Wie aus Baumhäusern für Kinder Hotels in 20 Meter Höhe wurden: Ein Plantagenverwalter in Indiens Bundesstaat Kerala wurde zum Hotelier.

Manchmal sitzen die Überraschungsgäste mit angezogenen Knien auf der Brüstung des Balkons, als würde es ihnen nichts ausmachen, dass es direkt neben ihnen 20 Meter in die Tiefe geht und dort unten nichts als Urwald ist. Sie halten sich nicht mal fest, kratzen sich stattdessen beidhändig hinter den Ohren oder pulen mit dem Finger in der Nase. Ein anderes Mal sitzen sie auf der Rattan-Lehne des Balkon-Stuhls und scheinen durch die Blätter der Baumkrone ganz entspannt Richtung Sonne zu blinzeln, solange sie sich ungesehen fühlen. Am liebsten stibitzen sie reife Mangos aus dem Obstkorb auf dem Tisch. Und wenn man nicht aufpasst, flitzen sie durch die Tür nach drinnen ins möblierte Baumhaus-Zimmer mit dem breiten Bett und interessieren sich für alles, was nicht niet- und nagelfest ist.

Makaken zählen zu den regelmäßigen Besuchern ganz oben in den Wipfeln der Jackfrucht- und Gummibäume auf dem Gelände der Kuppamundi-Kaffeeplantage im südindischen Bundesstaat Kerala. In der Lieblings-Freizeitbeschäftigung der Nachmittage unterscheiden sie sich wenig von den Mietern der Quartiere in luftiger Höhe: einander beobachten - mit dem Unterschied, dass die kleinen Affen dabei keine Teetasse in der rechten Hand halten. Und dass sie keinerlei Höhenangst haben, während die Menschen ihre ersten Schritte auf den Planken der in den Baum montierten Veranda so hoch über all den Farnen und Sträuchern am Urwaldboden sehr überlegt gesetzt haben.

Wenn sie sich gegenseitig so anstarren, fehlt eigentlich nur noch, dass sie sich miteinander zu unterhalten beginnen wie im mehrfach verfilmten Kinderbuch "Doktor Dolittle". Dort hat der Arzt von einem Papagei die Sprache der Tiere beigebracht bekommen - und freut sich an den guten Gesprächen.

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Die Makaken-Familien unterdessen sind ebenso friedlich wie neugierig - auch wenn sie blitzschnell wieder Reißaus nehmen, sobald jemand versucht, ihnen näherzukommen. Sie passen ins Ambiente. Sie waren zuerst da. Ihnen gehören die Wipfel der Bäume hier in den Wayanad-Bergen auf 600 Höhenmetern und gut 130 Straßenkilometer von der Küste des Indischen Ozeans, gut drei Autostunden von der Großstadt Kozhikode entfernt. Sie teilen sich den Platz mit fast 100 Vogelarten, darunter Papageien ebenso wie Falken und Bussarde, mit ein paar Käfern, mit Honigbienen und Schmetterlingen. Und mit einer Eule, die manchmal nachts in ihrer Sprache nach Dr. Dolittle ruft.

Nicht die Tiere sind die Besucher - es sind die Menschen. Sie konnten erst kommen, seit Victor Dey hier unbedingt ein Baumhaus haben wollte. Und dann ein zweites. Und keines sollte einfach nur ein wackeliges Bambuskonstrukt sein: "Wir haben irgendwie versucht, ein ganzes Ferienhaus in die Baumkronen zu montieren. Mit allem Drum und Dran, mit Strom und fließend Wasser. Und wir haben uns nicht einzig auf den Baum verlassen, sondern alles zusätzlich mit gut versteckten Stahlträgern abgestützt", erzählt er und fährt sich dabei mit der Hand durch den grauen Vollbart.

