Unruhige Fahrwasser liegen hinter der “Delphin“ - ein Inder rettete die alte Lady und gründete Passat Kreuzfahrten in der Hansestadt.

Der indische Moment währt nur kurz. Pradeep Agrawal, frischgebackener Eigner der "Delphin", hat neben seiner bildhübschen Frau auch die indische Flagge mit auf die Brückennock gebracht. Nach 18 Monaten Zwangspause gibt Kapitän Igor Gaber zum ersten Mal wieder das Kommando "Leinen los" und schaltet die Maschinen auf langsame Fahrt. Weiß wühlen die Seitenpropeller das Wasser an der Pier von Venedig auf, Kameras klicken, Champagner und Canapés werden gereicht. Der Inder, der sich mit dem Kauf der "Delphin" den Traum vom eigenen Schiff erfüllt hat, neigt nicht zur Grandezza und bleibt im Hintergrund. Zeit für den Kapitän der treuen Mannschaft, von der viele Mitglieder schon seit über zehn Jahren mit dem Schiff verbunden sind und stets an ein Comeback geglaubt haben, der Stadt Venedig zu verkünden: "Wir fahren wieder!" Seine Hand legt sich auf den roten Knopf, der das sonore Tönen des Nebelhorns auslöst. Es scheint, als bebten die Eichenbalken unter ihm, auf denen Venedig ruht. Die tadellos gepflegten Planken der 37 Jahre alten Schiffslady erzittern unter Louis Armstrongs "What A Wonderful World". Zum Heulen schön.

Tränen hatte es auch im Oktober 2010 gegeben. Ausgerechnet auf einer Reise, während der an Bord eine Verfilmung von Pavel Kohouts Roman "Die lange Welle hinterm Kiel" mit Veronica Ferres und Mario Adorf umgesetzt wurde, geriet die "Delphin" in wirtschaftlich unruhiges Fahrwasser und kurz darauf in Insolvenz. Dabei war der kleine Publikumsliebling, gemacht für den deutschen Markt, meistens gut gebucht. Querelen gab es nur mit einem anderen, größeren Schiff desselben Veranstalters: Der kranke große Ozeanriese riss den gesunden kleinen mit in den Abgrund. Die Prüfung und Abwicklung internationaler Forderungen dauerte ihre Zeit. Wer ein Schiff übernimmt, bevor alle Altlasten geregelt sind, riskiert einen Fehlstart: In jedem Hafen könnte das Schiff als Faustpfand gerichtlich interniert werden. Pradeep Agrawal, der mit einer Cola-Abfüll-Lizenz in Indien vermögend wurde, hat alle Verbindlichkeiten abgelöst. Wirtschaftlich hieß das freie Fahrt für die "Delphin" ab Anfang 2012. Doch da hatte der "Schiffs-TÜV" noch ein Wort mitzureden. Mittlerweile hatte die "Delphin" ihre Klasse verloren, turnusmäßige technische Überprüfungen waren überfällig. Aus Venedig, wo die letzte Fahrt zu Ende ging, wurde das 1975 als "Belorussiya" gebaute Schiff, das mit seiner Eisklasse auch Fahrten nach Grönland und in die Antarktis machen kann, ins nahe Rijeka geschleppt und dort überholt.

Inzwischen wurde die Mannschaft wieder zusammengetrommelt. Viele hatten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, hofften doch alle, es werde jemand der "Delphin", die schon 1993 einmal, als versicherungstechnischer Totalschaden, für circa 50 Millionen Euro wieder flottgemacht wurde, ein drittes Leben schenken. Fachleute der maritimen Wirtschaft sahen die Zukunft der "Delphin" ganz klar in Indien. Nur meinten sie damit die dortigen Abwrackwerften, auf denen barfüßige Arbeiter ein Schiff behände in seine Einzelteile zerlegen. Ironie des Schicksals, dass sich ausgerechnet dort ein Investor fand, der an das Schiff glaubte, dessen bessere Tage er nur von Fotos und aus Erzählungen kannte.

