Filmprojekt

Experimentalarchäologe baut „Ahrensburger Bogen“

| Lesedauer: 4 Minuten
Filip Schwen
Harm Paulsen am Filmset bei Schleswig. In den Händen hält der Experimentalarchäologe rekonstruierte Pfeile der Ahrensburger Rentierjäger.

Harm Paulsen am Filmset bei Schleswig. In den Händen hält der Experimentalarchäologe rekonstruierte Pfeile der Ahrensburger Rentierjäger.

Foto: Filip Schwen

Experte Harm Paulsen rekonstruiert Waffe der Rentierjäger im Tunneltal. Das Abendblatt war bei Dreharbeiten zur Dokumentation dabei.

Ahrensburg/Schleswig. Hölzerne Pfeile, Fragmente eines Feuersteins und Tiersehnen liegen auf dem Tisch auf der Lichtung in der Nähe von Schleswig. Dahinter sitzt Harm Paulsen. Geschickt bearbeitet der ältere Mann mit dem Vollbart und dem grauen Zopf die Holzstücke in seiner Hand mit dem Messer. Der Experimentalarchäologe ist erkennbar voll in seinem Element. Vor ihm kniet Dokumentarfilmer Mathis Menneking im Gras, hält mit der Kamera ganz dicht auf den fingerfertigen Experten.

Material, wie es auch in der Steinzeit zur Verfügung stand

Es ist der zweite Drehtag für das Filmprojekt „Pfeil sucht Bogen – Das Ahrensburger Steinzeitexperiment“. Gemeinsam mit Harm Paulsen wollen die Interessengemeinschaft (IG) Tunneltal aus Ahrensburg und das Archäologische Museum Schloss Gottorf in Schleswig herausfinden, wie die Menschen, die während der letzten Eiszeit vor 12.000 Jahren im Ahrensburger Tunneltal lebten, gejagt haben.

Anhand eines Pfeilfragmentes, das der Archäologe Alfred Rust vor 85 Jahren bei Ahrensburg ausgegraben hatte, rekonstruiert Paulsen einen Bogen, wie ihn die Ahrensburger Rentierjäger genutzt haben könnten. Dabei verwendet er nur Materialien, die auch die Menschen in der Eiszeit zur Verfügung hatten. „Ich habe schon die Bögen aller nordeuropäischen Völker erforscht, nur einer fehlte“, sagt der 76 Jahre alte Lübecker, der aus TV-Formaten wie „Terra X“ und „Löwenzahn“ bekannt ist.

Experte Harm Paulsen wollte kein Archäologe werden

Seit seiner Kindheit habe ihn die Steinzeit fasziniert. „Ich bin auf einem Gutshof aufgewachsen, mit Gärtnerei und Werkstatt. Ein bisschen wie Huckleberry Finn“, sagt er. „Da war immer Material zum Basteln vorhanden.“ Der Weg des Lübeckers in den Archäologenberuf war dennoch ein unkonventioneller. Studiert hat er nie.

„Ich wollte nie Archäologe werden, weil ich Angst hatte, dass ich dann den Spaß an meinem Hobby verliere“, sagt Paulsen. „Ich habe Elektriker gelernt, bin erst nach einem Unfall zurück zur Archäologie gekommen.“ Bis zum Ruhestand wirkte er jahrzehntelang am Archäologischen Landesamt in Schleswig. „Mein Ansatz ist der praktische“, sagt Paulsen. „Ich möchte nachvollziehen, wie es funktioniert hat.“

Film soll 2021 in Ahrensburger Stadtbücherei Premiere feiern

Dutzende Pfeile, Bogen und andere Steinzeitwerkzeuge hat er bereits nachgebaut. „Mit seiner Erfahrung und seiner technischen Herangehensweise ist Harm Paulsen genau der Richtige für unser Filmprojekt“, sagt Svenja Furken von der IG Tunneltal. Die etwa 30-minütige Dokumentation, die mit Interviews mit Experten des Museums Schloss Gottorf angereichert wird, soll 2021 zu sehen sein. „Die Premiere wird in der Stadtbücherei Ahrensburg sein“, sagt Furken.

Im Anschluss soll der Film in der Dauerausstellung von Schloss Gottorf sowie in der Ausstellung „Die Welt der Ahrensburger Rentierjäger“ gezeigt werden. Letztere war für diesen Herbst in der Ahrensburger Stadtbücherei geplant, musste aber wegen der Coronapandemie auf das kommende Jahr verschoben werden. Harm Paulsen ist derweil damit beschäftigt, zwei bearbeitete Äste parallel aneinander zu passen. „Bei dem Ahrensburger Modell muss es sich um einen Zweiholzbogen gehandelt haben“, sagt der Experte. Alle Bäume und Sträucher, die vor 12.000 Jahren in Nordeuropa heimisch waren, böten wenig leistungsstarkes Holz. „Wir wissen aber von den Einschussspuren an Rentierknochen aus dem Tunneltal, dass der Bogen eine erhebliche Schleuderkraft hatte.“

Steinzeitmenschen waren cleverer als vielfach angenommen

Eine bessere Leistung werde erreicht, wenn unterschiedliche Hölzer kombiniert würden. „Ich verwende Wacholder und Birke“, sagt Paulsen. Der Experte erklärt: „Birke dehnt sich besser aus, während Wacholder sich, wenn der Bogen gespannt wird, sehr gut zusammenzieht.“ Da die Rentierjäger noch keinen Leim kannten, hätten sie Tiersehnen verwendet, um die Holzteile aneinander zu befestigen. „Die Sehnen wurden aufgefasert, angefeuchtet und um die beiden Holzstücke gewickelt“, so Paulsen. „Das Kollagen in den Sehnen wirkt dann wie Kleber.“

Paulsen sagt: „Die Steinzeitmenschen waren nicht so primitiv, wie viele glauben.“ Sie hätten die verfügbaren Materialien clever zu nutzen gewusst. „Genetisch betrachtet sind wir immer noch dieselben Menschen.“ Zu Paulsens Füßen sammeln sich derweil die Holzspäne. „Bis erkennbar ist, dass das ein Bogen wird, dauert es noch“, sagt er. Eine Stunde Material hat Mathis Menneking am Ende des Drehtages aufgenommen. Zu sehen sein wird davon nach dem Schnitt nur ein Bruchteil: etwa drei Minuten.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Stormarn