Es ist zwar nicht das erste Wipfel-Hotel in der Gegend - aber komfortabler als die Vorreiter. Dabei begann für Victor Dey alles mit einem Spaß: Nur für seine Kinder wollte der Plantagenverwalter die Baumhäuser ursprünglich bauen - als eine Art überdachten Abenteuerspielplatz in den Kronen: "Ich hatte jedem meiner Kinder und jetzt der Enkelin ein kleines Baumhaus gebaut. Und dann plötzlich gedacht: Das muss doch auch größer gehen, mit Steg und Hängebrücke hinauf, mit ein bisschen Luxus, mit Duschbad und Doppelbett in den Baumwipfeln, mit Balkon und Ausblick, mit Geländer und ohne Risiko. Da könnten wir dann doch Freunde auf Besuch wohnen lassen."

+++Ein Hauch von Dschungelbuch+++

Zwei große Baumhäuser vermietet Dey inzwischen an Fremde. Das dritte "gehört" ausschließlich der Enkelin, ist nur fünf, sechs Quadratmeter groß und kaum höher als anderthalb Meter: "Einmal haben wir uns einen Spaß gemacht und ein Pärchen gleich nach der Ankunft zum rundum offenen und mit Spielzeug vollgestopften Baumhaus meiner Enkelin geführt und einen Moment lang so getan, als sei es das erträumte Quartier für die Hochzeitsreise. Sie haben große Augen gemacht, und wir haben gemeinsam gelacht."

Wirklich viel zu tun ist auf Deys bald 120 Jahre alter Kaffee- und Pfefferplantage, die sich über 161 Hektar Land erstreckt und Urwald mit einschließt, nur in den Monaten von Dezember bis März während der Ernte. Den Rest des Jahres hat er reichlich Zeit, über Projekte wie dieses nachzudenken - und seine Mitarbeiter Trails für die Gäste anlegen und weiter zimmern zu lassen, weil die Nachfrage nach den kuriosen Quartieren groß ist. Nach Nichtstun. Nach Schauen, Schweigen, Träumen. Nach den Geräuschen des Urwalds ebenso wie nach der Stille der Plantage.

Ein paar Kilometer von hier im Muthanga-Schutzgebiet leben Elefanten, Rehe, Leoparden und sogar Tiger. Und ausgeschlossen ist es keineswegs, dass sich der eine oder andere mal zwischen die Farne unterhalb der Baumhaus-Balkone verirrt, an einen der Bäche zum Trinken kommt. Oder aus der Ferne trötet.

+++Nur gut sein reicht nicht mehr+++

Vor einem Moment noch hat es einen Platzregen gegeben, und wenig später fiel schlagartig Nebel ins Tal, der selbst die Baumhäuser einhüllte. Als ob der Himmel einen Vorhang vor die Makaken, den Specht und die Papageien gezogen hat. Nur die Geräusche sind geblieben. Das Knarzen der Äste, das Knirschen der Bohlen unter den Füßen. Und wäre das Leben ein Hollywood-Film, stünde nun der Auftritt des Tigers unmittelbar bevor. Doch es bleibt friedlich, und keine halbe Stunde später hat Wind den Nebel wieder vertrieben und die Sonne alles aufgetrocknet.

Wer nicht länger faul sein mag, kann bei der Ernte helfen oder zu jeder Jahreszeit auf dem Netz von Pfaden durch die Plantage streifen. Oder einen Abstecher ins nächste Dorf oder in die Bezirkshauptstadt Kalpetta machen, mit dem Koch einkaufen gehen, über die Märkte streifen.

Gegessen wird später nicht Auge in Auge mit den Makaken auf der Veranda, sondern am großen Familientisch auf der Terrasse des Verwalterhauses mit den Deys. Es duftet nach indischen Currys, nach Kardamom-Reis und Tandoori-Huhn, nach frischem Kaffee, nach Tee und irgendwie auch nach Dschungel, nach Frische und Unberührtheit. Könnte Farbe einen Geruch haben, dann riecht es hier nach Grün. Ob Victor Dey einen Lieblingsplatz hat? In den Wipfel oder zu ebener Erde? "Genau hier", sagt er. "Auf der Veranda im Haupthaus, wo jeder Abend der große gemeinsame Esstisch für Familie und Gäste gedeckt ist. Weil man von dort aus das Baumhaus meiner Enkelin am besten sieht."