+++Für die Besatzung wird die "Delphin" zum Schicksal+++

Für die Stammpassagiere bleibt all das ein neumodisches Märchen, zumal der Bordbetrieb mit 90 Prozent der Stammcrew wieder anläuft, als sei er nie unterbrochen worden. Zu den Passagieren gehört Hannelore Götz aus dem österreichischen Steyr, in deren Bordbuch sich 68 Visa mit dem "Delphin"-Logo finden. Zahlmeisterin Claudia Halladin aus Bremen verpasst ihr das 69. "Ein Einfamilienhaus", lächelt die braun gebrannte Passagierin auf die Frage, welchen Gegenwert sie über die Jahre in ihre "Delphin"-Reisen investiert habe. Ein paarmal ging sie fremd; glücklich wurde sie dabei nicht. Auch die drei Chefköche der vormaligen Reederei wollten zurück in die Kombüse, in der große Fenster mit Meerblick echtes Schiffsfeeling aufkommen lassen: Gemüse putzen vor karibischem Sonnenuntergang. Aber Küchenchef kann nur einer sein; für die beiden anderen wurden dekorative Titel erfunden, damit keiner als "Sous-Chef" fahren muss. Zur Stammcrew gehören auch Proviantmeister Johannes Christ und Hotelchef Robert Stoeger. Sie haben jetzt mehr zu tun als früher, denn obwohl kein großer Reedereibetrieb mehr hinter der "Delphin" steht, besorgen sie die Verpflegung selbst. Ein Catering-Unternehmen, das diese Aufgabe zentral übernimmt, aber Uniformität ins Angebot bringt, wollten sie nicht. Die beiden Profis kennen so ziemlich alle Händler und Hafenagenten der Welt und können sich darauf verlassen, mit erstklassiger Ware versorgt zu werden.

Die Küche bekommt das größte Lob auf der Beinahe-Jungfernreise von Venedig nach Istanbul, die mit 270 Passagieren nur zu 60 Prozent ausgebucht ist - gerade eben ein Level, ab dem das Hochseeschiff kostendeckend fährt. Ireen Sheer, Stargast in den Abendshows, heizt nach dem Dinner die Stimmung kräftig an und plaudert am Tag munter und ohne Star-Allüren auf dem Achterdeck unter einem riesigen blauen Sonnensegel, dem Markenzeichen der "Delphin". Schiffseigner Agrawal ist sicher, mittelfristig alle "Delphin"-Fans zurückgewinnen zu können. Dafür reichte die Zeit seit Anfang des Jahres einfach nicht. Manch einer hat schon zähneknirschend anderswo gebucht. Langfristig traut der Eigner dem deutschen Markt und seinen Managern an der Hamburger Überseeallee sogar zu, ein zweites Schiff zu beschäftigen. "Die Geschäftszahlen sehe ich mir regelmäßig an", sagt der erfolgreiche Inder, ohne das höfliche Lächeln zu unterbrechen. Sicherheitshalber vertritt mit Yogesh Gupta ein weiterer indischer Geschäftsführer seine Interessen im neu gegründeten Unternehmen Passat Kreuzfahrten, in dem mit Andreas Hey auch der Sohn des Pleite-Reeders Heinz-Herbert Hey tätig ist.

Gupta ist zufrieden mit dem "Delphin"-Debüt: "Wir haben viel mehr an Atmosphäre und Herzlichkeit erlebt, als wir je erwarten konnten", sagt er und ist ehrlich gerührt. Die Passagiere sind es auch, als sie am letzten Reisetag zur Küchenparty eingeladen sind. Die "Delphin" erreicht Istanbul. Die erste Reise geht zu Ende. Das indische "Delphin"-Märchen hingegen fängt erst an.

Bis 2013 sind u. a. geplant: Mittelmeer, Schwarzes Meer, Baltikum, Westeuropa, Nordafrika, Norwegen, Island, Grönland, Karibik, Südamerika, Antarktis. Info: www.passatkreuzfahrten.de

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung von Passat Kreuzfahrten.)