

Wenn Bernd Schulze über die Bäume spricht, dann redet er wie über gute Freunde. Sie seien, wie die Menschen, unterschiedlich in ihrer Entwicklung und müssten deshalb von dem Förster auch so behandelt werden. Manche brauchten länger, um groß und stark und dick zu werden. Und manche haben eben von Beginn an einen Standortvorteil, um sich prächtig zu entwickeln.

Bernd Schulze weiß, dass man den Wald hören, riechen und fühlen kann. Er möchte, dass möglichst viele Menschen diesen spannenden Lebensraum kennenlernen und "wieder ein Gespür dafür bekommen, was die Natur ausmacht". Er sagt, dass der Wald uns auch zeigt, dass die Menschen sehr viel kleiner sind als die Bäume.